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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wohner hat das Oertchen ungefähr viertausend. Dazu kommt eine starke Gar¬
nison, zwischen der und den Bürgern etwa dasselbe Verhältniß besteht wie
in Kiel.

Ein Kaufmann, dessen Bekanntschaft ich in Neumünster gemacht, war so
gefällig, mir zu zeigen, was zu zeigen war. Wir besuchten miteinander den
schönen Friedhof und den Ort, wo unter einer Granitsäule und vier schwarzen,
mit weiß und rothen Bändern aufgeputzten Kreuzen die Dänen ruhen, die bei
der Affaire vom S. April 18i9 den Tod fanden. "Da liegt der ganze Kram
verscharrt!" sagte mein Führer bitter. Das klingt hart. Aber wer will sich
darüber wundern, wenn er sieht, wie die dänischen Soldaten das Denkmal
Preußers, der doch lediglich durch seinen Eifer in der Rettung der Feinde
unterging, alles Schmuckes entkleidet haben, und wenn er hört, daß sie nicht
einmal einen Kranz auf dem Grabe dulden! Hart vor dem Gottesacker steht
eine grasgrün angestrichene große Windmühle. Hier hatte an jenem glor¬
reichen Tage der Herzog von Gotha gehalten. Mein Begleiter erinnerte sich
gesehen zu haben, 'wie die Kanoniere des Linienschiffs ihm eine Bombe zuge¬
sandt hatten, die aber in das Dach eines Hauses etwas tiefer eingeschlagen
war. "Ein nobler Herr, ders ehrlich mit uns meinte!" sagte er. "Wollte
Gott, Sie hätten damals mehr von der Art gehabt! Es stünde dann wol
besser um uns und um Sie."

Wir gingen weiter in unserer Rundschau. Dort auf dem sumpfigen Land¬
vorsprunge unter der Eichengruppe hatte die Nordbatterie geblitzt. Von da
drüben, wo unser Fernrohr zur Linken der Chaussee einen niedrigen Wall
zeigte, in dessen Mitte man Kartoffeln gepflanzt zu haben schien, waren die
glühenden Kugeln der Südbatterie in den Rumpf des feindlichen Dreideckers
gefahren. Hier geradüber der Stelle, wo Zimmerleute ein Badefloß für die
Kurgäste von Borby zusammensetzten, war Christian der Achte aufgeflogen,
und dort endlich, ein Stück weiter in die See hinaus, hatte die Gefion vor
den deutschen Kanonen die Flagge gestrichen.

Es waren schöne Erinnerungen in einer trüben Zeit. Der Wind wehte
genau so günstig der deutschen Sache, wie er damals geweht hatte. Die
Augen meines Führers funkelten, als er mir den Triumph Schleswig-Holsteins
schilderte und mir in seinem Hinterhofe die Neste der eisernen Knie und der
Planken wies, die er von dem zerstörten Schiffe geborgen, gewiß ganz so, wie
sie gefunkelt haben mögen, als er mit seiner Nassauer Einquartierung in etlichen
Flaschen Se. Julien den Sieg gefeiert hatte. Aber die Flagge, die damals
heruntergemußt von der Gaffel der Gestor, flatterte jetzt stolz' über der Stadt,
und die Augen deö Freundes füllten sich, als er von der Gegenwart sprach
und das Peinigungssystem der dänischen Unterdrücker beschrieb, mit Thränen
der Wehmuth. Ich s^e ihm beim Abschiede, daß hinter der Gegenwart die


wohner hat das Oertchen ungefähr viertausend. Dazu kommt eine starke Gar¬
nison, zwischen der und den Bürgern etwa dasselbe Verhältniß besteht wie
in Kiel.

Ein Kaufmann, dessen Bekanntschaft ich in Neumünster gemacht, war so
gefällig, mir zu zeigen, was zu zeigen war. Wir besuchten miteinander den
schönen Friedhof und den Ort, wo unter einer Granitsäule und vier schwarzen,
mit weiß und rothen Bändern aufgeputzten Kreuzen die Dänen ruhen, die bei
der Affaire vom S. April 18i9 den Tod fanden. „Da liegt der ganze Kram
verscharrt!" sagte mein Führer bitter. Das klingt hart. Aber wer will sich
darüber wundern, wenn er sieht, wie die dänischen Soldaten das Denkmal
Preußers, der doch lediglich durch seinen Eifer in der Rettung der Feinde
unterging, alles Schmuckes entkleidet haben, und wenn er hört, daß sie nicht
einmal einen Kranz auf dem Grabe dulden! Hart vor dem Gottesacker steht
eine grasgrün angestrichene große Windmühle. Hier hatte an jenem glor¬
reichen Tage der Herzog von Gotha gehalten. Mein Begleiter erinnerte sich
gesehen zu haben, 'wie die Kanoniere des Linienschiffs ihm eine Bombe zuge¬
sandt hatten, die aber in das Dach eines Hauses etwas tiefer eingeschlagen
war. „Ein nobler Herr, ders ehrlich mit uns meinte!" sagte er. „Wollte
Gott, Sie hätten damals mehr von der Art gehabt! Es stünde dann wol
besser um uns und um Sie."

Wir gingen weiter in unserer Rundschau. Dort auf dem sumpfigen Land¬
vorsprunge unter der Eichengruppe hatte die Nordbatterie geblitzt. Von da
drüben, wo unser Fernrohr zur Linken der Chaussee einen niedrigen Wall
zeigte, in dessen Mitte man Kartoffeln gepflanzt zu haben schien, waren die
glühenden Kugeln der Südbatterie in den Rumpf des feindlichen Dreideckers
gefahren. Hier geradüber der Stelle, wo Zimmerleute ein Badefloß für die
Kurgäste von Borby zusammensetzten, war Christian der Achte aufgeflogen,
und dort endlich, ein Stück weiter in die See hinaus, hatte die Gefion vor
den deutschen Kanonen die Flagge gestrichen.

Es waren schöne Erinnerungen in einer trüben Zeit. Der Wind wehte
genau so günstig der deutschen Sache, wie er damals geweht hatte. Die
Augen meines Führers funkelten, als er mir den Triumph Schleswig-Holsteins
schilderte und mir in seinem Hinterhofe die Neste der eisernen Knie und der
Planken wies, die er von dem zerstörten Schiffe geborgen, gewiß ganz so, wie
sie gefunkelt haben mögen, als er mit seiner Nassauer Einquartierung in etlichen
Flaschen Se. Julien den Sieg gefeiert hatte. Aber die Flagge, die damals
heruntergemußt von der Gaffel der Gestor, flatterte jetzt stolz' über der Stadt,
und die Augen deö Freundes füllten sich, als er von der Gegenwart sprach
und das Peinigungssystem der dänischen Unterdrücker beschrieb, mit Thränen
der Wehmuth. Ich s^e ihm beim Abschiede, daß hinter der Gegenwart die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/63>, abgerufen am 25.08.2024.