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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Das Orakel schien sich besinnen zu müssen. Es schwieg eine Weile. Dann
rief es einmal, zweimal, dreimal und so fort, bis nach dem zwölften Male
der andere Begleiter dem weiteren Horchen ein Ziel setzte, indem er un¬
geduldig rief: "Fahr zu, Kutscher, der Kukuk weiß den Kukuk von der
Politik."

Sei die Zeit der Erlösung aber auch noch fern, der Krieg, den SchleSwig-
Hvlstein für sein gutes Recht geführt hat, ist in seinen Folgen unverloren.
Er hat nach unzähligen Seiten hin Erfreuliches gewirkt. Das Deutschthum
hat, äußerlich besiegt, innerlich in der Stimmung und im Bewußtsein des
Volkes Siege von größter Tragweite erfochten. Eine Sache, für die man
Opfer gebracht hat, gibt man nicht so leicht auf, als eine solche, für die man
sich blos mit Gedanken und Worten begeisterte. Die Bewohner der Herzog-
thümer waren ferner bis zum Jahre 1868 ein friedliches Volk von Ackerbauern,
Viehzüchtern und Seeleuten mit wenig Sinn für das Spiel der Waffen, und
wie es schien, auch mit wenig Geschick dazu. Die drei Kriegsjahre haben diese
itvllische Friedensliebe, die Grenzleuten übel ansteht, in allen Elassen der Ge¬
sellschaft zum geraden Gegentheile umgewandelt. Das Heer war in dem letzten
Feldzuge ein durchaus treffliches, und es winde, wenn der Krieg noch einige
Jahre gewährt hätte, den besten Truppen Europas ebenbürtig geworden sein.
Es war eine Bildungsschule für die Jugend der niedern Bevölkerungsschichten.
Die Nordschleswigcr lernten in ihm geläufiger deutsch, audere eigneten sich in
seinen Reihen stramme soldatische Manieren und eine noble, selbstbewußte Hal¬
tung, Pünktlichkeit und ein rasches Zugreifen, wo es Noth thut, an. Nirgend
begegnete ich bei Hausknechten, Kellnern und Kutschern einem so männlichen
Auftreten und so verständigen Urtheilen als hier, und wo dies am meisten
auffiel, war ich sicher, aus meine Frage zu erfahren, man habe in derschleswig-
holsteinischen Armee gedient.

Man hat sodann durch den Krieg die Erfahrung gemacht, daß man im
Nothfalle seine Sache allein ausfechten kann, daß man, gut geführt, den
Dänen nicht blos gewachsen, sondern überlegen ist. Man hat ferner gesehen,
daß ein Krieg in der Wirklichkeit kein so großes Uebel wie auf dem Papier
ist, daß Schleswig-Holstein ihn ohne sich zu erschöpfen Jahre lang fortführn
kann, und daß er auf die Sitten nicht immer verderblich, sondern -- denn nie
kamen weniger Verbrechen vor, nie waren die Gefängnisse leerer, als von 1848
bis 1851 -- vielleicht förderlich wirkt. Dazu kommt endlich die inhaltsschwere
Thatsache, daß bei der Theilnahme fast der gesammten waffenfähigen Jugend
am Kampfe binnen fünf Jahren beinahe aller Grundbesitz in den Händen von
Männern sein wird, welche als Jünglinge mit den Waffen gegen Dänemark
gestritten und sür diese Betheiligung am "Aufruhre" trotz der Amnestie mehr
oder minder gelitten haben.


Das Orakel schien sich besinnen zu müssen. Es schwieg eine Weile. Dann
rief es einmal, zweimal, dreimal und so fort, bis nach dem zwölften Male
der andere Begleiter dem weiteren Horchen ein Ziel setzte, indem er un¬
geduldig rief: „Fahr zu, Kutscher, der Kukuk weiß den Kukuk von der
Politik."

Sei die Zeit der Erlösung aber auch noch fern, der Krieg, den SchleSwig-
Hvlstein für sein gutes Recht geführt hat, ist in seinen Folgen unverloren.
Er hat nach unzähligen Seiten hin Erfreuliches gewirkt. Das Deutschthum
hat, äußerlich besiegt, innerlich in der Stimmung und im Bewußtsein des
Volkes Siege von größter Tragweite erfochten. Eine Sache, für die man
Opfer gebracht hat, gibt man nicht so leicht auf, als eine solche, für die man
sich blos mit Gedanken und Worten begeisterte. Die Bewohner der Herzog-
thümer waren ferner bis zum Jahre 1868 ein friedliches Volk von Ackerbauern,
Viehzüchtern und Seeleuten mit wenig Sinn für das Spiel der Waffen, und
wie es schien, auch mit wenig Geschick dazu. Die drei Kriegsjahre haben diese
itvllische Friedensliebe, die Grenzleuten übel ansteht, in allen Elassen der Ge¬
sellschaft zum geraden Gegentheile umgewandelt. Das Heer war in dem letzten
Feldzuge ein durchaus treffliches, und es winde, wenn der Krieg noch einige
Jahre gewährt hätte, den besten Truppen Europas ebenbürtig geworden sein.
Es war eine Bildungsschule für die Jugend der niedern Bevölkerungsschichten.
Die Nordschleswigcr lernten in ihm geläufiger deutsch, audere eigneten sich in
seinen Reihen stramme soldatische Manieren und eine noble, selbstbewußte Hal¬
tung, Pünktlichkeit und ein rasches Zugreifen, wo es Noth thut, an. Nirgend
begegnete ich bei Hausknechten, Kellnern und Kutschern einem so männlichen
Auftreten und so verständigen Urtheilen als hier, und wo dies am meisten
auffiel, war ich sicher, aus meine Frage zu erfahren, man habe in derschleswig-
holsteinischen Armee gedient.

