Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die ihn ins Leben riefen und wachsen ließen, actenmäßig ans Licht. Halten
wir den Gedanken fest, daß ein Staat durch dieselben Künste, die ihn groß
machten, auch erhalten wird, so legen wir Droysens meisterhafte Arbeit nicht
ohne tiefe Bewegung, doch auch nicht ohne Hoffnung aus der Hand. Denn
die geschichtliche Nothwendigkeit, der politische Gedanke, die den preußischen
Staat ins Leben riefen, wirken noch heute dergestalt, daß sie, selbst wenn
Preußen zertrümmert werden sollte, ringen würden, ein zweites Preußen zu
schaffen.

Im ersten Abschnitt seines Werks handelt Drovsen von den brandenburgi¬
schen Marken. Die Altmark wurde begründet, um der Ausbreitung slawischer
Stämme, die alles Land bis zur Elbe und darüber hinaus occupirt hatten,
einen Damm entgegenzusetzen und die der deutschen Zunge entrissenen Gebiete
allmälig wiederzugewinnen. Unter Otto l. gelang es zum Theil; es wurden
die Bisthümer von Havelberg und Brandenburg gestiftet; aber seit 983 gingen
die meisten Errungenschaften wieder verloren und es wuchs die Gefahr für
Deutschland, die Landschaften ostwärts von der Elbe dauernd an die slawische
Nation zu verlieren. Denn eben damals bildeten sich aufstrebende slawische
Staaten in Polen und Böhmen, unter Fürsten, die das Christenthum an¬
nahmen; Polen riß Schlesien an sich, besetzte den Netzdistrict, dehnte seine
Herrschaft bis an die Ostsee und die Oder aus; auch in dem slawischen Mecklen¬
burg erhob sich ein Fürstenthum zu bedeutendem Ansehen. So von neuen, um
sich greifenden slawischen Staaten eingeengt, schienen nicht nur die Marken
und die Lausitz für das deutsche Reich verloren, sondern auch der Besitz des
meißner Landes gefährdet. In dieser kritischen Periode wurde der Gedanke, der
die Marken begründet hatte, wieder lebendig: als ein Hort deutscher Nationa¬
lität im Osten erhielt Albrecht der Bär den, wie es schien, verlorenen Posten;
er und seine tüchtigen Nachfolger gaben diesen Landen ihre eigentliche Bedeutung
wieder, retteten sie für Deutschland durch glücklichen Kampf und durch die noch
wirkungsvollere Coloniscttion.

Und wiederum, als das erlauchte Geschlecht der Askcmier in den Marken
erloschen war; als hier in den Zeiten der Quitzows zügellose Verwilderung,
Auflösung und Ohnmacht einbrach, dagegen im Norden die skandinavische
Union zu Stande gebracht wurde mit ihrer Gefahr für die Hansa und die
Deutschen in Schleswig-Holstein, im Osten Lithauen und Polen in der Hand
des kühnen Jagellv vereinigt wurden, die sinkende Ordensherrschast durch die
furchtbare Schlacht bei Tannenberg einen tödtlichen Stoß erlitt; als in Böhmen
die slawisch-hussttische Bewegung mit unwiderstehlicher Gewalt um sich griff;
mit einem Wort, als sich für die ostdeutschen Lande eine Gefahr zusammenzog,
wie nie zuvor, da regte sich wieder mit Macht die Erinnerung an die Bedeu¬
tung und Aufgabe der brandenburgischen Marken. Daß diese Landschaften


die ihn ins Leben riefen und wachsen ließen, actenmäßig ans Licht. Halten
wir den Gedanken fest, daß ein Staat durch dieselben Künste, die ihn groß
machten, auch erhalten wird, so legen wir Droysens meisterhafte Arbeit nicht
ohne tiefe Bewegung, doch auch nicht ohne Hoffnung aus der Hand. Denn
die geschichtliche Nothwendigkeit, der politische Gedanke, die den preußischen
Staat ins Leben riefen, wirken noch heute dergestalt, daß sie, selbst wenn
Preußen zertrümmert werden sollte, ringen würden, ein zweites Preußen zu
schaffen.

