Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich hatte eben mein Gepäck aufstapeln lassen und meine leichte Reisematratze
ausgebreitet, als Hufschlag draußen vor der Thür die Ankunft neuer Gäste
ankündete. Eine ganze Gruppe von Reitern, im malerischesten Costüm, war
im Absteigen begriffen. Die Pferde waren klein und schlecht; nur eins
von höherem und zugleich feinerem Wuchs; auf meine Frage hieß es, es
sind Baschi-Bojutö, worunter man hier nicht durchweg irreguläre Cavalerie,
sondern im weiteren Sinne bewaffnete Civilisten versteht. Wenn auch die
Wege jetzt nicht mehr unsicher sind, wie vordem, ist es dennoch von früheren
Zeiten her Regel, nicht unbewaffnet zu reisen uno man befolgt sie dermaßen
ausnahmlos, daß man keinen Hirtenjungen sein Vieh auf die Weide treiben
sieht, der nicht in dem weiten und faltigen Bunde, der ein Vermittler zwischen
Pantalon und Jacke ist, mindestens eine, wenn auch noch so verrostete Pistole
trägt. Was eigentlich mit diesen klapperigen Schießgewehren, an denen ge¬
meiniglich der Schaft nur im allerlvsesten Zusammenhange mit dem Lauf steht,
anzufangen ist, wenn ein dringender Fall den Gebrauch erheischen sollte, wage
ich nicht zu bestimmen. So viel ist gewiß,' daß alle Reparaturen von den In¬
habern nach Möglichkeit selbst ausgeführt werden und dieses geht so weit, daß
man dann und wann Pistolen sieht, deren Schloß mit Bindfaden an Lauf
und Schaft befestigt ist. Besser' sind die langen Gewehre gehalten, die man
am Riemen über die Schulter trägt und namentlich sorgsam durch Umbinden
von Lappen und Tüchern gegen Regen und Thau zu schützen sucht. Der Schaft
derselben besteht nicht aus Holz, welches von der Construction der Waffe ganz
ausgeschlossen ist, sondern ebenfalls aus Metall, meistens Eisen oder Messing.
Der Kolben ist schmal gearbeitet, um. das Ganze nicht zu schwer werden zu.
lassen und am Stoß, zur bequemeren Anlegung an die Schulter beim Schie¬
ßen, ausgerundet.

Man hat in neuerer Zeit die Erfolge der Türken im Felde, auf die man
in Rücksicht auf den Ausgang des Krieges von -1828--29 wenig vorbereitet
war, hier und dort mit etwas Unglauben und in den meisten Fällen mit Er¬
staunen hingenommen; wer sie sich zu erklären bemüht war, fand keinen andern
Grund für dieselben auf, als die verbesserte Taktik und den freudigen Opfermuth,
der aus dem religiösen Fanatismus entspringt. Ich bin der Ansicht, daß man
die Wirkungen des letzter", der auch den Russen gegenüber nicht stark hervor¬
tritt, überschätzt, daß man die angeborene Tapferkeit des Osmcincn mit dem
Product seines Glaubens verwechselt und vornehmlich eins in Anrechnung zu
bringen vergißt: die verbesserte Bewaffnung. Wenn die Baschi-Bojuts
allerwärts nur wenig leisteten (ein paar Ausnahmen ungerechnet) so liegt daS
allerdings der Hauptsache nach in ihrer Regellosigkeit, die eine Leitung un¬
möglich macht; aber ihre unzureichenden blanken und Feuerwaffen trugen eben¬
falls nicht wenig dazu bei. In den früheren Kriegen der letzten hundert Jahre


Ich hatte eben mein Gepäck aufstapeln lassen und meine leichte Reisematratze
ausgebreitet, als Hufschlag draußen vor der Thür die Ankunft neuer Gäste
ankündete. Eine ganze Gruppe von Reitern, im malerischesten Costüm, war
im Absteigen begriffen. Die Pferde waren klein und schlecht; nur eins
von höherem und zugleich feinerem Wuchs; auf meine Frage hieß es, es
sind Baschi-Bojutö, worunter man hier nicht durchweg irreguläre Cavalerie,
sondern im weiteren Sinne bewaffnete Civilisten versteht. Wenn auch die
Wege jetzt nicht mehr unsicher sind, wie vordem, ist es dennoch von früheren
Zeiten her Regel, nicht unbewaffnet zu reisen uno man befolgt sie dermaßen
ausnahmlos, daß man keinen Hirtenjungen sein Vieh auf die Weide treiben
sieht, der nicht in dem weiten und faltigen Bunde, der ein Vermittler zwischen
Pantalon und Jacke ist, mindestens eine, wenn auch noch so verrostete Pistole
trägt. Was eigentlich mit diesen klapperigen Schießgewehren, an denen ge¬
meiniglich der Schaft nur im allerlvsesten Zusammenhange mit dem Lauf steht,
anzufangen ist, wenn ein dringender Fall den Gebrauch erheischen sollte, wage
ich nicht zu bestimmen. So viel ist gewiß,' daß alle Reparaturen von den In¬
habern nach Möglichkeit selbst ausgeführt werden und dieses geht so weit, daß
man dann und wann Pistolen sieht, deren Schloß mit Bindfaden an Lauf
und Schaft befestigt ist. Besser' sind die langen Gewehre gehalten, die man
am Riemen über die Schulter trägt und namentlich sorgsam durch Umbinden
von Lappen und Tüchern gegen Regen und Thau zu schützen sucht. Der Schaft
derselben besteht nicht aus Holz, welches von der Construction der Waffe ganz
ausgeschlossen ist, sondern ebenfalls aus Metall, meistens Eisen oder Messing.
