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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wird. Jedes Wort ist, wenn nicht im Begriffsinhalte, so doch in seiner leben¬
digen phraseologischen Erscheinung in jeder Sprache ein besonderes Wesen und
spricht man dafür das analogste Wort einer andern Sprache aus, so erweckt
dies nicht alle dieselben und daneben einige neue Ideenassociationen. Wenn
ich z. B. das einfache Wort.sal^or durch per" oder Vater übersetze, so
mögen sich diese Wörter ihrem Inhalte nach decken, aber wenn schon in der
einfachsten Verbindung:


Der Vater schläft, die Mutter wacht.
'1'I>"z l'lutin' "Ivesis, l,Ile mcttboi' ^vuliss. '
I^e >>ni's ein'i,, !i> min'u voiliv.

die dadurch erweckten nächsten Vorstellungen zwar dieselben, die Empfindungen
aber durch den härteren oder weicheren Laut, den zerlassener" oder geschlosse¬
neren Ausdruck ein klein wenig verschieden sind und die daneben erweckten An¬
klänge, z. B. wenn ich bei den deutschen Worten an einen mit wacht schlie¬
ßenden ähnlichen Gesangvers, bei den englischen an einen spaßhaften Kinder¬
reim auf vakss, bei den französischen an eine bekannte Fabel von adeiUs, der
Biene, erinnert werde, sich nicht blos individuell, sondern auch national unter¬
scheiden -- wenn vom "Kaiser" die Rede, denkt der Franzose nur an einen
Napoleon, der Deutsche auch z. B. an Friedrich Barbarossa --: so gilt dies
in noch viel größerem Umfange von allem," was eigentlich Redewendung und
gar was Reimformel, Spruch, Wortspiel, Witz ist. Ja, wie so die Ausdeh¬
nung der Begriffe in dem Gebrauche nie ganz gleich ist, so haben nicht nur
dieselben Wörter im Munde verschiedener Menschen oder Menschenclassen
(z. B. der Diplomaten) oft grundverschiedene Bedeutung -- weshalb sie sich so
oft mißverstehen -- sondern vielmehr haben alle feineren Begriffe, für die der
große Volksmund ein Wort ausgeprägt hat, nicht gleichen Ins alt von Sprache
zu Sprache. Die höchsten und'theuersten Begriffe: Gott, König und Vater¬
land haben dem Engländer, dem Franzosen, dem Deutschen, jedem seinen
nationalen Inhalt, leider uns noch einen in sich selbst vielfachen; jeder wendet
sie nicht blos anders an, er setzt sie auch anders zusammen. Auch der einfachste
Satz deckt oft als.solcher nicht den Satz; wenn ich z. B. sage: "Wenn du
das thust, so gehe ich" und im Englischen, Ik z?on 6c> ttrat, I xc>, so ist die
Nachstellung des Objects Und und Auslassung des so so viel härter und ana¬
lytisch verständiger, die Schließung des Vordersatzes mit dem Zeitwort so viel
runder und synthetischer und das vermittelnde so so viel weicher und gleich-
schwebender, daß doch auch dieser kleine Satz in so verwandten Sprachen nicht
ganz denselben Eindruck macht. Wie wäre es auch sonst möglich, daß derselbe
Gedanke in der einen Sprache schön, in der andern häßlich ist? Die zierlichste,
schönste Periode eines Thucydides oder Macchiavelli wird (wie oft) im Deut¬
schen ein schwerfälliges winkliges Gefüge, der eleganteste Satzbau der Fran-


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wird. Jedes Wort ist, wenn nicht im Begriffsinhalte, so doch in seiner leben¬
digen phraseologischen Erscheinung in jeder Sprache ein besonderes Wesen und
spricht man dafür das analogste Wort einer andern Sprache aus, so erweckt
dies nicht alle dieselben und daneben einige neue Ideenassociationen. Wenn
ich z. B. das einfache Wort.sal^or durch per« oder Vater übersetze, so
mögen sich diese Wörter ihrem Inhalte nach decken, aber wenn schon in der
einfachsten Verbindung:


Der Vater schläft, die Mutter wacht.
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I^e >>ni's ein'i,, !i> min'u voiliv.

