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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Leib." Man sah zwar daraus die Stärke seiner Behauptung, aber die Sache
selbst wurde um nichts klarer; bei der Disputation thun es nicht die Behaup¬
tungen, sondern die Beweise und solche sind nicht vorhanden. Wenn mir
Brot und Wein gereicht wird, mit der Bedeutung, das sei Fleisch und Blut
Christi und ich auch nicht in reformirten Sinne an ein Sinnbild, noch in
katholischem an wirkliche Wandlung denken soll: so bleibt allerdings nichts
übrig, als ein absolutes blaues Wunder. Von Erklären kann da keine Rede
mehr sein, alles Bemühen dreht sich nur darum, der Sache eine zweckmäßig
erbauliche Seite abzugewinnen. Weiter wagt sich auch Kliefath nicht, indem
er die Nothwendigkeit dieses Sacraments in lutherischem Sinne also de--
monstrirt:

"Es ist nicht genug, daß der zur Rechten Gottes erhöhte Sohn Gottes
in erlösender Allmächtigkeit allgegenwärtig sei, sondern ich armer Mensch, der
ich vermöge meiner Sündhaftigkeit nicht blos nach meinem äußerlichen Men¬
schen in Raum und Zeit lebe, sondern in dieselben auch nach meinem inwen¬
digen Menschen gar verloren und versunken bin, habe das Bedürfniß, daß
dieser Herr und Heiland mir in die Aeußerlichkeit meines Lebens
folge und in sinnlich wahrnehmbarer Weise mir entgegentrete,
sich vor mir hören und sehen lasse, wenn ich überhaupt von ihm gefunden
werden und ihn finden soll. ... Wir müssen (durch gewisse Mittel, an
welche seine Präsenz gebunden ist) wissen, wo wir den Herrn und
seinen Geist treffen, hören, sehen, fühlen und finden." (S. 13i--3S.)

Da ist ja die Philosophie des Fetisch! So weit ist doch Luther, seinen
Lieblingsneigungen zu Gute, für die er bekanntlich viel wagte, höchstens auf
Augenblicke heruntergesunken. Man sieht auch hier den Angstschweiß des
Verfassers und das lastende Gefühl der Unklarheit med Schwäche, wie überall
da, wo er rein aus den Mitteln seines Geistes etwas zu ergründen strebt.
Gewissen Leuten wird er nichtsdestoweniger eben dadurch als profunder Kopf
imponiren, um so mehr, je effectvoller gewisse Schlagworte predigtweise zwischen-
gemengt sind.

Die Gnadenmittel erzeugen ein "Gnadenmittelamt", (zweites Buch). Pos¬
sierlich zu sehen ist, wie zur Verwaltung dieser Gnadenmitte.! die Nothwendig¬
keit eines besondern "Amts" herausgeschnitzelt wird. Wenn irgendetwas, so
steht doch dieses fest, daß jeder Christ solche Dinge annehmen und auch wieder
weitergeben kann, also so gut taufen und Abendmahl reichen, als Abschnitte
der Bibel vorlesen und auslegen. Aber wenn man es so einfach bei vernünf¬
tiger Freiheit ließe, wie stünde es dann um eine "amtliche" Priesterei? Dem
Verfasser gehen solchem Recht gegenüber auch wieder die Gründe aus, denn
die Behauptung (S. 194), es habe "nie eine Zeit in der Kirche gegeben,"
welche "ohne amtlichen Auftrag" dergleichen unternehmen dürfen, ist gradezu


Leib." Man sah zwar daraus die Stärke seiner Behauptung, aber die Sache
selbst wurde um nichts klarer; bei der Disputation thun es nicht die Behaup¬
tungen, sondern die Beweise und solche sind nicht vorhanden. Wenn mir
Brot und Wein gereicht wird, mit der Bedeutung, das sei Fleisch und Blut
Christi und ich auch nicht in reformirten Sinne an ein Sinnbild, noch in
katholischem an wirkliche Wandlung denken soll: so bleibt allerdings nichts
übrig, als ein absolutes blaues Wunder. Von Erklären kann da keine Rede
mehr sein, alles Bemühen dreht sich nur darum, der Sache eine zweckmäßig
erbauliche Seite abzugewinnen. Weiter wagt sich auch Kliefath nicht, indem
er die Nothwendigkeit dieses Sacraments in lutherischem Sinne also de--
monstrirt:

„Es ist nicht genug, daß der zur Rechten Gottes erhöhte Sohn Gottes
in erlösender Allmächtigkeit allgegenwärtig sei, sondern ich armer Mensch, der
ich vermöge meiner Sündhaftigkeit nicht blos nach meinem äußerlichen Men¬
schen in Raum und Zeit lebe, sondern in dieselben auch nach meinem inwen¬
digen Menschen gar verloren und versunken bin, habe das Bedürfniß, daß
dieser Herr und Heiland mir in die Aeußerlichkeit meines Lebens
folge und in sinnlich wahrnehmbarer Weise mir entgegentrete,
sich vor mir hören und sehen lasse, wenn ich überhaupt von ihm gefunden
werden und ihn finden soll. ... Wir müssen (durch gewisse Mittel, an
welche seine Präsenz gebunden ist) wissen, wo wir den Herrn und
seinen Geist treffen, hören, sehen, fühlen und finden." (S. 13i—3S.)