Der Kolben ist schmal gearbeitet, um. das Ganze nicht zu schwer werden zu.
lassen und am Stoß, zur bequemeren Anlegung an die Schulter beim Schie¬
ßen, ausgerundet.

Man hat in neuerer Zeit die Erfolge der Türken im Felde, auf die man
in Rücksicht auf den Ausgang des Krieges von -1828—29 wenig vorbereitet
war, hier und dort mit etwas Unglauben und in den meisten Fällen mit Er¬
staunen hingenommen; wer sie sich zu erklären bemüht war, fand keinen andern
Grund für dieselben auf, als die verbesserte Taktik und den freudigen Opfermuth,
der aus dem religiösen Fanatismus entspringt. Ich bin der Ansicht, daß man
die Wirkungen des letzter», der auch den Russen gegenüber nicht stark hervor¬
tritt, überschätzt, daß man die angeborene Tapferkeit des Osmcincn mit dem
Product seines Glaubens verwechselt und vornehmlich eins in Anrechnung zu
bringen vergißt: die verbesserte Bewaffnung. Wenn die Baschi-Bojuts
allerwärts nur wenig leisteten (ein paar Ausnahmen ungerechnet) so liegt daS
allerdings der Hauptsache nach in ihrer Regellosigkeit, die eine Leitung un¬
möglich macht; aber ihre unzureichenden blanken und Feuerwaffen trugen eben¬
falls nicht wenig dazu bei. In den früheren Kriegen der letzten hundert Jahre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100925"/>
            <p xml:id="ID_1388"> Ich hatte eben mein Gepäck aufstapeln lassen und meine leichte Reisematratze<lb/>
ausgebreitet, als Hufschlag draußen vor der Thür die Ankunft neuer Gäste<lb/>
ankündete. Eine ganze Gruppe von Reitern, im malerischesten Costüm, war<lb/>
im Absteigen begriffen. Die Pferde waren klein und schlecht; nur eins<lb/>
von höherem und zugleich feinerem Wuchs; auf meine Frage hieß es, es<lb/>
sind Baschi-Bojutö, worunter man hier nicht durchweg irreguläre Cavalerie,<lb/>
sondern im weiteren Sinne bewaffnete Civilisten versteht. Wenn auch die<lb/>
Wege jetzt nicht mehr unsicher sind, wie vordem, ist es dennoch von früheren<lb/>
Zeiten her Regel, nicht unbewaffnet zu reisen uno man befolgt sie dermaßen<lb/>
ausnahmlos, daß man keinen Hirtenjungen sein Vieh auf die Weide treiben<lb/>
sieht, der nicht in dem weiten und faltigen Bunde, der ein Vermittler zwischen<lb/>
Pantalon und Jacke ist, mindestens eine, wenn auch noch so verrostete Pistole<lb/>
trägt. Was eigentlich mit diesen klapperigen Schießgewehren, an denen ge¬<lb/>
meiniglich der Schaft nur im allerlvsesten Zusammenhange mit dem Lauf steht,<lb/>
anzufangen ist, wenn ein dringender Fall den Gebrauch erheischen sollte, wage<lb/>
ich nicht zu bestimmen. So viel ist gewiß,' daß alle Reparaturen von den In¬<lb/>
habern nach Möglichkeit selbst ausgeführt werden und dieses geht so weit, daß<lb/>
man dann und wann Pistolen sieht, deren Schloß mit Bindfaden an Lauf<lb/>
und Schaft befestigt ist. Besser' sind die langen Gewehre gehalten, die man<lb/>
am Riemen über die Schulter trägt und namentlich sorgsam durch Umbinden<lb/>
von Lappen und Tüchern gegen Regen und Thau zu schützen sucht. Der Schaft<lb/>
derselben besteht nicht aus Holz, welches von der Construction der Waffe ganz<lb/>
ausgeschlossen ist, sondern ebenfalls aus Metall, meistens Eisen oder Messing.<lb/>
Der Kolben ist schmal gearbeitet, um. das Ganze nicht zu schwer werden zu.<lb/>
lassen und am Stoß, zur bequemeren Anlegung an die Schulter beim Schie¬<lb/>
ßen, ausgerundet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1389" next="#ID_1390"> Man hat in neuerer Zeit die Erfolge der Türken im Felde, auf die man<lb/>
in Rücksicht auf den Ausgang des Krieges von -1828&#x2014;29 wenig vorbereitet<lb/>
war, hier und dort mit etwas Unglauben und in den meisten Fällen mit Er¬<lb/>
staunen hingenommen; wer sie sich zu erklären bemüht war, fand keinen andern<lb/>
Grund für dieselben auf, als die verbesserte Taktik und den freudigen Opfermuth,<lb/>
