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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Würdigkeiten der Umgebung gesehen, den ersten Rang ein. Und sie verdient
in der That einen Besuch, nicht sowol ihrer Schönheit halber -- denn das
Ländchen hat kein einziges Gehölz und bietet überhaupt wenig Abwechslung
in der Scenerie -- als vielmehr wegen seiner ungewöhnlichen Fruchtbarkeit,
sowie wegen des sorgfältigen Ackerbaues, des Wohlstandes und der eigenthüm-
lichen Sitte und Tracht seiner zahlreichen Bewohner.

Die Propstei ist ein einziges großes, nur durch die Einfriedigungen von
Erlen, Saalweiden, Häseln und Weißdornbüschen abgetheiltes Getreidefeld,
in welchem zwanzig Dörfer stehen, wovon Schönberg mit 1400 Einwohnern
das bedeutendste und schönste ist. Ueber die Abstammung der Propsteier herr¬
schen unter den Alterthumsforschern sehr abweichende Meinungen. Der eine
glaubt bewiesen zu haben, daß sie gleich ihren östlichen Nachbarn wendischer
Abkunft sind; der andre läßt sie aus dem Bisthum Fulda eingewandert sein;
ein dritter will ihre Verwandtschaft mit den Friesen behaupten. Sie selbst
endlich, oder richtiger einige von ihnen, die in Altenburg gewesen waren,
äußerten die Ansicht, sie möchten wol Vettern jener Pumphosen an der obern
Pleiße sein.

Was davon das Rechte ist, bleibe dahingestellt. Auch der wesentliche
Unterschied, welchen scharfblickende und Feinhörende zwischen der Körperbildung
und dem Plattdeutsch der propsteier Bauern und der Physiognomie und Zunge
ihrer Landsleute im Süden und Westen fanden, blieb mir verborgen. Ausgemacht
dagegen und auch bei flüchtiger Beobachtung zu sehen und zu hören ist, daß
sie ungemein tüchtige Ackersleute und Viehzüchter sind. Ausgemacht serner,
daß sie leidenschaftlicher und flotter tanzen, als alles Volk im Umkreise von
mindestens fünfzig Meilen. Ausgemacht endlich und über alle Zweifel der Ge¬
lehrten erhaben, daß die schwarzen Kopfhüllen, womit ihre Mädchen sich
gegen die Teintverderberin Sonne schützen, eine Menge allerliebster Gesichtchen
verbergen.

Landwirthe, die, wie Claus Wyse in Bentfeld und Gotisch in Praasdorf,
die neuesten Erfindungen und Verbesserungen der Agronomie, die schottische
Egge, den englischen Pflug, die Verbindung der Dresch- und der Butterma¬
schine, des Drainirens und Berieselns nicht blos kennen, sondern seit Jahren
anwenden, welche die Schriften Liebigs und seiner Schüler nicht allein lesen,
sondern ihre Gedanken darüber auch schriftlich und, waS mehr ist, recht ver¬
ständig auszudrücken vermögen und doch dabei Bauern sind und Bauern sein
wollen, sind unter dem eigentlichen Bauernstande des innern Deutschlands
meines Wissens selten. Hier sind sie nichts Ungewöhnliches. Fast in jedem
Dorfe kann man eine oder die andre Musterwirthschaft beobachten. Das hier
erzeugte Saatkorn wird weit, selbst bis nach dem Königreiche Sachsen, verschickt.
Im Mergeln und Nappssaatbau -- der übrigens gegenwärtig in der Abnahme


Würdigkeiten der Umgebung gesehen, den ersten Rang ein. Und sie verdient
in der That einen Besuch, nicht sowol ihrer Schönheit halber — denn das
Ländchen hat kein einziges Gehölz und bietet überhaupt wenig Abwechslung
in der Scenerie — als vielmehr wegen seiner ungewöhnlichen Fruchtbarkeit,
sowie wegen des sorgfältigen Ackerbaues, des Wohlstandes und der eigenthüm-
lichen Sitte und Tracht seiner zahlreichen Bewohner.

Die Propstei ist ein einziges großes, nur durch die Einfriedigungen von
Erlen, Saalweiden, Häseln und Weißdornbüschen abgetheiltes Getreidefeld,
in welchem zwanzig Dörfer stehen, wovon Schönberg mit 1400 Einwohnern
das bedeutendste und schönste ist. Ueber die Abstammung der Propsteier herr¬
schen unter den Alterthumsforschern sehr abweichende Meinungen. Der eine
glaubt bewiesen zu haben, daß sie gleich ihren östlichen Nachbarn wendischer
Abkunft sind; der andre läßt sie aus dem Bisthum Fulda eingewandert sein;
ein dritter will ihre Verwandtschaft mit den Friesen behaupten. Sie selbst
endlich, oder richtiger einige von ihnen, die in Altenburg gewesen waren,
äußerten die Ansicht, sie möchten wol Vettern jener Pumphosen an der obern
Pleiße sein.

Was davon das Rechte ist, bleibe dahingestellt. Auch der wesentliche
Unterschied, welchen scharfblickende und Feinhörende zwischen der Körperbildung
und dem Plattdeutsch der propsteier Bauern und der Physiognomie und Zunge
ihrer Landsleute im Süden und Westen fanden, blieb mir verborgen. Ausgemacht
dagegen und auch bei flüchtiger Beobachtung zu sehen und zu hören ist, daß
sie ungemein tüchtige Ackersleute und Viehzüchter sind. Ausgemacht serner,
daß sie leidenschaftlicher und flotter tanzen, als alles Volk im Umkreise von
mindestens fünfzig Meilen. Ausgemacht endlich und über alle Zweifel der Ge¬
lehrten erhaben, daß die schwarzen Kopfhüllen, womit ihre Mädchen sich
gegen die Teintverderberin Sonne schützen, eine Menge allerliebster Gesichtchen
verbergen.

Landwirthe, die, wie Claus Wyse in Bentfeld und Gotisch in Praasdorf,
die neuesten Erfindungen und Verbesserungen der Agronomie, die schottische
Egge, den englischen Pflug, die Verbindung der Dresch- und der Butterma¬
schine, des Drainirens und Berieselns nicht blos kennen, sondern seit Jahren
anwenden, welche die Schriften Liebigs und seiner Schüler nicht allein lesen,
sondern ihre Gedanken darüber auch schriftlich und, waS mehr ist, recht ver¬
ständig auszudrücken vermögen und doch dabei Bauern sind und Bauern sein
wollen, sind unter dem eigentlichen Bauernstande des innern Deutschlands
meines Wissens selten. Hier sind sie nichts Ungewöhnliches. Fast in jedem
Dorfe kann man eine oder die andre Musterwirthschaft beobachten. Das hier
erzeugte Saatkorn wird weit, selbst bis nach dem Königreiche Sachsen, verschickt.
Im Mergeln und Nappssaatbau — der übrigens gegenwärtig in der Abnahme


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/55>, abgerufen am 25.08.2024.