Da ist ja die Philosophie des Fetisch! So weit ist doch Luther, seinen
Lieblingsneigungen zu Gute, für die er bekanntlich viel wagte, höchstens auf
Augenblicke heruntergesunken. Man sieht auch hier den Angstschweiß des
Verfassers und das lastende Gefühl der Unklarheit med Schwäche, wie überall
da, wo er rein aus den Mitteln seines Geistes etwas zu ergründen strebt.
Gewissen Leuten wird er nichtsdestoweniger eben dadurch als profunder Kopf
imponiren, um so mehr, je effectvoller gewisse Schlagworte predigtweise zwischen-
gemengt sind.

Die Gnadenmittel erzeugen ein „Gnadenmittelamt", (zweites Buch). Pos¬
sierlich zu sehen ist, wie zur Verwaltung dieser Gnadenmitte.! die Nothwendig¬
keit eines besondern „Amts" herausgeschnitzelt wird. Wenn irgendetwas, so
steht doch dieses fest, daß jeder Christ solche Dinge annehmen und auch wieder
weitergeben kann, also so gut taufen und Abendmahl reichen, als Abschnitte
der Bibel vorlesen und auslegen. Aber wenn man es so einfach bei vernünf¬
tiger Freiheit ließe, wie stünde es dann um eine „amtliche" Priesterei? Dem
Verfasser gehen solchem Recht gegenüber auch wieder die Gründe aus, denn
die Behauptung (S. 194), es habe „nie eine Zeit in der Kirche gegeben,"
welche „ohne amtlichen Auftrag" dergleichen unternehmen dürfen, ist gradezu


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[0424] Leib." Man sah zwar daraus die Stärke seiner Behauptung, aber die Sache selbst wurde um nichts klarer; bei der Disputation thun es nicht die Behaup¬ tungen, sondern die Beweise und solche sind nicht vorhanden. Wenn mir Brot und Wein gereicht wird, mit der Bedeutung, das sei Fleisch und Blut Christi und ich auch nicht in reformirten Sinne an ein Sinnbild, noch in katholischem an wirkliche Wandlung denken soll: so bleibt allerdings nichts übrig, als ein absolutes blaues Wunder. Von Erklären kann da keine Rede mehr sein, alles Bemühen dreht sich nur darum, der Sache eine zweckmäßig erbauliche Seite abzugewinnen. Weiter wagt sich auch Kliefath nicht, indem er die Nothwendigkeit dieses Sacraments in lutherischem Sinne also de-- monstrirt: „Es ist nicht genug, daß der zur Rechten Gottes erhöhte Sohn Gottes in erlösender Allmächtigkeit allgegenwärtig sei, sondern ich armer Mensch, der ich vermöge meiner Sündhaftigkeit nicht blos nach meinem äußerlichen Men¬ schen in Raum und Zeit lebe, sondern in dieselben auch nach meinem inwen¬ digen Menschen gar verloren und versunken bin, habe das Bedürfniß, daß dieser Herr und Heiland mir in die Aeußerlichkeit meines Lebens folge und in sinnlich wahrnehmbarer Weise mir entgegentrete, sich vor mir hören und sehen lasse, wenn ich überhaupt von ihm gefunden werden und ihn finden soll. ... Wir müssen (durch gewisse Mittel, an welche seine Präsenz gebunden ist) wissen, wo wir den Herrn und seinen Geist treffen, hören, sehen, fühlen und finden." (S. 13i—3S.) Da ist ja die Philosophie des Fetisch! So weit ist doch Luther, seinen Lieblingsneigungen zu Gute, für die er bekanntlich viel wagte, höchstens auf Augenblicke heruntergesunken. Man sieht auch hier den Angstschweiß des Verfassers und das lastende Gefühl der Unklarheit med Schwäche, wie überall da, wo er rein aus den Mitteln seines Geistes etwas zu ergründen strebt. Gewissen Leuten wird er nichtsdestoweniger eben dadurch als profunder Kopf imponiren, um so mehr, je effectvoller gewisse Schlagworte predigtweise zwischen- gemengt sind. Die Gnadenmittel erzeugen ein „Gnadenmittelamt", (zweites Buch). Pos¬ sierlich zu sehen ist, wie zur Verwaltung dieser Gnadenmitte.! die Nothwendig¬ keit eines besondern „Amts" herausgeschnitzelt wird. Wenn irgendetwas, so steht doch dieses fest, daß jeder Christ solche Dinge annehmen und auch wieder weitergeben kann, also so gut taufen und Abendmahl reichen, als Abschnitte der Bibel vorlesen und auslegen. Aber wenn man es so einfach bei vernünf¬ tiger Freiheit ließe, wie stünde es dann um eine „amtliche" Priesterei? Dem Verfasser gehen solchem Recht gegenüber auch wieder die Gründe aus, denn die Behauptung (S. 194), es habe „nie eine Zeit in der Kirche gegeben," welche „ohne amtlichen Auftrag" dergleichen unternehmen dürfen, ist gradezu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/424>, abgerufen am 25.08.2024.