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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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erträglich. Während dem Besuch bei einem vortrefflichen Ehepaar, das sich freund¬
lich ihrer annahm, lernte Aurora Herrn Casimir Düdevant kennen, den natür¬
lichen Sohn eines französischen Obersten, der ihr seines nüchternen, leiden¬
schaftslosen Wesens wegen gefiel. Sie gewöhnten sich erst im Spiel daran,
sich als Mann und Frau zu verhalten, dann fanden sie es nicht unangemessen,
Ernst daraus zu machen. Die Mutter führte noch einige große Scenen ans,
endlich gab sie ihre Einwilligung, obgleich sie einen schönern Schwiegersohn
vorgezogen hätte, der ihr auf der Promenade den Arm geben konnte. So
fand die Hochzeit im September 1822 statt, und Aurora lebte seitdem mit
ihrem Mann auf dem Gut Nohant, welches sie von ihrer Großmutter geerbt
hatte. 1823 bekam sie einen Sohn, 1828 eine Tochter. Das Ehepaar lebte
im Ganzen friedlich und verträglich zusammen, aber es fehlte alle innere Ein¬
heit der Gemüther. Aurora wurde häufig von einem unbestimmten Leid be¬
fallen, das bis zur Lust deS Selbstmords sich steigerte. "Ohne uns etwas
verbergen zu wollen, wußten wir doch nichts miteinander zu reden, wir zank¬
ten niemals, im Gegentheil bemühte ich mich, mit den Augen meines Mannes
zu sehen, aber kaum hatte ich mich mit seinen Ideen in Uebereinstimmung
gesetzt, so fand ich mich mit meinen eignen Instincten in Widerspruch und ver¬
fiel in eine unaussprechliche Traurigkeit." Sie stellt über diesen Zustand im
siebenten Bande mehre philosophische Betrachtungen an, im zehnten dagegen
kommt sie zu der Ueberzeugung, daß ein Leberleiden die Hauptschuld daran
gewesen sei. Freilich kamen noch einige andere Umstände dazu, ihr ihre Lage
zu verleiden. Ihr Bruder, der Trunkenbold, lagerte sich bei ihr ein und führte
unangenehme Scenen auf, und wenn die pecuniären Verhältnisse der beiden
Gatten auch für eine bescheidene Eristenz vollkommen ausreichten, so fühlten
sie sich doch in mancher Beziehung genirt, und Aurora hatte das unangenehme
Gefühl, niemals Geld zu ihrer Disposition zu haben, sondern in all ihren
kleinen Liebhabereien von dem guten Willen ihres Mannes abhängig zu sein.
Im Sommer 182ö machten sie eine Reise in die Pyrenäen, und sie theilt
uns daraus die Fragmente eines Tagebuchs mit, in dem sie ihre Gemüths-
zustände firirt hat. Man hat später das Bild der Jndiana fälschlich auf sie
angewandt, aber in einem Punkt finden wir doch Uebereinstimmung. Sie
nahm zu voreilig die Miene einer tsmmo inoompriss an und bemühte sich zu
wenig, dem unklaren Verhältniß zu ihrem Mann eine offene natürliche Wen¬
dung zu geben. -- Nach der Rückkehr von den Pyrenäen hielten sie sich eine
Zeitlang ans dem Landgut ihres Schwiegervaters auf, in einer Gegend, wo
die Wölfe noch herdenweise den Wandrer anfielen. Der alte Herr, der sich
gegen seine Kinder sehr liebenswürdig benahm, wurde während ihrer Anwesen¬
heit vom Schlage gerührt und hinterließ sein Erbe seiner Witwe, der Stief¬
mutter Casimirs, die gegen Aurora von vornherein eine große Abneigung ge-


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erträglich. Während dem Besuch bei einem vortrefflichen Ehepaar, das sich freund¬
lich ihrer annahm, lernte Aurora Herrn Casimir Düdevant kennen, den natür¬
lichen Sohn eines französischen Obersten, der ihr seines nüchternen, leiden¬
schaftslosen Wesens wegen gefiel. Sie gewöhnten sich erst im Spiel daran,
sich als Mann und Frau zu verhalten, dann fanden sie es nicht unangemessen,
Ernst daraus zu machen. Die Mutter führte noch einige große Scenen ans,
endlich gab sie ihre Einwilligung, obgleich sie einen schönern Schwiegersohn
vorgezogen hätte, der ihr auf der Promenade den Arm geben konnte. So
fand die Hochzeit im September 1822 statt, und Aurora lebte seitdem mit
ihrem Mann auf dem Gut Nohant, welches sie von ihrer Großmutter geerbt
hatte. 1823 bekam sie einen Sohn, 1828 eine Tochter. Das Ehepaar lebte
im Ganzen friedlich und verträglich zusammen, aber es fehlte alle innere Ein¬
heit der Gemüther. Aurora wurde häufig von einem unbestimmten Leid be¬
fallen, das bis zur Lust deS Selbstmords sich steigerte. „Ohne uns etwas
verbergen zu wollen, wußten wir doch nichts miteinander zu reden, wir zank¬
ten niemals, im Gegentheil bemühte ich mich, mit den Augen meines Mannes
zu sehen, aber kaum hatte ich mich mit seinen Ideen in Uebereinstimmung
gesetzt, so fand ich mich mit meinen eignen Instincten in Widerspruch und ver¬
fiel in eine unaussprechliche Traurigkeit." Sie stellt über diesen Zustand im
siebenten Bande mehre philosophische Betrachtungen an, im zehnten dagegen
kommt sie zu der Ueberzeugung, daß ein Leberleiden die Hauptschuld daran
gewesen sei. Freilich kamen noch einige andere Umstände dazu, ihr ihre Lage
zu verleiden. Ihr Bruder, der Trunkenbold, lagerte sich bei ihr ein und führte
unangenehme Scenen auf, und wenn die pecuniären Verhältnisse der beiden
Gatten auch für eine bescheidene Eristenz vollkommen ausreichten, so fühlten
sie sich doch in mancher Beziehung genirt, und Aurora hatte das unangenehme
Gefühl, niemals Geld zu ihrer Disposition zu haben, sondern in all ihren
kleinen Liebhabereien von dem guten Willen ihres Mannes abhängig zu sein.
Im Sommer 182ö machten sie eine Reise in die Pyrenäen, und sie theilt
uns daraus die Fragmente eines Tagebuchs mit, in dem sie ihre Gemüths-
zustände firirt hat. Man hat später das Bild der Jndiana fälschlich auf sie
angewandt, aber in einem Punkt finden wir doch Uebereinstimmung. Sie
nahm zu voreilig die Miene einer tsmmo inoompriss an und bemühte sich zu
wenig, dem unklaren Verhältniß zu ihrem Mann eine offene natürliche Wen¬
dung zu geben. — Nach der Rückkehr von den Pyrenäen hielten sie sich eine
Zeitlang ans dem Landgut ihres Schwiegervaters auf, in einer Gegend, wo
die Wölfe noch herdenweise den Wandrer anfielen. Der alte Herr, der sich
gegen seine Kinder sehr liebenswürdig benahm, wurde während ihrer Anwesen¬
heit vom Schlage gerührt und hinterließ sein Erbe seiner Witwe, der Stief¬
mutter Casimirs, die gegen Aurora von vornherein eine große Abneigung ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/491>, abgerufen am 15.01.2025.