Man hat sodann durch den Krieg die Erfahrung gemacht, daß man im
Nothfalle seine Sache allein ausfechten kann, daß man, gut geführt, den
Dänen nicht blos gewachsen, sondern überlegen ist. Man hat ferner gesehen,
daß ein Krieg in der Wirklichkeit kein so großes Uebel wie auf dem Papier
ist, daß Schleswig-Holstein ihn ohne sich zu erschöpfen Jahre lang fortführn
kann, und daß er auf die Sitten nicht immer verderblich, sondern — denn nie
kamen weniger Verbrechen vor, nie waren die Gefängnisse leerer, als von 1848
bis 1851 — vielleicht förderlich wirkt. Dazu kommt endlich die inhaltsschwere
Thatsache, daß bei der Theilnahme fast der gesammten waffenfähigen Jugend
am Kampfe binnen fünf Jahren beinahe aller Grundbesitz in den Händen von
Männern sein wird, welche als Jünglinge mit den Waffen gegen Dänemark
gestritten und sür diese Betheiligung am „Aufruhre" trotz der Amnestie mehr
oder minder gelitten haben.


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[0508] Das Orakel schien sich besinnen zu müssen. Es schwieg eine Weile. Dann rief es einmal, zweimal, dreimal und so fort, bis nach dem zwölften Male der andere Begleiter dem weiteren Horchen ein Ziel setzte, indem er un¬ geduldig rief: „Fahr zu, Kutscher, der Kukuk weiß den Kukuk von der Politik." Sei die Zeit der Erlösung aber auch noch fern, der Krieg, den SchleSwig- Hvlstein für sein gutes Recht geführt hat, ist in seinen Folgen unverloren. Er hat nach unzähligen Seiten hin Erfreuliches gewirkt. Das Deutschthum hat, äußerlich besiegt, innerlich in der Stimmung und im Bewußtsein des Volkes Siege von größter Tragweite erfochten. Eine Sache, für die man Opfer gebracht hat, gibt man nicht so leicht auf, als eine solche, für die man sich blos mit Gedanken und Worten begeisterte. Die Bewohner der Herzog- thümer waren ferner bis zum Jahre 1868 ein friedliches Volk von Ackerbauern, Viehzüchtern und Seeleuten mit wenig Sinn für das Spiel der Waffen, und wie es schien, auch mit wenig Geschick dazu. Die drei Kriegsjahre haben diese itvllische Friedensliebe, die Grenzleuten übel ansteht, in allen Elassen der Ge¬ sellschaft zum geraden Gegentheile umgewandelt. Das Heer war in dem letzten Feldzuge ein durchaus treffliches, und es winde, wenn der Krieg noch einige Jahre gewährt hätte, den besten Truppen Europas ebenbürtig geworden sein. Es war eine Bildungsschule für die Jugend der niedern Bevölkerungsschichten. Die Nordschleswigcr lernten in ihm geläufiger deutsch, audere eigneten sich in seinen Reihen stramme soldatische Manieren und eine noble, selbstbewußte Hal¬ tung, Pünktlichkeit und ein rasches Zugreifen, wo es Noth thut, an. Nirgend begegnete ich bei Hausknechten, Kellnern und Kutschern einem so männlichen Auftreten und so verständigen Urtheilen als hier, und wo dies am meisten auffiel, war ich sicher, aus meine Frage zu erfahren, man habe in derschleswig- holsteinischen Armee gedient. Man hat sodann durch den Krieg die Erfahrung gemacht, daß man im Nothfalle seine Sache allein ausfechten kann, daß man, gut geführt, den Dänen nicht blos gewachsen, sondern überlegen ist. Man hat ferner gesehen, daß ein Krieg in der Wirklichkeit kein so großes Uebel wie auf dem Papier ist, daß Schleswig-Holstein ihn ohne sich zu erschöpfen Jahre lang fortführn kann, und daß er auf die Sitten nicht immer verderblich, sondern — denn nie kamen weniger Verbrechen vor, nie waren die Gefängnisse leerer, als von 1848 bis 1851 — vielleicht förderlich wirkt. Dazu kommt endlich die inhaltsschwere Thatsache, daß bei der Theilnahme fast der gesammten waffenfähigen Jugend am Kampfe binnen fünf Jahren beinahe aller Grundbesitz in den Händen von Männern sein wird, welche als Jünglinge mit den Waffen gegen Dänemark gestritten und sür diese Betheiligung am „Aufruhre" trotz der Amnestie mehr oder minder gelitten haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/508>, abgerufen am 22.07.2024.