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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wenn man ihn durch eine Thür bringen will. Die Fockbecker wußten sich
eines Aals, der ihnen die gesalzenen Heringe, welche sie der Vermehrung hal¬
ber in einen Teich gesetzt, gefressen haben sollte, nur dadurch zu entledigen,
daß sie die Todesstrafe des Ersäufens an ihm vollzogen. Die Kisdorfer und
Bishorster legten bei ähnlichen Gelegenheiten denselben scharfen Verstand an
den Tag. "Ga hen na Hoftrup und kaat ti de Dös utschnieden" -- geh nach
Hostrup und laß dir die Dummheit ausschneiden, ist noch jetzt ein beliebtes
Sprichwort der Grobsäcke in Schleswig.

Die Geschichte aber, die ich Ihnen versprach, ist folgende. Es ist schon
lange her, als es sich begab, daß aus der Grenzmark zwischen Bock und Strur-
dorf*) ein Fohlen gefunden wurde, dem ein großes Stück Leder vom Rücken
geschunden war. Es erhob sich die Frage, wer der Schinder sei. Die Bocler
gaben den Strurdorsern, die Strurdorfer ihrerseits wieder den Boelern die
Schuld, und um das zu beweisen trieben die Boeler das Thier des'Nachts
auf das strurdorfer, die Strurdorfer dasselbe wieder auf das boeler Gebiet.
Dies währte eine geraume Zeit, da keine der beiden Parteien sich geben wollte.
Endlich aber kam man auf den etwas vernünftigem Einfall, die Sache durch
Schirdsmänner schlichten zu lassen, und diese entschieden nach langem Ueber¬
legen wie folgt. An der Stelle, wo das Fohlen zuerst in seinem betrübten
Zustande gesehen worden, stand eine junge Eiche. Diese sollten die Streiten¬
den wie eine Weidenruthe drehen und in einen Knoten knüpfen, und welcher
von beiden Theilen dieselbe bei der Operation zerknickte, sollte als der schuldige
gelten. Die Strurdorfer waren dabei mit dem Geschäfte des Drehens, die
Boeler mit dem des Verknüpfens bedacht. Erstere wußten sich zu helfen. Sie
schlugen in der Nacht den Baum nieder, hielten ihn über ein Feuer und dreh¬
ten ihn dann ohne Schaden mit Radwinden. Die Boeler waren erstaunt, als
sie Tags darauf hörten, die Sache sei, soweit sie ihre Gegner anging, abge¬
than. Ueberzeugt, das Drehen des harten, spröden Stammes sei unmöglich,
hatten sie sich um nichts bekümmert. Sie dachten indeß, auch ihnen werde
Unmögliches gelingen, und so machten sie sich gleichfalls ans Werk. Allein
bis dahin war die Eiche, welche über der Glut geschmeidig geworden, längst
wieder zu ihrer frühern Sprödigkeit zurückgekehrt, und statt sich zu einem Kilo-



*) Die Struxdorfer stehen, mit welchem Rechte bleibe dahingestellt, im Rufe, streit- und
händelsüchtig z" sein. Man sagte mir, wo bei einer öffentlichen Lustbarkeit, in einem öffent¬
lichen Locale Strnüdvrfcr erschienen, gäbe es über kurz oder lang gewiß Prügel. Man sagte ferner,
daß bei solcher Gelegenheit stets alle übrigen Angeln gegen die Struxdorfer zusammenhielten,
und daß die letzten, überhaupt immer ihren eignen Kops haben wollten. Man wollte endlich
die (von andern in Abrede gestellte" Thatsache, daß das genannte Dorf jetzt dänisch gesinnt
s i. blos aus der zur andern Natur gewordenen Sucht, in alleu Stucken gegen das übrige
Angeln Opposition zu machen und nach seiner besondern Fa?on selig zu werden, erklären
können.
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wenn man ihn durch eine Thür bringen will. Die Fockbecker wußten sich
eines Aals, der ihnen die gesalzenen Heringe, welche sie der Vermehrung hal¬
ber in einen Teich gesetzt, gefressen haben sollte, nur dadurch zu entledigen,
daß sie die Todesstrafe des Ersäufens an ihm vollzogen. Die Kisdorfer und
Bishorster legten bei ähnlichen Gelegenheiten denselben scharfen Verstand an
den Tag. „Ga hen na Hoftrup und kaat ti de Dös utschnieden" — geh nach
Hostrup und laß dir die Dummheit ausschneiden, ist noch jetzt ein beliebtes
Sprichwort der Grobsäcke in Schleswig.

Die Geschichte aber, die ich Ihnen versprach, ist folgende. Es ist schon
lange her, als es sich begab, daß aus der Grenzmark zwischen Bock und Strur-
dorf*) ein Fohlen gefunden wurde, dem ein großes Stück Leder vom Rücken
geschunden war. Es erhob sich die Frage, wer der Schinder sei. Die Bocler
gaben den Strurdorsern, die Strurdorfer ihrerseits wieder den Boelern die
Schuld, und um das zu beweisen trieben die Boeler das Thier des'Nachts
auf das strurdorfer, die Strurdorfer dasselbe wieder auf das boeler Gebiet.
Dies währte eine geraume Zeit, da keine der beiden Parteien sich geben wollte.
Endlich aber kam man auf den etwas vernünftigem Einfall, die Sache durch
Schirdsmänner schlichten zu lassen, und diese entschieden nach langem Ueber¬
legen wie folgt. An der Stelle, wo das Fohlen zuerst in seinem betrübten
Zustande gesehen worden, stand eine junge Eiche. Diese sollten die Streiten¬
den wie eine Weidenruthe drehen und in einen Knoten knüpfen, und welcher
von beiden Theilen dieselbe bei der Operation zerknickte, sollte als der schuldige
gelten. Die Strurdorfer waren dabei mit dem Geschäfte des Drehens, die
Boeler mit dem des Verknüpfens bedacht. Erstere wußten sich zu helfen. Sie
schlugen in der Nacht den Baum nieder, hielten ihn über ein Feuer und dreh¬
ten ihn dann ohne Schaden mit Radwinden. Die Boeler waren erstaunt, als
sie Tags darauf hörten, die Sache sei, soweit sie ihre Gegner anging, abge¬
than. Ueberzeugt, das Drehen des harten, spröden Stammes sei unmöglich,
hatten sie sich um nichts bekümmert. Sie dachten indeß, auch ihnen werde
Unmögliches gelingen, und so machten sie sich gleichfalls ans Werk. Allein
bis dahin war die Eiche, welche über der Glut geschmeidig geworden, längst
wieder zu ihrer frühern Sprödigkeit zurückgekehrt, und statt sich zu einem Kilo-



*) Die Struxdorfer stehen, mit welchem Rechte bleibe dahingestellt, im Rufe, streit- und
händelsüchtig z» sein. Man sagte mir, wo bei einer öffentlichen Lustbarkeit, in einem öffent¬
lichen Locale Strnüdvrfcr erschienen, gäbe es über kurz oder lang gewiß Prügel. Man sagte ferner,
daß bei solcher Gelegenheit stets alle übrigen Angeln gegen die Struxdorfer zusammenhielten,
und daß die letzten, überhaupt immer ihren eignen Kops haben wollten. Man wollte endlich
die (von andern in Abrede gestellte» Thatsache, daß das genannte Dorf jetzt dänisch gesinnt
s i. blos aus der zur andern Natur gewordenen Sucht, in alleu Stucken gegen das übrige
Angeln Opposition zu machen und nach seiner besondern Fa?on selig zu werden, erklären
können.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/403>, abgerufen am 03.10.2024.