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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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gewidmet. Populär freilich wurde vieles nicht, aus verschiedenen Gründen. Es
schien ja von vornherein, als ob man durch die Verbindung zweier, schon ge¬
trennt eigentlich unmöglicher Ausgaben, das Wiedergeben desselben Inhalts in
derselben Form, weil man alles wollte , nichts erreichen könnte. Wahr ist es,
daß auch im besten Falle nicht dieselbe geistige Physiognomie, sondern eine
andere, ein andrer Horaz, ein andrer Homer , ein andrer Shakespeare, Calderon
und. Dante zum Vorschein kam; wahr auch, daß manche, indem sie die fremden
Herrn zugleich deutsch zu reden und deutsch auszusehen zwingen wollten, sie
nur zum Stammeln und Gesichterschneiden brachten und wirklich nichts erreich¬
ten. Aber dennoch war der Gedanke ganz richtig. Die metrische oder reim¬
klingende Gestaltung eines poetischen Werkes ist so sehr der Kern seines Wesens,
daß man viel eher, als mit Aufgebung desselben, mit Aufgebung und Ver¬
änderung eines Theils des Inhalts hoffen kann, ein ähnliches Kunstwerk vor
den Augen seiner Landsleute zu erbauen und der unermeßliche Erfolg einzel¬
ner Werke dieser Art, wie des vossischen Homer und des Schlegel-tieckschen Shake¬
speare sind ein unwidersprechender Beweis für die Lebensfähigkeit dieses Strebens.
Aber alles kam darauf an, daß der Uebersetzer nicht blos aus einem vollen
Verständniß und tiefen Gesammtgefühl für die Schönheit der Urbilder heraus,
sondern auch mit deutsch-poetischem Geiste arbeitete, mit dem Willen, eine
deutsche Dichtung zu erschaffen, die an sich schön und verständlich sei; und dckß
er, stets sich seine geniale Freiheit wahrend, alle Ängstliche Worttreue vermei¬
dend, alles das ausschied oder umschuf, was im Urbild ihm selbst, (dem so Be¬
geisterten) unklar oder unschön erschien. Niemand war darin trefflicher begabt,
als Schlegel, der ja bekanntlich vieles, was ihm im Shakespeare widerstand,
ohne Umstände ausließ, oder mit einem glücklichen Leichtsinn änderte und doch
den shakespearischstcn Shakespeare darstellte, der je in fremder Zunge erschien.
Allein diese Treue wurde bald auf Kosten der Schönheit und Verständlichkeit über¬
trieben; Schlegel selbst änderte seinen ersten Band nicht immer zum Vortheil,
so wenig wie Voß seine Odyssee; ja diesem ging in seiner spätern Uebersetzung
jegliche Grazie, ja oft auch die Verständlichkeit ab. Andre gingen noch weiter
in Formstrenge und Jnhaltstreue, wie Wolf, Humboldt und Platen und man¬
cher scheiterte darüber in den kühnsten Unternehmungen. Aber der Fehler lag
nicht immer an der mangelhafteren Begabung oder zu pedantischen Methode des
Uebersetzers (wie denn die oben genannten Männer keiner dieser Vorwürfe
trifft), sondern vielmehr daran, daß das Publicum zur Aufnahme des fremden
Stils oder des Inhaltes nicht vorbereitet, oder überhaupt minder geneigt war.
Immer war es die günstigste Lage für das Beliebtwerden einer stilhaften Ueber¬
setzung, wenn schon vorher originale Geister sich desselben Stiles zu eignen
Schöpfungrn bedient und^ dadurch in der Lesewelt Sinn und Liebe für denselben
geweckt hatten. So bereiteten Klopstocks Oden den ramlerschen Horaz, seine


gewidmet. Populär freilich wurde vieles nicht, aus verschiedenen Gründen. Es
schien ja von vornherein, als ob man durch die Verbindung zweier, schon ge¬
trennt eigentlich unmöglicher Ausgaben, das Wiedergeben desselben Inhalts in
derselben Form, weil man alles wollte , nichts erreichen könnte. Wahr ist es,
daß auch im besten Falle nicht dieselbe geistige Physiognomie, sondern eine
andere, ein andrer Horaz, ein andrer Homer , ein andrer Shakespeare, Calderon
und. Dante zum Vorschein kam; wahr auch, daß manche, indem sie die fremden
Herrn zugleich deutsch zu reden und deutsch auszusehen zwingen wollten, sie
nur zum Stammeln und Gesichterschneiden brachten und wirklich nichts erreich¬
ten. Aber dennoch war der Gedanke ganz richtig. Die metrische oder reim¬
klingende Gestaltung eines poetischen Werkes ist so sehr der Kern seines Wesens,
daß man viel eher, als mit Aufgebung desselben, mit Aufgebung und Ver¬
änderung eines Theils des Inhalts hoffen kann, ein ähnliches Kunstwerk vor
den Augen seiner Landsleute zu erbauen und der unermeßliche Erfolg einzel¬
ner Werke dieser Art, wie des vossischen Homer und des Schlegel-tieckschen Shake¬
speare sind ein unwidersprechender Beweis für die Lebensfähigkeit dieses Strebens.
Aber alles kam darauf an, daß der Uebersetzer nicht blos aus einem vollen
Verständniß und tiefen Gesammtgefühl für die Schönheit der Urbilder heraus,
sondern auch mit deutsch-poetischem Geiste arbeitete, mit dem Willen, eine
deutsche Dichtung zu erschaffen, die an sich schön und verständlich sei; und dckß
er, stets sich seine geniale Freiheit wahrend, alle Ängstliche Worttreue vermei¬
dend, alles das ausschied oder umschuf, was im Urbild ihm selbst, (dem so Be¬
geisterten) unklar oder unschön erschien. Niemand war darin trefflicher begabt,
als Schlegel, der ja bekanntlich vieles, was ihm im Shakespeare widerstand,
ohne Umstände ausließ, oder mit einem glücklichen Leichtsinn änderte und doch
den shakespearischstcn Shakespeare darstellte, der je in fremder Zunge erschien.
Allein diese Treue wurde bald auf Kosten der Schönheit und Verständlichkeit über¬
trieben; Schlegel selbst änderte seinen ersten Band nicht immer zum Vortheil,
so wenig wie Voß seine Odyssee; ja diesem ging in seiner spätern Uebersetzung
jegliche Grazie, ja oft auch die Verständlichkeit ab. Andre gingen noch weiter
in Formstrenge und Jnhaltstreue, wie Wolf, Humboldt und Platen und man¬
cher scheiterte darüber in den kühnsten Unternehmungen. Aber der Fehler lag
nicht immer an der mangelhafteren Begabung oder zu pedantischen Methode des
Uebersetzers (wie denn die oben genannten Männer keiner dieser Vorwürfe
trifft), sondern vielmehr daran, daß das Publicum zur Aufnahme des fremden
Stils oder des Inhaltes nicht vorbereitet, oder überhaupt minder geneigt war.
Immer war es die günstigste Lage für das Beliebtwerden einer stilhaften Ueber¬
setzung, wenn schon vorher originale Geister sich desselben Stiles zu eignen
Schöpfungrn bedient und^ dadurch in der Lesewelt Sinn und Liebe für denselben
geweckt hatten. So bereiteten Klopstocks Oden den ramlerschen Horaz, seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/374>, abgerufen am 25.08.2024.