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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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nur durch die Ueberraschung einiges Interesse, die denen wird, welche, nicht
an die Nähe des Kanals denkend, plötzlich über den Knicks beim Dorfe
Schwartenbeck mitten im Acker die weißen Segel von Seeschiffen hingleiten
sehen. Es nimmt sich in der That aus wie das Schiff, mit dem Hans im
Märchen zu Wasser und zu Lande fuhr.

Interessanter aber war die Gesellschaft im Wagen. Schon in der ersten
Stunde offenbarte es sich, daß zwei von den drei mannlichen Passagieren im
Schleswig-holsteinischen Heere gedient hatten und mit Vergnügen wieder zum
Kuhfuß greifen würden, falls es gälte, den "Hannemännern" nochmals eins
aus den Kopf zu geben. Der eine, der auch in Kopenhagen hatte Soldat
sein müssen, bedauerte, daß ihm und seinen Kameraden dort nicht Gelegenheit
geworden, unter sie schießen zu können. Sie hätten es immer gehofft. Der
andere tröstete: "Na man still! der orientalische Krieg kommt gewiß noch
hierher, und dann Jägerkette vor! Feuer! Pass, da liegt Hannemann!"

Noch ergötzlicher war eine originelle alte Wirthin aus der Stadt Schles¬
wig. Sie hatte kaum den Süddeutschen am Dialekt erkannt, als sie mich in
Anspruch nahm, um in geflügelter Rede den Aerger an den Mann zu bringen,
der sich in ihr angesammelt hatte. Die Gute kam mir mit dem Strome ihrer
Gravamina fast wie das Horn vor. in welchem die Melodien des Postillons
eingefroren waren, bis sie endlich am Ofen des Wirthshauses aufthauten und
eine nach der andern erklangen. Man scheint in der That in Schleswig zu
glauben, daß jeder vom Süden Kommende ein warmes Herz für das Elend
hat, das sie in sich verschließen müssen, und wollte Gott, dem wäre so!
Gestatten Sie mir auf die Gefahr hin, von Ihren Lesern für einen Liebhaber
von Altweibergeschwätz gehalten zu werden, eine der Melodien mitzutheilen,
in welchen die resolute Patriotin ihrem gepreßten Herzen Luft machte. Sie
war wirklich sehr drastisch mit ihrem Ingrimm, und ich meine übrigens, man
hörte in ihr die gesammte niedere Classe der Frauen Schleswigs sprechen.

"Sie haben uns unsre Pastöre weggejagt," sagte die wackere Alte mit
der Geberde des Abzählens an den Fingern, "und sehen Sie, sie haben
uns für unsere guten Beamten ihre dummen Hardeövögte und Actuare herge¬
schickt. Sie wollen unsere Kinder dänisch machen. Ja, und chicanirt und
malträtirt und drangsalirt haben sie uns, und Brüche haben wir zahlen müs¬
sen zum Schwarzwerden, und das Fell haben sie uns über die Ohren gezogen,
und da hat mancher einen grauen Kopf davon gekriegt. Ja, und ins Loch
stecken sie uns bei Wasser und Brot, aber unter den Schlitten kriegen sie uns
doch nicht. Lieber gehen wir Weiber selbsten aufs Rathhaus (d. h. inS Ge¬
fängniß) ehe wir ihre Brüche geben, die doch nur in die Tasche dieser hung¬
rigen kümmerlichen Lumpse fällt. Gewiß, unser König ist gut! O ja, der
will das nicht. Blos die Amtmänner und die Polizeimeister und die Pröpste


nur durch die Ueberraschung einiges Interesse, die denen wird, welche, nicht
an die Nähe des Kanals denkend, plötzlich über den Knicks beim Dorfe
Schwartenbeck mitten im Acker die weißen Segel von Seeschiffen hingleiten
sehen. Es nimmt sich in der That aus wie das Schiff, mit dem Hans im
Märchen zu Wasser und zu Lande fuhr.

Interessanter aber war die Gesellschaft im Wagen. Schon in der ersten
Stunde offenbarte es sich, daß zwei von den drei mannlichen Passagieren im
Schleswig-holsteinischen Heere gedient hatten und mit Vergnügen wieder zum
Kuhfuß greifen würden, falls es gälte, den „Hannemännern" nochmals eins
aus den Kopf zu geben. Der eine, der auch in Kopenhagen hatte Soldat
sein müssen, bedauerte, daß ihm und seinen Kameraden dort nicht Gelegenheit
geworden, unter sie schießen zu können. Sie hätten es immer gehofft. Der
andere tröstete: „Na man still! der orientalische Krieg kommt gewiß noch
hierher, und dann Jägerkette vor! Feuer! Pass, da liegt Hannemann!"

Noch ergötzlicher war eine originelle alte Wirthin aus der Stadt Schles¬
wig. Sie hatte kaum den Süddeutschen am Dialekt erkannt, als sie mich in
Anspruch nahm, um in geflügelter Rede den Aerger an den Mann zu bringen,
der sich in ihr angesammelt hatte. Die Gute kam mir mit dem Strome ihrer
Gravamina fast wie das Horn vor. in welchem die Melodien des Postillons
eingefroren waren, bis sie endlich am Ofen des Wirthshauses aufthauten und
eine nach der andern erklangen. Man scheint in der That in Schleswig zu
glauben, daß jeder vom Süden Kommende ein warmes Herz für das Elend
hat, das sie in sich verschließen müssen, und wollte Gott, dem wäre so!
Gestatten Sie mir auf die Gefahr hin, von Ihren Lesern für einen Liebhaber
von Altweibergeschwätz gehalten zu werden, eine der Melodien mitzutheilen,
in welchen die resolute Patriotin ihrem gepreßten Herzen Luft machte. Sie
war wirklich sehr drastisch mit ihrem Ingrimm, und ich meine übrigens, man
hörte in ihr die gesammte niedere Classe der Frauen Schleswigs sprechen.

„Sie haben uns unsre Pastöre weggejagt," sagte die wackere Alte mit
der Geberde des Abzählens an den Fingern, „und sehen Sie, sie haben
uns für unsere guten Beamten ihre dummen Hardeövögte und Actuare herge¬
schickt. Sie wollen unsere Kinder dänisch machen. Ja, und chicanirt und
malträtirt und drangsalirt haben sie uns, und Brüche haben wir zahlen müs¬
sen zum Schwarzwerden, und das Fell haben sie uns über die Ohren gezogen,
und da hat mancher einen grauen Kopf davon gekriegt. Ja, und ins Loch
stecken sie uns bei Wasser und Brot, aber unter den Schlitten kriegen sie uns
doch nicht. Lieber gehen wir Weiber selbsten aufs Rathhaus (d. h. inS Ge¬
fängniß) ehe wir ihre Brüche geben, die doch nur in die Tasche dieser hung¬
rigen kümmerlichen Lumpse fällt. Gewiß, unser König ist gut! O ja, der
will das nicht. Blos die Amtmänner und die Polizeimeister und die Pröpste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/61>, abgerufen am 25.08.2024.