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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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zosen ein widriges, trockn.es und abgerissenes Gemengsel werden. Und wie
vielmehr gilt dies von der stets individuellen, stets nationalen Dichtersprache,
Die besten Metaphern, die schärfsten Witze, die tiefsten (Gefühle kommen ja aus
dem Kern der Nation, also auch aus dem innersten Leben der Sprache; und
manche Begriffe sind ja nur national. Wer kann des Schweden riüchas, des
Engländers iron-hornet ooasl., des Franzosen mon brave!, des Griechen na^o-
x"/dei?os) des Römers virws oder l'lacs oder reliAio eigentlich übersetzen? '--
Aber dennoch haben diese mangelhaften Uebersetzungen den größten Nutzen ge¬
stiftet. Die poetische Prosa des weiland eschenburgschen Shakespeare (1762 ff.)
entzündete Goethes und Schillers jugendliche Begeisterung, zum Götz und zu
den Räubern; ans Luthers Psalmen sogen Millionen Trost und Erhebung.
Vielleicht konnte man bei manchen Originalen überhaupt nicht weiter kommen,
als z. B. Luther bei den Psalmen, und solches Verdienst war, je edler der
Inhalt, extensiv viel bedeutender, als das der gelehrten Erklärer. Aber aller¬
dings ist diese Art jetzt vielfach gegen die künstlerische zurückgetreten und zu
einem Hilfsmittel für das Verständniß des Originals herabgesunken. Fast in
Vergessenheit gekommen ist dagegen die alte Art heilloser Übertragungen, wo
eine andre, dem Zeitgeschmack des Uebersetzers gemäße poetische Form gewählt
wurde, oder wo man nach nicht aus dem Original geschöpften Grundsätzen
wegließ oder zusetzte. So Übersetzren die Engländer im 16. Jahrhundert und
im 17ten Opitz aus Sophokles und Seneca, so Dietrich von dem Werber, Mit¬
stifter des Palmordens, Ariost und Tasso, so von Borel (1741) Shakespeares
Julius Cäsar in gereimte Alexandriner, so nicht viel besser nach Wie-
land Horazens Episteln und Satiren. Manche Nationen blieben bei dieser
Gattung stehen. Eins der berühmtesten Beispiele dieser Gattung ist Poppes
Jliade; Bentley sagte von ihr, sie sei zwar ein ganz hübsches Gedicht, aber
kein Homer. Darin liegt die Verurtheilung dieser ganzen Gattung: es kann
eine prosaische Uebersetzung, so farblos sie ist, doch ein ungefähres Bild von
einem Gedicht geben; aber die falschen Farben einer demselben nicht ana¬
logen Form'können das Bild nur verwirren. Daher haben diese Mühwal-
tungen, selbst Wielands anmuthig verwässerter Horaz, nie etwas Sonderliches
gewirkt und namentlich alle jene Alcrandrinercopien sind längst zu ihren Vätern
versammelt.

Dagegen war die zweite Gattung, die Original dichtung im Stil
der Fremde, immer von der größten Bedeutung. Zwar war auch Hier eine
vollkommene Congruenz der Formen im seltensten Falle möglich, da die Bin¬
dung und Bewegung des Verses aus dem innersten Leben jeder Einzelsprache
hervorgeht, aber einestheils modificirte sich die Schwierigkeit der Nachbildung
doch sehr nach der verschiedenen Entfernung der fremden Form von dem ur¬
sprünglich Deutschen, anderntheils machte grade diese Nothwendigkeit, das Fremde


zosen ein widriges, trockn.es und abgerissenes Gemengsel werden. Und wie
vielmehr gilt dies von der stets individuellen, stets nationalen Dichtersprache,
Die besten Metaphern, die schärfsten Witze, die tiefsten (Gefühle kommen ja aus
dem Kern der Nation, also auch aus dem innersten Leben der Sprache; und
manche Begriffe sind ja nur national. Wer kann des Schweden riüchas, des
Engländers iron-hornet ooasl., des Franzosen mon brave!, des Griechen na^o-
x«/dei?os) des Römers virws oder l'lacs oder reliAio eigentlich übersetzen? '—
Aber dennoch haben diese mangelhaften Uebersetzungen den größten Nutzen ge¬
stiftet. Die poetische Prosa des weiland eschenburgschen Shakespeare (1762 ff.)
entzündete Goethes und Schillers jugendliche Begeisterung, zum Götz und zu
den Räubern; ans Luthers Psalmen sogen Millionen Trost und Erhebung.
Vielleicht konnte man bei manchen Originalen überhaupt nicht weiter kommen,
als z. B. Luther bei den Psalmen, und solches Verdienst war, je edler der
Inhalt, extensiv viel bedeutender, als das der gelehrten Erklärer. Aber aller¬
dings ist diese Art jetzt vielfach gegen die künstlerische zurückgetreten und zu
einem Hilfsmittel für das Verständniß des Originals herabgesunken. Fast in
Vergessenheit gekommen ist dagegen die alte Art heilloser Übertragungen, wo
eine andre, dem Zeitgeschmack des Uebersetzers gemäße poetische Form gewählt
wurde, oder wo man nach nicht aus dem Original geschöpften Grundsätzen
wegließ oder zusetzte. So Übersetzren die Engländer im 16. Jahrhundert und
im 17ten Opitz aus Sophokles und Seneca, so Dietrich von dem Werber, Mit¬
stifter des Palmordens, Ariost und Tasso, so von Borel (1741) Shakespeares
Julius Cäsar in gereimte Alexandriner, so nicht viel besser nach Wie-
land Horazens Episteln und Satiren. Manche Nationen blieben bei dieser
Gattung stehen. Eins der berühmtesten Beispiele dieser Gattung ist Poppes
Jliade; Bentley sagte von ihr, sie sei zwar ein ganz hübsches Gedicht, aber
kein Homer. Darin liegt die Verurtheilung dieser ganzen Gattung: es kann
eine prosaische Uebersetzung, so farblos sie ist, doch ein ungefähres Bild von
einem Gedicht geben; aber die falschen Farben einer demselben nicht ana¬
logen Form'können das Bild nur verwirren. Daher haben diese Mühwal-
tungen, selbst Wielands anmuthig verwässerter Horaz, nie etwas Sonderliches
gewirkt und namentlich alle jene Alcrandrinercopien sind längst zu ihren Vätern
versammelt.

