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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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seine Betten neben den Viehständen, Festlichkeiten, die viel Raum erfordern,
werden auf dem "Dehl" abgehalten, und ein Erntetanz in diesem Halbdunkel
vor dem flackernden Herdfeuer und unter den rauchumhüllten Stangen des
Getreidebodens, an deren mittelster ein mit Lichtern besteckter, laubumwundener
Reifen als Kronleuchter herabhängt, möchte mit seinen Lichtrefleren keinen
Übeln Gegenstand für den Pinsel eines Genrcmalers abgeben.

Ascheffel war am 18. April -1848 Schauplatz eines glücklich ausgeführten
Ueberfalls, bei welchem die deutschen Freischaren eine Feldwache von zwanzig
dänischen Dragonern gefangen nahmen. Für mich hat es aber noch eine
andere Merkwürdigkeit, die ich nicht unerwähnt lassen darf. Unter seinen
Höhen liegt das schönste Pfarrhaus, das ich bisher gesehen, mein Begleiter
meinte sogar, das schönste in den ganzen Herzogtümern. Schleswig-Holstein
ist das Paradies der Herren vom schwarzen Rocke. Hier scheint das Para¬
dies dieses Paradieses zu sein. Es ist eine Mischung von städtisch und
Ländlich, von Behagen und Eleganz, wie ich mir sie nicht wol anmuthiger
träumen könnte. Ein rothes Ziegeldach, von Büschen und Bäumen beschattet,
eine granitne Freitreppe, große hohe Fenster und Flügelthüren, die aus grün--
bewachsenen Wänden blicken, geschmackvoll möblirte Zimmer, darunter ein
Salon und eine Blumenstube, ringsum ein hügeliger Garten mit Schatten¬
gängen und Lauben zwischen Ziersträuchern, mit englischem Rasen und blühen¬
den Beeten, mit Forellenteichen und murmelnden Wiesenbächen, seltne Tauben
und Hühner im Hofe, ein Storchnest auf dem Scheunendache zur Linken, vor
der Front auf einer Anhöhe ein hübsches Buchengehölz, dazu keine Viertel¬
stunde vom Hause ein so herrliches Panorama, wie das, welches ich vorhin
zu malen versuchte -- Herz, was willst du mehr, und wenn ich nicht Ihr
Reisender wäre, möchte ich trotz alledem und alledem wol Pastor in Ascheffel sein.

Wir sprachen vor. Der Pfarrer -- er ist, wenn ich recht hörte, ein
Bruder des ehemaligen Schleswig-holsteinischen Kriegsministers Jacobsen -- war
nicht zu Hause. Schade, er soll ein liebenswürdiger Mann sein! Allein was
ich von meinem Führer vernahm, hätte ich von dem Pastor wol schwerlich
erfahren. Ich sagte: trotz alledem und alledem, weil die Pfarrhöfe Südschles¬
wigs und insbesondere die hier gelegenen bei Lichte besehen in gewissem Maße
nichts mehr und nichts weniger als anmuthige Gefängnisse sind.

Haben Sie jemals gehört, daß jemand, um zu leimen, sich des Scheide¬
wassers bediente? Sie schütteln den Kopf. Es scheint Ihnen ein Widerspruch,
ein schlechter Witz, eine Verrücktheit. Der dänischen Logik muß dies nicht so
vorkommen. Oder zwingen die Verhältnisse zu solchen Versuchen wider die
Natur? Gleichviel, man will in Kopenhagen den Gesammtstaat d. h. die
Zusammenleimung der verschiedenen "Provinzen des Reichs", und siehe da,
man gießt statt eines Bindemittels zwischen zwei dieser Provinzen und Däne-


seine Betten neben den Viehständen, Festlichkeiten, die viel Raum erfordern,
werden auf dem „Dehl" abgehalten, und ein Erntetanz in diesem Halbdunkel
vor dem flackernden Herdfeuer und unter den rauchumhüllten Stangen des
Getreidebodens, an deren mittelster ein mit Lichtern besteckter, laubumwundener
Reifen als Kronleuchter herabhängt, möchte mit seinen Lichtrefleren keinen
Übeln Gegenstand für den Pinsel eines Genrcmalers abgeben.

Ascheffel war am 18. April -1848 Schauplatz eines glücklich ausgeführten
Ueberfalls, bei welchem die deutschen Freischaren eine Feldwache von zwanzig
dänischen Dragonern gefangen nahmen. Für mich hat es aber noch eine
andere Merkwürdigkeit, die ich nicht unerwähnt lassen darf. Unter seinen
Höhen liegt das schönste Pfarrhaus, das ich bisher gesehen, mein Begleiter
meinte sogar, das schönste in den ganzen Herzogtümern. Schleswig-Holstein
ist das Paradies der Herren vom schwarzen Rocke. Hier scheint das Para¬
dies dieses Paradieses zu sein. Es ist eine Mischung von städtisch und
Ländlich, von Behagen und Eleganz, wie ich mir sie nicht wol anmuthiger
träumen könnte. Ein rothes Ziegeldach, von Büschen und Bäumen beschattet,
eine granitne Freitreppe, große hohe Fenster und Flügelthüren, die aus grün--
bewachsenen Wänden blicken, geschmackvoll möblirte Zimmer, darunter ein
Salon und eine Blumenstube, ringsum ein hügeliger Garten mit Schatten¬
gängen und Lauben zwischen Ziersträuchern, mit englischem Rasen und blühen¬
den Beeten, mit Forellenteichen und murmelnden Wiesenbächen, seltne Tauben
und Hühner im Hofe, ein Storchnest auf dem Scheunendache zur Linken, vor
der Front auf einer Anhöhe ein hübsches Buchengehölz, dazu keine Viertel¬
stunde vom Hause ein so herrliches Panorama, wie das, welches ich vorhin
zu malen versuchte — Herz, was willst du mehr, und wenn ich nicht Ihr
Reisender wäre, möchte ich trotz alledem und alledem wol Pastor in Ascheffel sein.

Wir sprachen vor. Der Pfarrer — er ist, wenn ich recht hörte, ein
Bruder des ehemaligen Schleswig-holsteinischen Kriegsministers Jacobsen — war
nicht zu Hause. Schade, er soll ein liebenswürdiger Mann sein! Allein was
ich von meinem Führer vernahm, hätte ich von dem Pastor wol schwerlich
erfahren. Ich sagte: trotz alledem und alledem, weil die Pfarrhöfe Südschles¬
wigs und insbesondere die hier gelegenen bei Lichte besehen in gewissem Maße
nichts mehr und nichts weniger als anmuthige Gefängnisse sind.

Haben Sie jemals gehört, daß jemand, um zu leimen, sich des Scheide¬
wassers bediente? Sie schütteln den Kopf. Es scheint Ihnen ein Widerspruch,
ein schlechter Witz, eine Verrücktheit. Der dänischen Logik muß dies nicht so
vorkommen. Oder zwingen die Verhältnisse zu solchen Versuchen wider die
Natur? Gleichviel, man will in Kopenhagen den Gesammtstaat d. h. die
Zusammenleimung der verschiedenen „Provinzen des Reichs", und siehe da,
man gießt statt eines Bindemittels zwischen zwei dieser Provinzen und Däne-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/68>, abgerufen am 26.08.2024.