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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Anatomie des Schmerzes ist gut genug ausgedrückt, und wir zweifeln gar
nicht, daß dieses Werk, auf sein gehöriges Piedestal gebracht, aus verlangter
Entfernung betrachtet, von Wirkung sein müßte. Die regierungsfreundlichen
Anordner aber haben diesen Frauenkoloß in einen finstern Winkel gestellt, so
daß der Kopf beinahe die Decke berührt. Das ist eine Kleinlichkeit, die man
von diesem Regime erwarten konnte, es wäre aber ehrenhafter gewesen, die
Statue des Herrn Christophe ganz zurückzuweisen.

Als Kunstwerk aber scheint uns dieser Schmerz ein verfehlter. Es ist zu¬
nächst eine sehr bequeme Weise, sich einer so kolossalen Aufgabe zu entledigen,
indem wir den Hauptmoment im psychischen Schmerze, den Ausdruck des Ge¬
sichtes, vermissen. Ferner ist es gradezu unschön, die Gestalt, welche ein fran¬
zösisches Leiden darzustellen hat, zu einem ungestalteten Knaule zusammenzurollen.
So, wie diese Frau dasitzt, kann man ihr ebensogut zumuthen, an einer gi-
gantesken Indigestion zu laboriren. Trotz dieser Mängel spricht sich gute
Begabung in dieser, wenn wir nicht irren, ersten Arbeit des jungen Bild¬
ners aus.

Wir kommen nun zu deu Preisgekrönten und gestehen, daß es gradezu
ein Armuthszeugniß für die moderne französische Sculptur ist, wenn wir zu¬
geben müssen, daß sie in Abwesenheit von David in Unde, Duret und Dumont
ihre Sterne erster Größe zu begrüßen hat.

Unde ist kurz nach der Preisvertheilung in hohem Alter gestorben und
gehört nun ganz der Geschichte an. Sein Knabe mit der Schildkröte, den
die'Besucher von Paris vom Luxemburg aus kennen, ist eine anmuthige Gestalt
und mit viel Poesie behandelt. Rüde hat auch eine Jungfrau von Orleans
im Lurcmburggarten, die vielfach angegriffen, doch.-manche Vorzüge hat. Er
ist unter den drei preisgekrönten Franzosen ohne Widerrede der begabteste.
Duretö Tarantellentänzer und Jmprovisator sind von ungewöhnlicher Lebhaftig¬
keit und ihn großem Verständnisse der Natur gebaut. Sie sind natürlich und
wo es auf genaue Nachahmung des Modells ankommt, leisten die Statuen DuretS
das Vollkommenste, aber Poesie und Erfindung suchen wir in ihnen vergeblich.
Die Statue Chateaubriandö ist ein verdienstloses Werk, nicht ohne Adel,
während man Duret sonst nur Distinction nachsagen kann. Dumont, dessen
Leucothea und Bacchus sich wieder zu sehr an die Antike lehnt, zeugt doch
auch von wirklichem Sinne für Formschönheit und von nicht unbedeutender
Technik. Die Statue Buffons hat besser zugesagt; der Charakter des be¬
rühmten Naturforschers scheint richtig aufgefaßt. Er hat das Würdige mit
dem Edelmännischen in Buffon auf glückliche Weise zu verschmelzen ge¬
wußt. Der Spartacus von Foyatier aus dem Tuileriengarten ist hier
ganz unbemerkt geblieben. Es' ist eben ein Werk, das seinen großen Er¬
folg dem Umstände verdankt, zur rechten Zeit gekommen zu sein. Lequesnes


Grenzboten. IV. -I8so. g,-;

Anatomie des Schmerzes ist gut genug ausgedrückt, und wir zweifeln gar
nicht, daß dieses Werk, auf sein gehöriges Piedestal gebracht, aus verlangter
Entfernung betrachtet, von Wirkung sein müßte. Die regierungsfreundlichen
Anordner aber haben diesen Frauenkoloß in einen finstern Winkel gestellt, so
daß der Kopf beinahe die Decke berührt. Das ist eine Kleinlichkeit, die man
von diesem Regime erwarten konnte, es wäre aber ehrenhafter gewesen, die
Statue des Herrn Christophe ganz zurückzuweisen.

Als Kunstwerk aber scheint uns dieser Schmerz ein verfehlter. Es ist zu¬
nächst eine sehr bequeme Weise, sich einer so kolossalen Aufgabe zu entledigen,
indem wir den Hauptmoment im psychischen Schmerze, den Ausdruck des Ge¬
sichtes, vermissen. Ferner ist es gradezu unschön, die Gestalt, welche ein fran¬
zösisches Leiden darzustellen hat, zu einem ungestalteten Knaule zusammenzurollen.
So, wie diese Frau dasitzt, kann man ihr ebensogut zumuthen, an einer gi-
gantesken Indigestion zu laboriren. Trotz dieser Mängel spricht sich gute
Begabung in dieser, wenn wir nicht irren, ersten Arbeit des jungen Bild¬
ners aus.

Wir kommen nun zu deu Preisgekrönten und gestehen, daß es gradezu
ein Armuthszeugniß für die moderne französische Sculptur ist, wenn wir zu¬
geben müssen, daß sie in Abwesenheit von David in Unde, Duret und Dumont
ihre Sterne erster Größe zu begrüßen hat.

