Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und ausgebeutet. Bald gehörte es zu den guten Werken eines Pfarrers, auch nach
jenem Dörfchen gepilgert zu sein. Dort fanden sich die entschiedenen kirchlichen
Männer zusammen und allmälig wurde das Verhältniß der benachbarten
Synoden nach ihrer Beziehung zu diesem Dvrfparlamente beurtheilt.

Aus seiner Pandorabüchse verbreitete sich bald confessiomller Unfriede,
Intoleranz geistlicher Hochmuth; Missionsfeste und die guten Werke eines kirch¬
lichen Pfarrers im neuesten Sinne hatten ihre Wurzel in jenem Dorfe. Die
hengstenbergsche Kirchenzeitung war das Organ der ganzen Richtung. Allmälig übte
diese Verbrüderung auch einen großen Einfluß auf Besetzung kirchlicher Stellen
aus, in jeder Synode fanden sich einzelne Anhänger und nun begann die
Sichtung. Colporteure durchzogen zugleich Stadt und Land, sie hielten eine
neue, bis dahin ungebräuchliche Visitation ab, sammelten die Obrvmciuk soanäa-
Isuss, tarirten den Glauben der Pfarrer, der Lehrer, der Patrone nach dem
Absätze ihrer Erbauungsbücher und waren so Mittelspersonen, Zuträger ganz
neuer Art. Friede und Unbefangenheit waren jetzt vorüber, eine eigne Aufregung
verbreitete sich im Ländchen, aber merkwürdig -- die Zahl junger Theologen nahm
ab; so ungesund und künstlich erschien die Bewegung, daß selbst Geistliche ihre
Söhne warnten, dem früher so beliebten Studium sich hinzugeben.

Das Jahr I8i8 ließ die Anhänger des Bisthums ii> xartibus inüclslium
noch näher zusammentreten, ein Ueberläufer machte sogar den Vorschlag, eine
eigne geistliche Behörde zu bilden, zu deren Constituirung auch Mitglieder
des Consistoriums eingeladen werden sollten. Der Antragsteller hielt sich na¬
türlich selbst für die geeignetste Spitze der neuen revolutionären Behörde. So
erreichte die agitatorische Bewegung ihre Höhe, aber auch den Sieg. Als das
von den Stürmen der Revolution arg mitgenommene Schiff der Kirche seine
Schäden auszubessern und seine Besatzung zu ergänzen und zu erneuern be¬
gann, da wurde eine neue Flagge aufgehißt, die Zeichen der Confession wehten
vom Hauptmaste und die Anhänger der Union mußten resigniren. Neue Be¬
fehle, Verordnungen ergingen, welche mit den früher erlassenen in argem
Widerspruch standen, in dem Conststorium fand eine confessionelle Mo in parlos
statt und der Ausbau eines 'neuen Gebäudes begann.

Zu den Lieblingswünschen der NestaurationSpartei gehörte auch eine
gründliche Kirchenvisitation, dieselbe hatte zur ersten Reformationszeit das junge
protestantische Bewußtsein gestärkt; eine gleiche Maßregel wurde auch jetzt beim
Beginn der zweiten empfohlen. Der Oberkirchenrath kam diesen Wünschen ent¬
gegen und nun begann dieses neue Werk. Außer einigen Mitgliedern des
Consistoriums bestand die Visitationscommisston aus Geistlichen verschiedener
Provinzen, sie waren zu diesem Dienste besonders empfohlen und der Ober¬
kirchenrath gab die Verordnungen, nach welchen die Arbeit ausgeführt werden
sollte. Schwerlich hätte Voß seine Louise mit der idyllischen Schilderung des


und ausgebeutet. Bald gehörte es zu den guten Werken eines Pfarrers, auch nach
jenem Dörfchen gepilgert zu sein. Dort fanden sich die entschiedenen kirchlichen
Männer zusammen und allmälig wurde das Verhältniß der benachbarten
Synoden nach ihrer Beziehung zu diesem Dvrfparlamente beurtheilt.

Aus seiner Pandorabüchse verbreitete sich bald confessiomller Unfriede,
Intoleranz geistlicher Hochmuth; Missionsfeste und die guten Werke eines kirch¬
lichen Pfarrers im neuesten Sinne hatten ihre Wurzel in jenem Dorfe. Die
hengstenbergsche Kirchenzeitung war das Organ der ganzen Richtung. Allmälig übte
diese Verbrüderung auch einen großen Einfluß auf Besetzung kirchlicher Stellen
aus, in jeder Synode fanden sich einzelne Anhänger und nun begann die
Sichtung. Colporteure durchzogen zugleich Stadt und Land, sie hielten eine
neue, bis dahin ungebräuchliche Visitation ab, sammelten die Obrvmciuk soanäa-
Isuss, tarirten den Glauben der Pfarrer, der Lehrer, der Patrone nach dem
Absätze ihrer Erbauungsbücher und waren so Mittelspersonen, Zuträger ganz
neuer Art. Friede und Unbefangenheit waren jetzt vorüber, eine eigne Aufregung
verbreitete sich im Ländchen, aber merkwürdig — die Zahl junger Theologen nahm
ab; so ungesund und künstlich erschien die Bewegung, daß selbst Geistliche ihre
Söhne warnten, dem früher so beliebten Studium sich hinzugeben.