Im ersten Abschnitt seines Werks handelt Drovsen von den brandenburgi¬
schen Marken. Die Altmark wurde begründet, um der Ausbreitung slawischer
Stämme, die alles Land bis zur Elbe und darüber hinaus occupirt hatten,
einen Damm entgegenzusetzen und die der deutschen Zunge entrissenen Gebiete
allmälig wiederzugewinnen. Unter Otto l. gelang es zum Theil; es wurden
die Bisthümer von Havelberg und Brandenburg gestiftet; aber seit 983 gingen
die meisten Errungenschaften wieder verloren und es wuchs die Gefahr für
Deutschland, die Landschaften ostwärts von der Elbe dauernd an die slawische
Nation zu verlieren. Denn eben damals bildeten sich aufstrebende slawische
Staaten in Polen und Böhmen, unter Fürsten, die das Christenthum an¬
nahmen; Polen riß Schlesien an sich, besetzte den Netzdistrict, dehnte seine
Herrschaft bis an die Ostsee und die Oder aus; auch in dem slawischen Mecklen¬
burg erhob sich ein Fürstenthum zu bedeutendem Ansehen. So von neuen, um
sich greifenden slawischen Staaten eingeengt, schienen nicht nur die Marken
und die Lausitz für das deutsche Reich verloren, sondern auch der Besitz des
meißner Landes gefährdet. In dieser kritischen Periode wurde der Gedanke, der
die Marken begründet hatte, wieder lebendig: als ein Hort deutscher Nationa¬
lität im Osten erhielt Albrecht der Bär den, wie es schien, verlorenen Posten;
er und seine tüchtigen Nachfolger gaben diesen Landen ihre eigentliche Bedeutung
wieder, retteten sie für Deutschland durch glücklichen Kampf und durch die noch
wirkungsvollere Coloniscttion.

Und wiederum, als das erlauchte Geschlecht der Askcmier in den Marken
erloschen war; als hier in den Zeiten der Quitzows zügellose Verwilderung,
Auflösung und Ohnmacht einbrach, dagegen im Norden die skandinavische
Union zu Stande gebracht wurde mit ihrer Gefahr für die Hansa und die
Deutschen in Schleswig-Holstein, im Osten Lithauen und Polen in der Hand
des kühnen Jagellv vereinigt wurden, die sinkende Ordensherrschast durch die
furchtbare Schlacht bei Tannenberg einen tödtlichen Stoß erlitt; als in Böhmen
die slawisch-hussttische Bewegung mit unwiderstehlicher Gewalt um sich griff;
mit einem Wort, als sich für die ostdeutschen Lande eine Gefahr zusammenzog,
wie nie zuvor, da regte sich wieder mit Macht die Erinnerung an die Bedeu¬
tung und Aufgabe der brandenburgischen Marken. Daß diese Landschaften


