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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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benachbarten Kirchspielen nur noch einige alte Leute das ehemals hier gespro¬
chene, halb plattdeutsche Angelndänisch redeten, daß aber außer dem Pfarrer,
dem Gendarm und dem Schulmeister keine Seele eine Predigt in der dänischen
Schriftsprache verstünde.

Der Berichterstatter fügte hinzu, er habe, da seine Kinder stets weinten,
wenn sie in die Schule sollten, den Versuch gemacht, sie nach Süderbrarup zum
Unterricht zu schicken, wo in der Schule deutsch gesprochen wird. Aber weder
der dortige Prediger noch der norderbraruper wolle die Erlaubniß dazu ertheilen.
Pastor Jespersen sei überhaupt sehr unfreundlich und barsch, wenn kirchliche
Handlungen bei ihm bestellt würden, freilich von seinem Standpunkte nicht
ohne Ursache, da selbst die wenigen Dänischgesinnten im Kirchspiele ihrer eifrig
deutschen Verwandten halber sichs nicht getrauten, eine Trauung, Taufe oder
Beerdigung in ,der Sprache der Unterdrücker des Landes vornehmen zu lassen.
Endlich erzählte mein wackrer Hufner von einer Fahrt, die er am letztver-
wichenen dänischen Sonntage durch die Kirchspiele Nordcrbrarup und Bock ge¬
macht, um sich für mich nach dem Kirchenbesuche daselbst umzusehen. Er hatte
am erstgenannten Ort, mit Ausnahme des Pastors, des Schulmeisters und der
zwangsweise zum dänischen Gottesdienste gebrachten Schuljugend, sieben Per¬
sonen in der Kirche getroffen. In Bock dagegen war, mit Abrechnung der ge¬
nannten officiellen Zuhörerschaft, niemand erschienen, und der Pastor hatte in¬
folge dessen seinen Sermon bis auf bessere Zeiten bei sich behalten müssen.
Ich habe zu dieser Thatsache lediglich zu bemerken, daß nach Norderbrarup
mehr als dreißig größere und kleinere Ortschaften, zusammen mit nahe an
1600 Einwohnern, eingepfarrt sind, und daß die Volkszahl im Kirchspiele Bock
1L20 beträgt.

Ich begebe mich nun vom kirchlichen Gebiete zurück auf das der blinden
Dame Justitia, die hier leider zu gut sieht und zu schlecht wägt, wenn es sich
um eine Entscheidung zwischen Dänisch und Deutsch handelt. Ein Bauer in
dem zur Mohrkirchharde gehörigen Theile Böckh hatte -- freilich ein wunder¬
sam naiver Mißgriff! -- an den ihm persönlich bekannten Minister von Scheel
einen Brief geschrieben, worin er sich über den Sprachzwang, die Neichsmünze
und die Gendarmerie als über drei Landplagen beschwerte, diesen Brief einigen
Bekannten vorgelesen und dem Vernehmen nach zugleich eine verbotene Schrift
des abgesetzten Pastors Hansen von Vivi verbreitet. Er wurde von einem
Gendarmen deshalb bei Leisner denuncirt und als er leugnete, von diesem ins
Gefängniß gesteckt. Auf dem Wege dahin überlegte er sich die Sache und
sand, es sei besser, mindestens etwas von der Wahrheit zu gestehen. Vor den
Hardesvogt zurückgeführt, räumte er ein, jenen Brief geschrieben zu haben,
doch habe er ihn weder abgeschickt, noch jemandem vorgelesen. Die Schrift
Hansens habe er vor ihrem Verbot gekauft und nach Durchlcsrzng sofort ver-


benachbarten Kirchspielen nur noch einige alte Leute das ehemals hier gespro¬
chene, halb plattdeutsche Angelndänisch redeten, daß aber außer dem Pfarrer,
dem Gendarm und dem Schulmeister keine Seele eine Predigt in der dänischen
Schriftsprache verstünde.

Der Berichterstatter fügte hinzu, er habe, da seine Kinder stets weinten,
wenn sie in die Schule sollten, den Versuch gemacht, sie nach Süderbrarup zum
Unterricht zu schicken, wo in der Schule deutsch gesprochen wird. Aber weder
der dortige Prediger noch der norderbraruper wolle die Erlaubniß dazu ertheilen.
Pastor Jespersen sei überhaupt sehr unfreundlich und barsch, wenn kirchliche
Handlungen bei ihm bestellt würden, freilich von seinem Standpunkte nicht
ohne Ursache, da selbst die wenigen Dänischgesinnten im Kirchspiele ihrer eifrig
deutschen Verwandten halber sichs nicht getrauten, eine Trauung, Taufe oder
Beerdigung in ,der Sprache der Unterdrücker des Landes vornehmen zu lassen.
Endlich erzählte mein wackrer Hufner von einer Fahrt, die er am letztver-
wichenen dänischen Sonntage durch die Kirchspiele Nordcrbrarup und Bock ge¬
macht, um sich für mich nach dem Kirchenbesuche daselbst umzusehen. Er hatte
am erstgenannten Ort, mit Ausnahme des Pastors, des Schulmeisters und der
zwangsweise zum dänischen Gottesdienste gebrachten Schuljugend, sieben Per¬
sonen in der Kirche getroffen. In Bock dagegen war, mit Abrechnung der ge¬
nannten officiellen Zuhörerschaft, niemand erschienen, und der Pastor hatte in¬
folge dessen seinen Sermon bis auf bessere Zeiten bei sich behalten müssen.
Ich habe zu dieser Thatsache lediglich zu bemerken, daß nach Norderbrarup
mehr als dreißig größere und kleinere Ortschaften, zusammen mit nahe an
1600 Einwohnern, eingepfarrt sind, und daß die Volkszahl im Kirchspiele Bock
1L20 beträgt.