Das Jahr I8i8 ließ die Anhänger des Bisthums ii> xartibus inüclslium
noch näher zusammentreten, ein Ueberläufer machte sogar den Vorschlag, eine
eigne geistliche Behörde zu bilden, zu deren Constituirung auch Mitglieder
des Consistoriums eingeladen werden sollten. Der Antragsteller hielt sich na¬
türlich selbst für die geeignetste Spitze der neuen revolutionären Behörde. So
erreichte die agitatorische Bewegung ihre Höhe, aber auch den Sieg. Als das
von den Stürmen der Revolution arg mitgenommene Schiff der Kirche seine
Schäden auszubessern und seine Besatzung zu ergänzen und zu erneuern be¬
gann, da wurde eine neue Flagge aufgehißt, die Zeichen der Confession wehten
vom Hauptmaste und die Anhänger der Union mußten resigniren. Neue Be¬
fehle, Verordnungen ergingen, welche mit den früher erlassenen in argem
Widerspruch standen, in dem Conststorium fand eine confessionelle Mo in parlos
statt und der Ausbau eines 'neuen Gebäudes begann.

Zu den Lieblingswünschen der NestaurationSpartei gehörte auch eine
gründliche Kirchenvisitation, dieselbe hatte zur ersten Reformationszeit das junge
protestantische Bewußtsein gestärkt; eine gleiche Maßregel wurde auch jetzt beim
Beginn der zweiten empfohlen. Der Oberkirchenrath kam diesen Wünschen ent¬
gegen und nun begann dieses neue Werk. Außer einigen Mitgliedern des
Consistoriums bestand die Visitationscommisston aus Geistlichen verschiedener
Provinzen, sie waren zu diesem Dienste besonders empfohlen und der Ober¬
kirchenrath gab die Verordnungen, nach welchen die Arbeit ausgeführt werden
sollte. Schwerlich hätte Voß seine Louise mit der idyllischen Schilderung des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100790"/>
          <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> und ausgebeutet. Bald gehörte es zu den guten Werken eines Pfarrers, auch nach<lb/>
jenem Dörfchen gepilgert zu sein. Dort fanden sich die entschiedenen kirchlichen<lb/>
Männer zusammen und allmälig wurde das Verhältniß der benachbarten<lb/>
Synoden nach ihrer Beziehung zu diesem Dvrfparlamente beurtheilt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_965"> Aus seiner Pandorabüchse verbreitete sich bald confessiomller Unfriede,<lb/>
Intoleranz geistlicher Hochmuth; Missionsfeste und die guten Werke eines kirch¬<lb/>
lichen Pfarrers im neuesten Sinne hatten ihre Wurzel in jenem Dorfe. Die<lb/>
hengstenbergsche Kirchenzeitung war das Organ der ganzen Richtung. Allmälig übte<lb/>
diese Verbrüderung auch einen großen Einfluß auf Besetzung kirchlicher Stellen<lb/>
aus, in jeder Synode fanden sich einzelne Anhänger und nun begann die<lb/>
Sichtung. Colporteure durchzogen zugleich Stadt und Land, sie hielten eine<lb/>
neue, bis dahin ungebräuchliche Visitation ab, sammelten die Obrvmciuk soanäa-<lb/>
Isuss, tarirten den Glauben der Pfarrer, der Lehrer, der Patrone nach dem<lb/>
Absätze ihrer Erbauungsbücher und waren so Mittelspersonen, Zuträger ganz<lb/>
neuer Art. Friede und Unbefangenheit waren jetzt vorüber, eine eigne Aufregung<lb/>
verbreitete sich im Ländchen, aber merkwürdig &#x2014; die Zahl junger Theologen nahm<lb/>
ab; so ungesund und künstlich erschien die Bewegung, daß selbst Geistliche ihre<lb/>
Söhne warnten, dem früher so beliebten Studium sich hinzugeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_966"> Das Jahr I8i8 ließ die Anhänger des Bisthums ii&gt; xartibus inüclslium<lb/>
noch näher zusammentreten, ein Ueberläufer machte sogar den Vorschlag, eine<lb/>
eigne geistliche Behörde zu bilden, zu deren Constituirung auch Mitglieder<lb/>
des Consistoriums eingeladen werden sollten. Der Antragsteller hielt sich na¬<lb/>
türlich selbst für die geeignetste Spitze der neuen revolutionären Behörde. So<lb/>
erreichte die agitatorische Bewegung ihre Höhe, aber auch den Sieg. Als das<lb/>
von den Stürmen der Revolution arg mitgenommene Schiff der Kirche seine<lb/>
Schäden auszubessern und seine Besatzung zu ergänzen und zu erneuern be¬<lb/>
gann, da wurde eine neue Flagge aufgehißt, die Zeichen der Confession wehten<lb/>
vom Hauptmaste und die Anhänger der Union mußten resigniren. Neue Be¬<lb/>
fehle, Verordnungen ergingen, welche mit den früher erlassenen in argem<lb/>
Widerspruch standen, in dem Conststorium fand eine confessionelle Mo in parlos<lb/>
statt und der Ausbau eines 'neuen Gebäudes begann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_967" next="#ID_968"> