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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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gar nicht wahr. Das Hochdeutsche hat zwar etwas mehr Vocalreinheit, aber
mit seinem Vorherrschen der ternis, seinen harten Bindungen wie z. B. Pfropf¬
reis, seinen der englischen Zungenspirata ins an Sanftheit bedeutend nach¬
stehenden gutturalen (es), welche die Engländer schon zu Elisabeths Zeiten bei der
Aussprache in Vocale wie lixttt, tKouZlU zu erweichen anfingen, ist bei weitem
härter und auch steifer als das Englische. Die englische Weichheit ist aber
nicht die eines schönen menschlichen Organs oder eines Instrumentes, wie die
italienische, sondern vielmehr die eines dumpfen, leiser oder lauter flüsternden
Gemurmels, wie anrauschender Meereswogen, die sich aber auch zu gewaltigem,
aber immer dumpfem Donnergetöse erheben können. Bekanntlich ist der phoneti¬
sche Gesammtcharakter der, wie wenn jemand den Mund nicht recht aufthun
will und dadurch eine Menge gebrochener und gequetscher Laute, eben jenes
Gemurmel, hervorbringt. Man kann diesen durch Sprechen mit zusammen¬
gehaltenen Zahnreihen am besten sich verdeutlichen, in welchem die weichen An-
und Auslande wie noto, unä, vsal, c>k und loof vorherrschen und die doch
harte, scharse und schnalzende neben rollenden und lispelnden genug hat, um
nicht in dänische Schlaffheit zu gerathen. Aber um so mehr Effect machen die
einzeln hervortretenden vollen Laute wie das reine a, und Hamlets Worte:


>VKitt? an Uiou oomL ihret^ son to oliicle?

klingen stolz und prächtig, während andres unnachahmlich sanft.

Eine andre Schwierigkeit bildet im Englischen das Vorwalten des stumpfen
Versausganges und Reimes, von dem monosyllabischen Charakter der Sprache
untrennbar. Im Deutschen, wo sowol die niedersächstsche als auch die durch
viele leicht gebaute romanische Wörter erzeugte Weichheit nicht mildert, wird
das oft sehr hart. Freilich können wir auch solche Verse bilden und ich
denke an


Füllest wieder Busch und Thal
Still im Nebelglanz,
Löscht endlich auch einmal
Meine Seele ganz.

woran niemand etwas auszusetzen haben wird. Allein wie zart ist auch dieses
goethische Lied im Innern gebaut, wie viele Zeilen enthalten gar keine oder nur
sehr wenig Consonantenposition zwischen Wort und Wort: z. B. "Löscht end¬
lich auch einmal" -- "Ohne Rast und Ruh" -- "So verrauschte Scherz und
Kuß" -- so daß dies wundervolle Lied ohne die durch jenen männlichen
Schluß erlangte germanische Consistenz in den überweichen Ton eines süd¬
lichen Gondelliedes zerflossen sein würde. Aber gleitet schon dieser sinnliche Reiz
fast immer dem Uebersetzer aus den Händen, welch einen Zwang würde es ihm
auflegen, ein größeres Gedicht ganz mit stumpfen Reimen durchzuführen,
und dadurch im Nennwort, aus wUchem das charakteristische Schwergewicht des


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gar nicht wahr. Das Hochdeutsche hat zwar etwas mehr Vocalreinheit, aber
mit seinem Vorherrschen der ternis, seinen harten Bindungen wie z. B. Pfropf¬
reis, seinen der englischen Zungenspirata ins an Sanftheit bedeutend nach¬
stehenden gutturalen (es), welche die Engländer schon zu Elisabeths Zeiten bei der
Aussprache in Vocale wie lixttt, tKouZlU zu erweichen anfingen, ist bei weitem
härter und auch steifer als das Englische. Die englische Weichheit ist aber
nicht die eines schönen menschlichen Organs oder eines Instrumentes, wie die
italienische, sondern vielmehr die eines dumpfen, leiser oder lauter flüsternden
Gemurmels, wie anrauschender Meereswogen, die sich aber auch zu gewaltigem,
aber immer dumpfem Donnergetöse erheben können. Bekanntlich ist der phoneti¬
sche Gesammtcharakter der, wie wenn jemand den Mund nicht recht aufthun
will und dadurch eine Menge gebrochener und gequetscher Laute, eben jenes
Gemurmel, hervorbringt. Man kann diesen durch Sprechen mit zusammen¬
gehaltenen Zahnreihen am besten sich verdeutlichen, in welchem die weichen An-
und Auslande wie noto, unä, vsal, c>k und loof vorherrschen und die doch
harte, scharse und schnalzende neben rollenden und lispelnden genug hat, um
nicht in dänische Schlaffheit zu gerathen. Aber um so mehr Effect machen die
einzeln hervortretenden vollen Laute wie das reine a, und Hamlets Worte:


>VKitt? an Uiou oomL ihret^ son to oliicle?

klingen stolz und prächtig, während andres unnachahmlich sanft.

