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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Juliette ist vortrefflich gemalt und ohne jenen c.onventionellen Ausdruck, welcher
den französischen Akademikern in ihrer Wiege in Rom von den Ammen der offi-
ciellen Kunst als ecmättw sino qu^ non eingeleiert wird, wäre das ein herr¬
liches Werk, Sie ist wohl gezeichnet und das Fleisch mit seltener Meisterschaft
gemalt. Auch ihre Henker, die sie aus die Folterbank niederdrücken, sind wohl
gestellt und bewegen sich natürlich -- sowie überhaupt Herin manchem unsrer
modernen Künstler Vorlesungen über malerische Anatomie geben könnte. Der
Ausdruck der Männer ist aber wieder verfehlt. Der Akademiker wagte es,
offenbar nicht, sich sehen zu lassen, er fürchtete, zu gewaltsam und daher un¬
schicklich im Ausdrucke zu werden und so machte er lauter liebenswürdige
Jünglinge. Seine Henker erinnern uns an ein Bild von Spada, wo eine
ähnliche Scene dargestellt wird und der Henker mit einer lächelnden Miene
das Schwert aus der Scheide zieht und zu sagen scheint, "mein lieber Mär¬
tyrer, jetzt werde ich mir das Vergnügen und die Ehre machen, Sie zum
Heiligen zu köpfen." Der Lümmel, welcher der heiligen Juliette mit den
Fingern durch die Haare fährt, sieht grade so aus, als wollte er ihr das
Haupt mit irgendeiner Pomade von Piper salben. Das echte dramatische
Leben fehlt diesen Bildern, aber für einen Akademiker, von dem kein Mensch
mehr sprach, ist das mehr, als zu erwarten war. Doch wirklich verdient war
die Bewunderung, als man seine Preisvertheilung unter Karl X. zu Gesicht
bekam -- das ist ein Meisterwerk. Einem so haben und monotonen Gegen¬
stande Reiz und poetisches Leben zu verleihen, solche abgeschmackte Costüme
künstlerisch zu adeln, das war nicht leicht und vollends diese Reichhaltigkeit
des Ausdrucks in den Physiognomien! Ebenso bewundernswerth sind die
sechzehn Kreideskiz;en , die er nach Mitgliedern der Akademie aufs Papier hin¬
warf; mit wenigen Strichen den Charakter einer Persönlichkeit wiederzugeben,
das vermag nur ein Meister und hentzutage in Frankreich neben ihm blos
Ingres, der Beherrscher aller Linien.

Meissonnier, der zuerst Herin auf der Liste der ersten Medaille" Platz
machen mußte, wußte sich mit seiner Virtuosenhaften Kleinmalerei doch end¬
lich unter die Propheten zu drängen und eine Medaille zu erlangen, die
größer ist, als manches seiner Gemälde. Meissonnier ist der Südpol'für
die spießbürgerliche Bewunderung, während Hvraze Vernet den Nordpol
einnimmt. Man macht vor seinen Bildern in der Ausstellung Queue wie
vor dem Theater oder wie vor den Kronjuwelen auf der JndustrieauSstel-
lnug. Das ist alles so naturgetreu, so niedlich, so klein gemalt und vor allem
so klein. Seine Kegelspieler z. B. müßten mit der Lupe angesehen werden,
um genau, gesehen zu werden. Das ist curios, das ist interessant und das ist
auch amüsant. Meissonnier ist gewiß ein bedeutender Künstler, der sein Fach
wohl versteht, er weiß zu zeichnen, er weiß mit seinem kleinen Pinsel den fein-


Juliette ist vortrefflich gemalt und ohne jenen c.onventionellen Ausdruck, welcher
den französischen Akademikern in ihrer Wiege in Rom von den Ammen der offi-
ciellen Kunst als ecmättw sino qu^ non eingeleiert wird, wäre das ein herr¬
liches Werk, Sie ist wohl gezeichnet und das Fleisch mit seltener Meisterschaft
gemalt. Auch ihre Henker, die sie aus die Folterbank niederdrücken, sind wohl
gestellt und bewegen sich natürlich — sowie überhaupt Herin manchem unsrer
modernen Künstler Vorlesungen über malerische Anatomie geben könnte. Der
Ausdruck der Männer ist aber wieder verfehlt. Der Akademiker wagte es,
offenbar nicht, sich sehen zu lassen, er fürchtete, zu gewaltsam und daher un¬
schicklich im Ausdrucke zu werden und so machte er lauter liebenswürdige
Jünglinge. Seine Henker erinnern uns an ein Bild von Spada, wo eine
ähnliche Scene dargestellt wird und der Henker mit einer lächelnden Miene
das Schwert aus der Scheide zieht und zu sagen scheint, „mein lieber Mär¬
tyrer, jetzt werde ich mir das Vergnügen und die Ehre machen, Sie zum
Heiligen zu köpfen." Der Lümmel, welcher der heiligen Juliette mit den
Fingern durch die Haare fährt, sieht grade so aus, als wollte er ihr das
Haupt mit irgendeiner Pomade von Piper salben. Das echte dramatische
Leben fehlt diesen Bildern, aber für einen Akademiker, von dem kein Mensch
mehr sprach, ist das mehr, als zu erwarten war. Doch wirklich verdient war
die Bewunderung, als man seine Preisvertheilung unter Karl X. zu Gesicht
bekam — das ist ein Meisterwerk. Einem so haben und monotonen Gegen¬
stande Reiz und poetisches Leben zu verleihen, solche abgeschmackte Costüme
künstlerisch zu adeln, das war nicht leicht und vollends diese Reichhaltigkeit
des Ausdrucks in den Physiognomien! Ebenso bewundernswerth sind die
sechzehn Kreideskiz;en , die er nach Mitgliedern der Akademie aufs Papier hin¬
warf; mit wenigen Strichen den Charakter einer Persönlichkeit wiederzugeben,
das vermag nur ein Meister und hentzutage in Frankreich neben ihm blos
Ingres, der Beherrscher aller Linien.