die dadurch erweckten nächsten Vorstellungen zwar dieselben, die Empfindungen
aber durch den härteren oder weicheren Laut, den zerlassener» oder geschlosse¬
neren Ausdruck ein klein wenig verschieden sind und die daneben erweckten An¬
klänge, z. B. wenn ich bei den deutschen Worten an einen mit wacht schlie¬
ßenden ähnlichen Gesangvers, bei den englischen an einen spaßhaften Kinder¬
reim auf vakss, bei den französischen an eine bekannte Fabel von adeiUs, der
Biene, erinnert werde, sich nicht blos individuell, sondern auch national unter¬
scheiden — wenn vom „Kaiser" die Rede, denkt der Franzose nur an einen
Napoleon, der Deutsche auch z. B. an Friedrich Barbarossa —: so gilt dies
in noch viel größerem Umfange von allem," was eigentlich Redewendung und
gar was Reimformel, Spruch, Wortspiel, Witz ist. Ja, wie so die Ausdeh¬
nung der Begriffe in dem Gebrauche nie ganz gleich ist, so haben nicht nur
dieselben Wörter im Munde verschiedener Menschen oder Menschenclassen
(z. B. der Diplomaten) oft grundverschiedene Bedeutung — weshalb sie sich so
oft mißverstehen — sondern vielmehr haben alle feineren Begriffe, für die der
große Volksmund ein Wort ausgeprägt hat, nicht gleichen Ins alt von Sprache
zu Sprache. Die höchsten und'theuersten Begriffe: Gott, König und Vater¬
land haben dem Engländer, dem Franzosen, dem Deutschen, jedem seinen
nationalen Inhalt, leider uns noch einen in sich selbst vielfachen; jeder wendet
sie nicht blos anders an, er setzt sie auch anders zusammen. Auch der einfachste
Satz deckt oft als.solcher nicht den Satz; wenn ich z. B. sage: „Wenn du
das thust, so gehe ich" und im Englischen, Ik z?on 6c> ttrat, I xc>, so ist die
Nachstellung des Objects Und und Auslassung des so so viel härter und ana¬
lytisch verständiger, die Schließung des Vordersatzes mit dem Zeitwort so viel
runder und synthetischer und das vermittelnde so so viel weicher und gleich-
schwebender, daß doch auch dieser kleine Satz in so verwandten Sprachen nicht
ganz denselben Eindruck macht. Wie wäre es auch sonst möglich, daß derselbe
Gedanke in der einen Sprache schön, in der andern häßlich ist? Die zierlichste,
schönste Periode eines Thucydides oder Macchiavelli wird (wie oft) im Deut¬
schen ein schwerfälliges winkliges Gefüge, der eleganteste Satzbau der Fran-


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[0371] wird. Jedes Wort ist, wenn nicht im Begriffsinhalte, so doch in seiner leben¬ digen phraseologischen Erscheinung in jeder Sprache ein besonderes Wesen und spricht man dafür das analogste Wort einer andern Sprache aus, so erweckt dies nicht alle dieselben und daneben einige neue Ideenassociationen. Wenn ich z. B. das einfache Wort.sal^or durch per« oder Vater übersetze, so mögen sich diese Wörter ihrem Inhalte nach decken, aber wenn schon in der einfachsten Verbindung: Der Vater schläft, die Mutter wacht. '1'I>«z l'lutin' «Ivesis, l,Ile mcttboi' ^vuliss. ' I^e >>ni's ein'i,, !i> min'u voiliv. die dadurch erweckten nächsten Vorstellungen zwar dieselben, die Empfindungen aber durch den härteren oder weicheren Laut, den zerlassener» oder geschlosse¬ neren Ausdruck ein klein wenig verschieden sind und die daneben erweckten An¬ klänge, z. B. wenn ich bei den deutschen Worten an einen mit wacht schlie¬ ßenden ähnlichen Gesangvers, bei den englischen an einen spaßhaften Kinder¬ reim auf vakss, bei den französischen an eine bekannte Fabel von adeiUs, der Biene, erinnert werde, sich nicht blos individuell, sondern auch national unter¬ scheiden — wenn vom „Kaiser" die Rede, denkt der Franzose nur an einen Napoleon, der Deutsche auch z. B. an Friedrich Barbarossa —: so gilt dies in noch viel größerem Umfange von allem," was eigentlich Redewendung und gar was Reimformel, Spruch, Wortspiel, Witz ist. Ja, wie so die Ausdeh¬ nung der Begriffe in dem Gebrauche nie ganz gleich ist, so haben nicht nur dieselben Wörter im Munde verschiedener Menschen oder Menschenclassen (z. B. der Diplomaten) oft grundverschiedene Bedeutung — weshalb sie sich so oft mißverstehen — sondern vielmehr haben alle feineren Begriffe, für die der große Volksmund ein Wort ausgeprägt hat, nicht gleichen Ins alt von Sprache zu Sprache. Die höchsten und'theuersten Begriffe: Gott, König und Vater¬ land haben dem Engländer, dem Franzosen, dem Deutschen, jedem seinen nationalen Inhalt, leider uns noch einen in sich selbst vielfachen; jeder wendet sie nicht blos anders an, er setzt sie auch anders zusammen. Auch der einfachste Satz deckt oft als.solcher nicht den Satz; wenn ich z. B. sage: „Wenn du das thust, so gehe ich" und im Englischen, Ik z?on 6c> ttrat, I xc>, so ist die Nachstellung des Objects Und und Auslassung des so so viel härter und ana¬ lytisch verständiger, die Schließung des Vordersatzes mit dem Zeitwort so viel runder und synthetischer und das vermittelnde so so viel weicher und gleich- schwebender, daß doch auch dieser kleine Satz in so verwandten Sprachen nicht ganz denselben Eindruck macht. Wie wäre es auch sonst möglich, daß derselbe Gedanke in der einen Sprache schön, in der andern häßlich ist? Die zierlichste, schönste Periode eines Thucydides oder Macchiavelli wird (wie oft) im Deut¬ schen ein schwerfälliges winkliges Gefüge, der eleganteste Satzbau der Fran- 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/371>, abgerufen am 24.08.2024.