Eine andre Schwierigkeit bildet im Englischen das Vorwalten des stumpfen
Versausganges und Reimes, von dem monosyllabischen Charakter der Sprache
untrennbar. Im Deutschen, wo sowol die niedersächstsche als auch die durch
viele leicht gebaute romanische Wörter erzeugte Weichheit nicht mildert, wird
das oft sehr hart. Freilich können wir auch solche Verse bilden und ich
denke an


Füllest wieder Busch und Thal
Still im Nebelglanz,
Löscht endlich auch einmal
Meine Seele ganz.

woran niemand etwas auszusetzen haben wird. Allein wie zart ist auch dieses
goethische Lied im Innern gebaut, wie viele Zeilen enthalten gar keine oder nur
sehr wenig Consonantenposition zwischen Wort und Wort: z. B. „Löscht end¬
lich auch einmal" — „Ohne Rast und Ruh" — „So verrauschte Scherz und
Kuß" — so daß dies wundervolle Lied ohne die durch jenen männlichen
Schluß erlangte germanische Consistenz in den überweichen Ton eines süd¬
lichen Gondelliedes zerflossen sein würde. Aber gleitet schon dieser sinnliche Reiz
fast immer dem Uebersetzer aus den Händen, welch einen Zwang würde es ihm
auflegen, ein größeres Gedicht ganz mit stumpfen Reimen durchzuführen,
und dadurch im Nennwort, aus wUchem das charakteristische Schwergewicht des


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[0379] gar nicht wahr. Das Hochdeutsche hat zwar etwas mehr Vocalreinheit, aber mit seinem Vorherrschen der ternis, seinen harten Bindungen wie z. B. Pfropf¬ reis, seinen der englischen Zungenspirata ins an Sanftheit bedeutend nach¬ stehenden gutturalen (es), welche die Engländer schon zu Elisabeths Zeiten bei der Aussprache in Vocale wie lixttt, tKouZlU zu erweichen anfingen, ist bei weitem härter und auch steifer als das Englische. Die englische Weichheit ist aber nicht die eines schönen menschlichen Organs oder eines Instrumentes, wie die italienische, sondern vielmehr die eines dumpfen, leiser oder lauter flüsternden Gemurmels, wie anrauschender Meereswogen, die sich aber auch zu gewaltigem, aber immer dumpfem Donnergetöse erheben können. Bekanntlich ist der phoneti¬ sche Gesammtcharakter der, wie wenn jemand den Mund nicht recht aufthun will und dadurch eine Menge gebrochener und gequetscher Laute, eben jenes Gemurmel, hervorbringt. Man kann diesen durch Sprechen mit zusammen¬ gehaltenen Zahnreihen am besten sich verdeutlichen, in welchem die weichen An- und Auslande wie noto, unä, vsal, c>k und loof vorherrschen und die doch harte, scharse und schnalzende neben rollenden und lispelnden genug hat, um nicht in dänische Schlaffheit zu gerathen. Aber um so mehr Effect machen die einzeln hervortretenden vollen Laute wie das reine a, und Hamlets Worte: >VKitt? an Uiou oomL ihret^ son to oliicle? klingen stolz und prächtig, während andres unnachahmlich sanft. Eine andre Schwierigkeit bildet im Englischen das Vorwalten des stumpfen Versausganges und Reimes, von dem monosyllabischen Charakter der Sprache untrennbar. Im Deutschen, wo sowol die niedersächstsche als auch die durch viele leicht gebaute romanische Wörter erzeugte Weichheit nicht mildert, wird das oft sehr hart. Freilich können wir auch solche Verse bilden und ich denke an Füllest wieder Busch und Thal Still im Nebelglanz, Löscht endlich auch einmal Meine Seele ganz. woran niemand etwas auszusetzen haben wird. Allein wie zart ist auch dieses goethische Lied im Innern gebaut, wie viele Zeilen enthalten gar keine oder nur sehr wenig Consonantenposition zwischen Wort und Wort: z. B. „Löscht end¬ lich auch einmal" — „Ohne Rast und Ruh" — „So verrauschte Scherz und Kuß" — so daß dies wundervolle Lied ohne die durch jenen männlichen Schluß erlangte germanische Consistenz in den überweichen Ton eines süd¬ lichen Gondelliedes zerflossen sein würde. Aber gleitet schon dieser sinnliche Reiz fast immer dem Uebersetzer aus den Händen, welch einen Zwang würde es ihm auflegen, ein größeres Gedicht ganz mit stumpfen Reimen durchzuführen, und dadurch im Nennwort, aus wUchem das charakteristische Schwergewicht des i7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/379>, abgerufen am 03.07.2024.