Unde ist kurz nach der Preisvertheilung in hohem Alter gestorben und
gehört nun ganz der Geschichte an. Sein Knabe mit der Schildkröte, den
die'Besucher von Paris vom Luxemburg aus kennen, ist eine anmuthige Gestalt
und mit viel Poesie behandelt. Rüde hat auch eine Jungfrau von Orleans
im Lurcmburggarten, die vielfach angegriffen, doch.-manche Vorzüge hat. Er
ist unter den drei preisgekrönten Franzosen ohne Widerrede der begabteste.
Duretö Tarantellentänzer und Jmprovisator sind von ungewöhnlicher Lebhaftig¬
keit und ihn großem Verständnisse der Natur gebaut. Sie sind natürlich und
wo es auf genaue Nachahmung des Modells ankommt, leisten die Statuen DuretS
das Vollkommenste, aber Poesie und Erfindung suchen wir in ihnen vergeblich.
Die Statue Chateaubriandö ist ein verdienstloses Werk, nicht ohne Adel,
während man Duret sonst nur Distinction nachsagen kann. Dumont, dessen
Leucothea und Bacchus sich wieder zu sehr an die Antike lehnt, zeugt doch
auch von wirklichem Sinne für Formschönheit und von nicht unbedeutender
Technik. Die Statue Buffons hat besser zugesagt; der Charakter des be¬
rühmten Naturforschers scheint richtig aufgefaßt. Er hat das Würdige mit
dem Edelmännischen in Buffon auf glückliche Weise zu verschmelzen ge¬
wußt. Der Spartacus von Foyatier aus dem Tuileriengarten ist hier
ganz unbemerkt geblieben. Es' ist eben ein Werk, das seinen großen Er¬
folg dem Umstände verdankt, zur rechten Zeit gekommen zu sein. Lequesnes


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[0521] Anatomie des Schmerzes ist gut genug ausgedrückt, und wir zweifeln gar nicht, daß dieses Werk, auf sein gehöriges Piedestal gebracht, aus verlangter Entfernung betrachtet, von Wirkung sein müßte. Die regierungsfreundlichen Anordner aber haben diesen Frauenkoloß in einen finstern Winkel gestellt, so daß der Kopf beinahe die Decke berührt. Das ist eine Kleinlichkeit, die man von diesem Regime erwarten konnte, es wäre aber ehrenhafter gewesen, die Statue des Herrn Christophe ganz zurückzuweisen. Als Kunstwerk aber scheint uns dieser Schmerz ein verfehlter. Es ist zu¬ nächst eine sehr bequeme Weise, sich einer so kolossalen Aufgabe zu entledigen, indem wir den Hauptmoment im psychischen Schmerze, den Ausdruck des Ge¬ sichtes, vermissen. Ferner ist es gradezu unschön, die Gestalt, welche ein fran¬ zösisches Leiden darzustellen hat, zu einem ungestalteten Knaule zusammenzurollen. So, wie diese Frau dasitzt, kann man ihr ebensogut zumuthen, an einer gi- gantesken Indigestion zu laboriren. Trotz dieser Mängel spricht sich gute Begabung in dieser, wenn wir nicht irren, ersten Arbeit des jungen Bild¬ ners aus. Wir kommen nun zu deu Preisgekrönten und gestehen, daß es gradezu ein Armuthszeugniß für die moderne französische Sculptur ist, wenn wir zu¬ geben müssen, daß sie in Abwesenheit von David in Unde, Duret und Dumont ihre Sterne erster Größe zu begrüßen hat. Unde ist kurz nach der Preisvertheilung in hohem Alter gestorben und gehört nun ganz der Geschichte an. Sein Knabe mit der Schildkröte, den die'Besucher von Paris vom Luxemburg aus kennen, ist eine anmuthige Gestalt und mit viel Poesie behandelt. Rüde hat auch eine Jungfrau von Orleans im Lurcmburggarten, die vielfach angegriffen, doch.-manche Vorzüge hat. Er ist unter den drei preisgekrönten Franzosen ohne Widerrede der begabteste. Duretö Tarantellentänzer und Jmprovisator sind von ungewöhnlicher Lebhaftig¬ keit und ihn großem Verständnisse der Natur gebaut. Sie sind natürlich und wo es auf genaue Nachahmung des Modells ankommt, leisten die Statuen DuretS das Vollkommenste, aber Poesie und Erfindung suchen wir in ihnen vergeblich. Die Statue Chateaubriandö ist ein verdienstloses Werk, nicht ohne Adel, während man Duret sonst nur Distinction nachsagen kann. Dumont, dessen Leucothea und Bacchus sich wieder zu sehr an die Antike lehnt, zeugt doch auch von wirklichem Sinne für Formschönheit und von nicht unbedeutender Technik. Die Statue Buffons hat besser zugesagt; der Charakter des be¬ rühmten Naturforschers scheint richtig aufgefaßt. Er hat das Würdige mit dem Edelmännischen in Buffon auf glückliche Weise zu verschmelzen ge¬ wußt. Der Spartacus von Foyatier aus dem Tuileriengarten ist hier ganz unbemerkt geblieben. Es' ist eben ein Werk, das seinen großen Er¬ folg dem Umstände verdankt, zur rechten Zeit gekommen zu sein. Lequesnes Grenzboten. IV. -I8so. g,-;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/521>, abgerufen am 22.07.2024.