Dagegen war die zweite Gattung, die Original dichtung im Stil
der Fremde, immer von der größten Bedeutung. Zwar war auch Hier eine
vollkommene Congruenz der Formen im seltensten Falle möglich, da die Bin¬
dung und Bewegung des Verses aus dem innersten Leben jeder Einzelsprache
hervorgeht, aber einestheils modificirte sich die Schwierigkeit der Nachbildung
doch sehr nach der verschiedenen Entfernung der fremden Form von dem ur¬
sprünglich Deutschen, anderntheils machte grade diese Nothwendigkeit, das Fremde


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[0372] zosen ein widriges, trockn.es und abgerissenes Gemengsel werden. Und wie vielmehr gilt dies von der stets individuellen, stets nationalen Dichtersprache, Die besten Metaphern, die schärfsten Witze, die tiefsten (Gefühle kommen ja aus dem Kern der Nation, also auch aus dem innersten Leben der Sprache; und manche Begriffe sind ja nur national. Wer kann des Schweden riüchas, des Engländers iron-hornet ooasl., des Franzosen mon brave!, des Griechen na^o- x«/dei?os) des Römers virws oder l'lacs oder reliAio eigentlich übersetzen? '— Aber dennoch haben diese mangelhaften Uebersetzungen den größten Nutzen ge¬ stiftet. Die poetische Prosa des weiland eschenburgschen Shakespeare (1762 ff.) entzündete Goethes und Schillers jugendliche Begeisterung, zum Götz und zu den Räubern; ans Luthers Psalmen sogen Millionen Trost und Erhebung. Vielleicht konnte man bei manchen Originalen überhaupt nicht weiter kommen, als z. B. Luther bei den Psalmen, und solches Verdienst war, je edler der Inhalt, extensiv viel bedeutender, als das der gelehrten Erklärer. Aber aller¬ dings ist diese Art jetzt vielfach gegen die künstlerische zurückgetreten und zu einem Hilfsmittel für das Verständniß des Originals herabgesunken. Fast in Vergessenheit gekommen ist dagegen die alte Art heilloser Übertragungen, wo eine andre, dem Zeitgeschmack des Uebersetzers gemäße poetische Form gewählt wurde, oder wo man nach nicht aus dem Original geschöpften Grundsätzen wegließ oder zusetzte. So Übersetzren die Engländer im 16. Jahrhundert und im 17ten Opitz aus Sophokles und Seneca, so Dietrich von dem Werber, Mit¬ stifter des Palmordens, Ariost und Tasso, so von Borel (1741) Shakespeares Julius Cäsar in gereimte Alexandriner, so nicht viel besser nach Wie- land Horazens Episteln und Satiren. Manche Nationen blieben bei dieser Gattung stehen. Eins der berühmtesten Beispiele dieser Gattung ist Poppes Jliade; Bentley sagte von ihr, sie sei zwar ein ganz hübsches Gedicht, aber kein Homer. Darin liegt die Verurtheilung dieser ganzen Gattung: es kann eine prosaische Uebersetzung, so farblos sie ist, doch ein ungefähres Bild von einem Gedicht geben; aber die falschen Farben einer demselben nicht ana¬ logen Form'können das Bild nur verwirren. Daher haben diese Mühwal- tungen, selbst Wielands anmuthig verwässerter Horaz, nie etwas Sonderliches gewirkt und namentlich alle jene Alcrandrinercopien sind längst zu ihren Vätern versammelt. Dagegen war die zweite Gattung, die Original dichtung im Stil der Fremde, immer von der größten Bedeutung. Zwar war auch Hier eine vollkommene Congruenz der Formen im seltensten Falle möglich, da die Bin¬ dung und Bewegung des Verses aus dem innersten Leben jeder Einzelsprache hervorgeht, aber einestheils modificirte sich die Schwierigkeit der Nachbildung doch sehr nach der verschiedenen Entfernung der fremden Form von dem ur¬ sprünglich Deutschen, anderntheils machte grade diese Nothwendigkeit, das Fremde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/372>, abgerufen am 24.08.2024.