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100866"/>
          <p xml:id="ID_1226" prev="#ID_1225"> die ihn ins Leben riefen und wachsen ließen, actenmäßig ans Licht. Halten<lb/>
wir den Gedanken fest, daß ein Staat durch dieselben Künste, die ihn groß<lb/>
machten, auch erhalten wird, so legen wir Droysens meisterhafte Arbeit nicht<lb/>
ohne tiefe Bewegung, doch auch nicht ohne Hoffnung aus der Hand. Denn<lb/>
die geschichtliche Nothwendigkeit, der politische Gedanke, die den preußischen<lb/>
Staat ins Leben riefen, wirken noch heute dergestalt, daß sie, selbst wenn<lb/>
Preußen zertrümmert werden sollte, ringen würden, ein zweites Preußen zu<lb/>
schaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1227"> Im ersten Abschnitt seines Werks handelt Drovsen von den brandenburgi¬<lb/>
schen Marken. Die Altmark wurde begründet, um der Ausbreitung slawischer<lb/>
Stämme, die alles Land bis zur Elbe und darüber hinaus occupirt hatten,<lb/>
einen Damm entgegenzusetzen und die der deutschen Zunge entrissenen Gebiete<lb/>
allmälig wiederzugewinnen. Unter Otto l. gelang es zum Theil; es wurden<lb/>
die Bisthümer von Havelberg und Brandenburg gestiftet; aber seit 983 gingen<lb/>
die meisten Errungenschaften wieder verloren und es wuchs die Gefahr für<lb/>
Deutschland, die Landschaften ostwärts von der Elbe dauernd an die slawische<lb/>
Nation zu verlieren. Denn eben damals bildeten sich aufstrebende slawische<lb/>
Staaten in Polen und Böhmen, unter Fürsten, die das Christenthum an¬<lb/>
nahmen; Polen riß Schlesien an sich, besetzte den Netzdistrict, dehnte seine<lb/>
Herrschaft bis an die Ostsee und die Oder aus; auch in dem slawischen Mecklen¬<lb/>
burg erhob sich ein Fürstenthum zu bedeutendem Ansehen. So von neuen, um<lb/>
sich greifenden slawischen Staaten eingeengt, schienen nicht nur die Marken<lb/>
und die Lausitz für das deutsche Reich verloren, sondern auch der Besitz des<lb/>
meißner Landes gefährdet. In dieser kritischen Periode wurde der Gedanke, der<lb/>
die Marken begründet hatte, wieder lebendig: als ein Hort deutscher Nationa¬<lb/>
lität im Osten erhielt Albrecht der Bär den, wie es schien, verlorenen Posten;<lb/>
er und seine tüchtigen Nachfolger gaben diesen Landen ihre eigentliche Bedeutung<lb/>
wieder, retteten sie für Deutschland durch glücklichen Kampf und durch die noch<lb/>
wirkungsvollere Coloniscttion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1228" next="#ID_1229"> Und wiederum, als das erlauchte Geschlecht der Askcmier in den Marken<lb/>
erloschen war; als hier in den Zeiten der Quitzows zügellose Verwilderung,<lb/>
Auflösung und Ohnmacht einbrach, dagegen im Norden die skandinavische<lb/>
Union zu Stande gebracht wurde mit ihrer Gefahr für die Hansa und die<lb/>
Deutschen in Schleswig-Holstein, im Osten Lithauen und Polen in der Hand<lb/>
des kühnen Jagellv vereinigt wurden, die sinkende Ordensherrschast durch die<lb/>
furchtbare Schlacht bei Tannenberg einen tödtlichen Stoß erlitt; als in Böhmen<lb/>
die slawisch-hussttische Bewegung mit unwiderstehlicher Gewalt um sich griff;<lb/>
mit einem Wort, als sich für die ostdeutschen Lande eine Gefahr zusammenzog,<lb/>
wie nie zuvor, da regte sich wieder mit Macht die Erinnerung an die Bedeu¬<lb/>
tung und Aufgabe der brandenburgischen Marken.  Daß diese Landschaften</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0412] die ihn ins Leben riefen und wachsen ließen, actenmäßig ans Licht. Halten wir den Gedanken fest, daß ein Staat durch dieselben Künste, die ihn groß machten, auch erhalten wird, so legen wir Droysens meisterhafte Arbeit nicht ohne tiefe Bewegung, doch auch nicht ohne Hoffnung aus der Hand. Denn die geschichtliche Nothwendigkeit, der politische Gedanke, die den preußischen Staat ins Leben riefen, wirken noch heute dergestalt, daß sie, selbst wenn Preußen zertrümmert werden sollte, ringen würden, ein zweites Preußen zu schaffen. Im ersten Abschnitt seines Werks handelt Drovsen von den brandenburgi¬ schen Marken. Die Altmark wurde begründet, um der Ausbreitung slawischer Stämme, die alles Land bis zur Elbe und darüber hinaus occupirt hatten, einen Damm entgegenzusetzen und die der deutschen Zunge entrissenen Gebiete allmälig wiederzugewinnen. Unter Otto l. gelang es zum Theil; es wurden die Bisthümer von Havelberg und Brandenburg gestiftet; aber seit 983 gingen die meisten Errungenschaften wieder verloren und es wuchs die Gefahr für Deutschland, die Landschaften ostwärts von der Elbe dauernd an die slawische Nation zu verlieren. Denn eben damals bildeten sich aufstrebende slawische Staaten in Polen und Böhmen, unter Fürsten, die das Christenthum an¬ nahmen; Polen riß Schlesien an sich, besetzte den Netzdistrict, dehnte seine Herrschaft bis an die Ostsee und die Oder aus; auch in dem slawischen Mecklen¬ burg erhob sich ein Fürstenthum zu bedeutendem Ansehen. So von neuen, um sich greifenden slawischen Staaten eingeengt, schienen nicht nur die Marken und die Lausitz für das deutsche Reich verloren, sondern auch der Besitz des meißner Landes gefährdet. In dieser kritischen Periode wurde der Gedanke, der die Marken begründet hatte, wieder lebendig: als ein Hort deutscher Nationa¬ lität im Osten erhielt Albrecht der Bär den, wie es schien, verlorenen Posten; er und seine tüchtigen Nachfolger gaben diesen Landen ihre eigentliche Bedeutung wieder, retteten sie für Deutschland durch glücklichen Kampf und durch die noch wirkungsvollere Coloniscttion. Und wiederum, als das erlauchte Geschlecht der Askcmier in den Marken erloschen war; als hier in den Zeiten der Quitzows zügellose Verwilderung, Auflösung und Ohnmacht einbrach, dagegen im Norden die skandinavische Union zu Stande gebracht wurde mit ihrer Gefahr für die Hansa und die Deutschen in Schleswig-Holstein, im Osten Lithauen und Polen in der Hand des kühnen Jagellv vereinigt wurden, die sinkende Ordensherrschast durch die furchtbare Schlacht bei Tannenberg einen tödtlichen Stoß erlitt; als in Böhmen die slawisch-hussttische Bewegung mit unwiderstehlicher Gewalt um sich griff; mit einem Wort, als sich für die ostdeutschen Lande eine Gefahr zusammenzog, wie nie zuvor, da regte sich wieder mit Macht die Erinnerung an die Bedeu¬ tung und Aufgabe der brandenburgischen Marken. Daß diese Landschaften

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/412
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/412>, abgerufen am 15.01.2025.