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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Fertigkeit im Zeichnen, in der Behandlung der Farbe, wie auch in der Com-
position, auch künstlerische Naivetät und diese bekämpft das Gefühl, das uns
zuweilen beim Anblicke seiner Gemälde überkommen möchte, als hätten wir
ein irgendwo bereits gesehenes Kunstwerk vor uns. Sein Gelübde von Ver¬
den de Haze verdient besonderer Erwähnung, ebenso wie der Spaziergang vor
den Stadtmauern nach Goethes Faust. Bertal de Haze vermacht seine Waffen
der Liebfrauenkirche, damit sie nach dreißig Jahren daselbst ausgehängt werden.
Diese Uebergabe an die Kirche nun schildert der Maler, Die Pfaffen mit
ihren aufgedunsenen und verdummten Gesichtern fitzen in ihren Bänken, wäh¬
rend die Sänger mit buntem Gewände und ohne Zähne das Maul auf eine
ebenso unappetitliche Weise öffnen, als ihr Gejohle das Ohr unharmonisch berus'
ren müßte. Frauen knien vor einem sargartigen Gerüste und die Mitglieder
der Armbrustgilde stehen hinter denselben. Der Ausdruck dieser verschiedenen
Physiognomien ist mit gewinnender Naivetät wiedergegeben. Die Kirche ist
vorzüglich dargestellt und das Licht mit weiser Oekonomie über die in harmo¬
nischem Colorit gehaltene Scene vertheilt. Die Zeichnung ist wol umgrenzt uno
mit Sicherheit entworfen -- aber der Ton , obgleich zusammenstimmend, ist ein
wenig schwer ausgefallen, sowie es diesem Gemälde auch an Lust fehlt. Luftiger
ist schon der Spaziergang aus dem Faust. Längs den Mauern der Stadt,
welche letztere man in meisterhaften Perspektiven vor sich liegen sieht, spazieren
die gestrengen Herren und Frauen des Senats mit andern Bürgerkindern, sich
ergebend und allerlei weise Gespräche führend, während Leute niedern Standes
auf der Erde sitzen. Der Frühling ist dem Philisterium in die Beine gefahren
und Faust, der mit Wagner auf einer Bank sitzt, macht seine Glossen darüber.
Wir kümmern uns wenig darum, ob Leps den Faust auf die Bank gesetzt, oder
wie andere behaupte", am Arm Gretchens vvrübenvandein läßt'-- das Ganze
bleibt ein vortreffliches Gemälde von ? poetischer Wirkung. Er hat Stil,
wenn auch keinen erhabenen und seine Schöpfungen haben Leben, sie be¬
rühren unser Gefühl, weil das Streben nach Annäherung an die alte
Tradition in ihm nicht alle Selbstständigkeit ertödtet und weil er Ge¬
müthlichkeit und Natur besitzt, die durch alle Manifestationen des schul-
beflissenen Künstlers hervorbrechen, wie die Sonne durch eine dünne Wolke
hindurchscheint.

Herin von der Akademie verdankt seine Auszeichnung nicht blos seinen
ehrenwerthen Gemälden, sondern zunächst dem Umstände, daß alle Weit er¬
staunt war, zu sehen, daß ein längst vergessener, todtgeglaubter Akademiker
mit Eclat im Licht der Sonne besteht. Man hat seine großen Heiligenbilder,
seine Märtyrergeschichten mit Vergnügen wieder gesehen. Dieselben haben sich
wohl erhalten und, ohne daß ihnen große Eigenschaften nachgerühmt werden
können, bekunden sie doch tüchtiges Wissen und fleißige Arbeit. Die heilige


Fertigkeit im Zeichnen, in der Behandlung der Farbe, wie auch in der Com-
position, auch künstlerische Naivetät und diese bekämpft das Gefühl, das uns
zuweilen beim Anblicke seiner Gemälde überkommen möchte, als hätten wir
ein irgendwo bereits gesehenes Kunstwerk vor uns. Sein Gelübde von Ver¬
den de Haze verdient besonderer Erwähnung, ebenso wie der Spaziergang vor
den Stadtmauern nach Goethes Faust. Bertal de Haze vermacht seine Waffen
der Liebfrauenkirche, damit sie nach dreißig Jahren daselbst ausgehängt werden.
Diese Uebergabe an die Kirche nun schildert der Maler, Die Pfaffen mit
ihren aufgedunsenen und verdummten Gesichtern fitzen in ihren Bänken, wäh¬
rend die Sänger mit buntem Gewände und ohne Zähne das Maul auf eine
ebenso unappetitliche Weise öffnen, als ihr Gejohle das Ohr unharmonisch berus'
ren müßte. Frauen knien vor einem sargartigen Gerüste und die Mitglieder
der Armbrustgilde stehen hinter denselben. Der Ausdruck dieser verschiedenen
Physiognomien ist mit gewinnender Naivetät wiedergegeben. Die Kirche ist
vorzüglich dargestellt und das Licht mit weiser Oekonomie über die in harmo¬
nischem Colorit gehaltene Scene vertheilt. Die Zeichnung ist wol umgrenzt uno
mit Sicherheit entworfen — aber der Ton , obgleich zusammenstimmend, ist ein
wenig schwer ausgefallen, sowie es diesem Gemälde auch an Lust fehlt. Luftiger
ist schon der Spaziergang aus dem Faust. Längs den Mauern der Stadt,
welche letztere man in meisterhaften Perspektiven vor sich liegen sieht, spazieren
die gestrengen Herren und Frauen des Senats mit andern Bürgerkindern, sich
ergebend und allerlei weise Gespräche führend, während Leute niedern Standes
auf der Erde sitzen. Der Frühling ist dem Philisterium in die Beine gefahren
und Faust, der mit Wagner auf einer Bank sitzt, macht seine Glossen darüber.
Wir kümmern uns wenig darum, ob Leps den Faust auf die Bank gesetzt, oder
wie andere behaupte», am Arm Gretchens vvrübenvandein läßt'— das Ganze
bleibt ein vortreffliches Gemälde von ? poetischer Wirkung. Er hat Stil,
wenn auch keinen erhabenen und seine Schöpfungen haben Leben, sie be¬
rühren unser Gefühl, weil das Streben nach Annäherung an die alte
Tradition in ihm nicht alle Selbstständigkeit ertödtet und weil er Ge¬
müthlichkeit und Natur besitzt, die durch alle Manifestationen des schul-
beflissenen Künstlers hervorbrechen, wie die Sonne durch eine dünne Wolke
hindurchscheint.

Herin von der Akademie verdankt seine Auszeichnung nicht blos seinen
ehrenwerthen Gemälden, sondern zunächst dem Umstände, daß alle Weit er¬
staunt war, zu sehen, daß ein längst vergessener, todtgeglaubter Akademiker
mit Eclat im Licht der Sonne besteht. Man hat seine großen Heiligenbilder,
seine Märtyrergeschichten mit Vergnügen wieder gesehen. Dieselben haben sich
wohl erhalten und, ohne daß ihnen große Eigenschaften nachgerühmt werden
können, bekunden sie doch tüchtiges Wissen und fleißige Arbeit. Die heilige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/516>, abgerufen am 22.07.2024.