Ich begebe mich nun vom kirchlichen Gebiete zurück auf das der blinden
Dame Justitia, die hier leider zu gut sieht und zu schlecht wägt, wenn es sich
um eine Entscheidung zwischen Dänisch und Deutsch handelt. Ein Bauer in
dem zur Mohrkirchharde gehörigen Theile Böckh hatte — freilich ein wunder¬
sam naiver Mißgriff! — an den ihm persönlich bekannten Minister von Scheel
einen Brief geschrieben, worin er sich über den Sprachzwang, die Neichsmünze
und die Gendarmerie als über drei Landplagen beschwerte, diesen Brief einigen
Bekannten vorgelesen und dem Vernehmen nach zugleich eine verbotene Schrift
des abgesetzten Pastors Hansen von Vivi verbreitet. Er wurde von einem
Gendarmen deshalb bei Leisner denuncirt und als er leugnete, von diesem ins
Gefängniß gesteckt. Auf dem Wege dahin überlegte er sich die Sache und
sand, es sei besser, mindestens etwas von der Wahrheit zu gestehen. Vor den
Hardesvogt zurückgeführt, räumte er ein, jenen Brief geschrieben zu haben,
doch habe er ihn weder abgeschickt, noch jemandem vorgelesen. Die Schrift
Hansens habe er vor ihrem Verbot gekauft und nach Durchlcsrzng sofort ver-


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[0397] benachbarten Kirchspielen nur noch einige alte Leute das ehemals hier gespro¬ chene, halb plattdeutsche Angelndänisch redeten, daß aber außer dem Pfarrer, dem Gendarm und dem Schulmeister keine Seele eine Predigt in der dänischen Schriftsprache verstünde. Der Berichterstatter fügte hinzu, er habe, da seine Kinder stets weinten, wenn sie in die Schule sollten, den Versuch gemacht, sie nach Süderbrarup zum Unterricht zu schicken, wo in der Schule deutsch gesprochen wird. Aber weder der dortige Prediger noch der norderbraruper wolle die Erlaubniß dazu ertheilen. Pastor Jespersen sei überhaupt sehr unfreundlich und barsch, wenn kirchliche Handlungen bei ihm bestellt würden, freilich von seinem Standpunkte nicht ohne Ursache, da selbst die wenigen Dänischgesinnten im Kirchspiele ihrer eifrig deutschen Verwandten halber sichs nicht getrauten, eine Trauung, Taufe oder Beerdigung in ,der Sprache der Unterdrücker des Landes vornehmen zu lassen. Endlich erzählte mein wackrer Hufner von einer Fahrt, die er am letztver- wichenen dänischen Sonntage durch die Kirchspiele Nordcrbrarup und Bock ge¬ macht, um sich für mich nach dem Kirchenbesuche daselbst umzusehen. Er hatte am erstgenannten Ort, mit Ausnahme des Pastors, des Schulmeisters und der zwangsweise zum dänischen Gottesdienste gebrachten Schuljugend, sieben Per¬ sonen in der Kirche getroffen. In Bock dagegen war, mit Abrechnung der ge¬ nannten officiellen Zuhörerschaft, niemand erschienen, und der Pastor hatte in¬ folge dessen seinen Sermon bis auf bessere Zeiten bei sich behalten müssen. Ich habe zu dieser Thatsache lediglich zu bemerken, daß nach Norderbrarup mehr als dreißig größere und kleinere Ortschaften, zusammen mit nahe an 1600 Einwohnern, eingepfarrt sind, und daß die Volkszahl im Kirchspiele Bock 1L20 beträgt. Ich begebe mich nun vom kirchlichen Gebiete zurück auf das der blinden Dame Justitia, die hier leider zu gut sieht und zu schlecht wägt, wenn es sich um eine Entscheidung zwischen Dänisch und Deutsch handelt. Ein Bauer in dem zur Mohrkirchharde gehörigen Theile Böckh hatte — freilich ein wunder¬ sam naiver Mißgriff! — an den ihm persönlich bekannten Minister von Scheel einen Brief geschrieben, worin er sich über den Sprachzwang, die Neichsmünze und die Gendarmerie als über drei Landplagen beschwerte, diesen Brief einigen Bekannten vorgelesen und dem Vernehmen nach zugleich eine verbotene Schrift des abgesetzten Pastors Hansen von Vivi verbreitet. Er wurde von einem Gendarmen deshalb bei Leisner denuncirt und als er leugnete, von diesem ins Gefängniß gesteckt. Auf dem Wege dahin überlegte er sich die Sache und sand, es sei besser, mindestens etwas von der Wahrheit zu gestehen. Vor den Hardesvogt zurückgeführt, räumte er ein, jenen Brief geschrieben zu haben, doch habe er ihn weder abgeschickt, noch jemandem vorgelesen. Die Schrift Hansens habe er vor ihrem Verbot gekauft und nach Durchlcsrzng sofort ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/397>, abgerufen am 02.10.2024.