Meissonnier, der zuerst Herin auf der Liste der ersten Medaille» Platz
machen mußte, wußte sich mit seiner Virtuosenhaften Kleinmalerei doch end¬
lich unter die Propheten zu drängen und eine Medaille zu erlangen, die
größer ist, als manches seiner Gemälde. Meissonnier ist der Südpol'für
die spießbürgerliche Bewunderung, während Hvraze Vernet den Nordpol
einnimmt. Man macht vor seinen Bildern in der Ausstellung Queue wie
vor dem Theater oder wie vor den Kronjuwelen auf der JndustrieauSstel-
lnug. Das ist alles so naturgetreu, so niedlich, so klein gemalt und vor allem
so klein. Seine Kegelspieler z. B. müßten mit der Lupe angesehen werden,
um genau, gesehen zu werden. Das ist curios, das ist interessant und das ist
auch amüsant. Meissonnier ist gewiß ein bedeutender Künstler, der sein Fach
wohl versteht, er weiß zu zeichnen, er weiß mit seinem kleinen Pinsel den fein-


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[0517] Juliette ist vortrefflich gemalt und ohne jenen c.onventionellen Ausdruck, welcher den französischen Akademikern in ihrer Wiege in Rom von den Ammen der offi- ciellen Kunst als ecmättw sino qu^ non eingeleiert wird, wäre das ein herr¬ liches Werk, Sie ist wohl gezeichnet und das Fleisch mit seltener Meisterschaft gemalt. Auch ihre Henker, die sie aus die Folterbank niederdrücken, sind wohl gestellt und bewegen sich natürlich — sowie überhaupt Herin manchem unsrer modernen Künstler Vorlesungen über malerische Anatomie geben könnte. Der Ausdruck der Männer ist aber wieder verfehlt. Der Akademiker wagte es, offenbar nicht, sich sehen zu lassen, er fürchtete, zu gewaltsam und daher un¬ schicklich im Ausdrucke zu werden und so machte er lauter liebenswürdige Jünglinge. Seine Henker erinnern uns an ein Bild von Spada, wo eine ähnliche Scene dargestellt wird und der Henker mit einer lächelnden Miene das Schwert aus der Scheide zieht und zu sagen scheint, „mein lieber Mär¬ tyrer, jetzt werde ich mir das Vergnügen und die Ehre machen, Sie zum Heiligen zu köpfen." Der Lümmel, welcher der heiligen Juliette mit den Fingern durch die Haare fährt, sieht grade so aus, als wollte er ihr das Haupt mit irgendeiner Pomade von Piper salben. Das echte dramatische Leben fehlt diesen Bildern, aber für einen Akademiker, von dem kein Mensch mehr sprach, ist das mehr, als zu erwarten war. Doch wirklich verdient war die Bewunderung, als man seine Preisvertheilung unter Karl X. zu Gesicht bekam — das ist ein Meisterwerk. Einem so haben und monotonen Gegen¬ stande Reiz und poetisches Leben zu verleihen, solche abgeschmackte Costüme künstlerisch zu adeln, das war nicht leicht und vollends diese Reichhaltigkeit des Ausdrucks in den Physiognomien! Ebenso bewundernswerth sind die sechzehn Kreideskiz;en , die er nach Mitgliedern der Akademie aufs Papier hin¬ warf; mit wenigen Strichen den Charakter einer Persönlichkeit wiederzugeben, das vermag nur ein Meister und hentzutage in Frankreich neben ihm blos Ingres, der Beherrscher aller Linien. Meissonnier, der zuerst Herin auf der Liste der ersten Medaille» Platz machen mußte, wußte sich mit seiner Virtuosenhaften Kleinmalerei doch end¬ lich unter die Propheten zu drängen und eine Medaille zu erlangen, die größer ist, als manches seiner Gemälde. Meissonnier ist der Südpol'für die spießbürgerliche Bewunderung, während Hvraze Vernet den Nordpol einnimmt. Man macht vor seinen Bildern in der Ausstellung Queue wie vor dem Theater oder wie vor den Kronjuwelen auf der JndustrieauSstel- lnug. Das ist alles so naturgetreu, so niedlich, so klein gemalt und vor allem so klein. Seine Kegelspieler z. B. müßten mit der Lupe angesehen werden, um genau, gesehen zu werden. Das ist curios, das ist interessant und das ist auch amüsant. Meissonnier ist gewiß ein bedeutender Künstler, der sein Fach wohl versteht, er weiß zu zeichnen, er weiß mit seinem kleinen Pinsel den fein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/517>, abgerufen am 22.07.2024.