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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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in Form eines Kranzes um den Kopf gewunden. Alle trugen goldene Ohr¬
ringe. Bei einigen war die Brust mit zwei Reihen silberner Spangen, bei
anderen mit Ketten von demselben Metall geschmückt, die ähnlich wie die
Schnüre aus den Dolmans unserer Husaren geordnet waren. Ich bemerkte
sehr reiches Haar, viele schlanke, wenige volle Gestalten, und manches hübsche
Gesicht unter ihnen. Namentlich aber war der Teint der Mehrzahl von auf¬
fallender Weiße.

Der Tanz war bei der Enge des Locals und der Menge der Theilnehmer
zum wilden Getümmel, sein anmuthiges Wogen zum Rasen geworden. Mit
Juchhei und Hurrah hoben die Burschen ihre Mädchen in nervigen Fäusten
in die Höhe. Man jubelte im Schweiße des Angesichts, man freute sich,
daß die Haare davon flogen. Man gestattete sich nur Secunden zum Athem
schöpfen, und dabei herrschte eine Temperatur im Saale, wie ich sie mir in
dem Ofen vorstelle, da Sadrach, Mesach und Abednego dem Herrn frohlockten.

Bedenkt man, daß dieses wüthende Tanzen bis zum hellen Morgen währt,
daß dann nach kurzer Ruhe der Reigen der Pfingstgilve, die Musik vorauf,
durch die Gassen, gleichviel ob noch so kothig, zu den "Höfischen", d. l). zu
Pastor, Arzt und Klostervogt, geht, und daß dann wieder im Wirthshause
getanzt wird, bis der Sonnabend dem Sonntag Platz macht, so verdient die
Ausdauer dieser Lungen und die Rüstigkeit dieser Beine alle Anerkennung.
Stellt sich am Ende der Katzenjammer ein mit zerrissenen Schuhsohlen, müden
Waden und erschöpften Herzkammern, so schadet es nichts, man hat sich doch
amüsirt, um für ein ganzes Jahr genug zu haben. Schlimmer freilich ist es,
wenn eine oder die andere Tänzerin -- noch ist nämlich die Sitte des Fen-
sterns *) nicht völlig erloschen -- als Andenken an die PfingstfreitagSlust außer
entzwngegangenen Schuhen auch eine entzweigegangene Unschuld zu bekla¬
gen hat!

Den ersten Juni Abends war ich wieder in Kiel. Der Morgen des zwei¬
ten sah mich auf dem Wege nach Eckernförde. Wäre die glückliche Zeit noch,
wo das Wünschen half, so hätte ich gewünscht, daß der Hahn aus dem
Thurme der Stadt, welcher dem davonrollenden Wagen so lange über Hecken
und Hügel nachblickte, den Kielern bald den Morgen der Befreiung verkünden
möge. So, wie die Sachen stehen, mußte ich mich begnügen, es zu hoffen.

Der dänische Wohld, der die Straße nach Eckernförde durchschneidet, bie¬
tet dem, welcher die hervorstechenden Eigenthümlichkeiten der Landschaft Hol¬
steins und Schleswigs: heckenumschlossene Felder, Kuhherden, Strohdächer
mit Storchnestern darauf und große holländische Windmühlen bereits kennt,



*) Darunter sind stundenlange nächtliche Besuche des Tänzers , in der Kammer der Tän¬
zerin zu verstehen, die von den Eltern gewußt und geduldet werden, da bei ihnen "eigentlich
nichts Unrechtes vorkommen soll." Sollte, wäre wohl richtiger gesprochen.

in Form eines Kranzes um den Kopf gewunden. Alle trugen goldene Ohr¬
ringe. Bei einigen war die Brust mit zwei Reihen silberner Spangen, bei
anderen mit Ketten von demselben Metall geschmückt, die ähnlich wie die
Schnüre aus den Dolmans unserer Husaren geordnet waren. Ich bemerkte
sehr reiches Haar, viele schlanke, wenige volle Gestalten, und manches hübsche
Gesicht unter ihnen. Namentlich aber war der Teint der Mehrzahl von auf¬
fallender Weiße.

Der Tanz war bei der Enge des Locals und der Menge der Theilnehmer
zum wilden Getümmel, sein anmuthiges Wogen zum Rasen geworden. Mit
Juchhei und Hurrah hoben die Burschen ihre Mädchen in nervigen Fäusten
in die Höhe. Man jubelte im Schweiße des Angesichts, man freute sich,
daß die Haare davon flogen. Man gestattete sich nur Secunden zum Athem
schöpfen, und dabei herrschte eine Temperatur im Saale, wie ich sie mir in
dem Ofen vorstelle, da Sadrach, Mesach und Abednego dem Herrn frohlockten.

Bedenkt man, daß dieses wüthende Tanzen bis zum hellen Morgen währt,
daß dann nach kurzer Ruhe der Reigen der Pfingstgilve, die Musik vorauf,
durch die Gassen, gleichviel ob noch so kothig, zu den „Höfischen", d. l). zu
Pastor, Arzt und Klostervogt, geht, und daß dann wieder im Wirthshause
getanzt wird, bis der Sonnabend dem Sonntag Platz macht, so verdient die
Ausdauer dieser Lungen und die Rüstigkeit dieser Beine alle Anerkennung.
Stellt sich am Ende der Katzenjammer ein mit zerrissenen Schuhsohlen, müden
Waden und erschöpften Herzkammern, so schadet es nichts, man hat sich doch
amüsirt, um für ein ganzes Jahr genug zu haben. Schlimmer freilich ist es,
wenn eine oder die andere Tänzerin — noch ist nämlich die Sitte des Fen-
sterns *) nicht völlig erloschen — als Andenken an die PfingstfreitagSlust außer
entzwngegangenen Schuhen auch eine entzweigegangene Unschuld zu bekla¬
gen hat!

Den ersten Juni Abends war ich wieder in Kiel. Der Morgen des zwei¬
ten sah mich auf dem Wege nach Eckernförde. Wäre die glückliche Zeit noch,
wo das Wünschen half, so hätte ich gewünscht, daß der Hahn aus dem
Thurme der Stadt, welcher dem davonrollenden Wagen so lange über Hecken
und Hügel nachblickte, den Kielern bald den Morgen der Befreiung verkünden
möge. So, wie die Sachen stehen, mußte ich mich begnügen, es zu hoffen.

Der dänische Wohld, der die Straße nach Eckernförde durchschneidet, bie¬
tet dem, welcher die hervorstechenden Eigenthümlichkeiten der Landschaft Hol¬
steins und Schleswigs: heckenumschlossene Felder, Kuhherden, Strohdächer
mit Storchnestern darauf und große holländische Windmühlen bereits kennt,



*) Darunter sind stundenlange nächtliche Besuche des Tänzers , in der Kammer der Tän¬
zerin zu verstehen, die von den Eltern gewußt und geduldet werden, da bei ihnen „eigentlich
nichts Unrechtes vorkommen soll." Sollte, wäre wohl richtiger gesprochen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/60>, abgerufen am 25.08.2024.