der aus dem religiösen Fanatismus entspringt. Ich bin der Ansicht, daß man<lb/>
die Wirkungen des letzter», der auch den Russen gegenüber nicht stark hervor¬<lb/>
tritt, überschätzt, daß man die angeborene Tapferkeit des Osmcincn mit dem<lb/>
Product seines Glaubens verwechselt und vornehmlich eins in Anrechnung zu<lb/>
bringen vergißt: die verbesserte Bewaffnung. Wenn die Baschi-Bojuts<lb/>
allerwärts nur wenig leisteten (ein paar Ausnahmen ungerechnet) so liegt daS<lb/>
allerdings der Hauptsache nach in ihrer Regellosigkeit, die eine Leitung un¬<lb/>
möglich macht; aber ihre unzureichenden blanken und Feuerwaffen trugen eben¬<lb/>
falls nicht wenig dazu bei. In den früheren Kriegen der letzten hundert Jahre</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0471] Ich hatte eben mein Gepäck aufstapeln lassen und meine leichte Reisematratze ausgebreitet, als Hufschlag draußen vor der Thür die Ankunft neuer Gäste ankündete. Eine ganze Gruppe von Reitern, im malerischesten Costüm, war im Absteigen begriffen. Die Pferde waren klein und schlecht; nur eins von höherem und zugleich feinerem Wuchs; auf meine Frage hieß es, es sind Baschi-Bojutö, worunter man hier nicht durchweg irreguläre Cavalerie, sondern im weiteren Sinne bewaffnete Civilisten versteht. Wenn auch die Wege jetzt nicht mehr unsicher sind, wie vordem, ist es dennoch von früheren Zeiten her Regel, nicht unbewaffnet zu reisen uno man befolgt sie dermaßen ausnahmlos, daß man keinen Hirtenjungen sein Vieh auf die Weide treiben sieht, der nicht in dem weiten und faltigen Bunde, der ein Vermittler zwischen Pantalon und Jacke ist, mindestens eine, wenn auch noch so verrostete Pistole trägt. Was eigentlich mit diesen klapperigen Schießgewehren, an denen ge¬ meiniglich der Schaft nur im allerlvsesten Zusammenhange mit dem Lauf steht, anzufangen ist, wenn ein dringender Fall den Gebrauch erheischen sollte, wage ich nicht zu bestimmen. So viel ist gewiß,' daß alle Reparaturen von den In¬ habern nach Möglichkeit selbst ausgeführt werden und dieses geht so weit, daß man dann und wann Pistolen sieht, deren Schloß mit Bindfaden an Lauf und Schaft befestigt ist. Besser' sind die langen Gewehre gehalten, die man am Riemen über die Schulter trägt und namentlich sorgsam durch Umbinden von Lappen und Tüchern gegen Regen und Thau zu schützen sucht. Der Schaft derselben besteht nicht aus Holz, welches von der Construction der Waffe ganz ausgeschlossen ist, sondern ebenfalls aus Metall, meistens Eisen oder Messing. Der Kolben ist schmal gearbeitet, um. das Ganze nicht zu schwer werden zu. lassen und am Stoß, zur bequemeren Anlegung an die Schulter beim Schie¬ ßen, ausgerundet. Man hat in neuerer Zeit die Erfolge der Türken im Felde, auf die man in Rücksicht auf den Ausgang des Krieges von -1828—29 wenig vorbereitet war, hier und dort mit etwas Unglauben und in den meisten Fällen mit Er¬ staunen hingenommen; wer sie sich zu erklären bemüht war, fand keinen andern Grund für dieselben auf, als die verbesserte Taktik und den freudigen Opfermuth, der aus dem religiösen Fanatismus entspringt. Ich bin der Ansicht, daß man die Wirkungen des letzter», der auch den Russen gegenüber nicht stark hervor¬ tritt, überschätzt, daß man die angeborene Tapferkeit des Osmcincn mit dem Product seines Glaubens verwechselt und vornehmlich eins in Anrechnung zu bringen vergißt: die verbesserte Bewaffnung. Wenn die Baschi-Bojuts allerwärts nur wenig leisteten (ein paar Ausnahmen ungerechnet) so liegt daS allerdings der Hauptsache nach in ihrer Regellosigkeit, die eine Leitung un¬ möglich macht; aber ihre unzureichenden blanken und Feuerwaffen trugen eben¬ falls nicht wenig dazu bei. In den früheren Kriegen der letzten hundert Jahre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/471
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/471>, abgerufen am 15.01.2025.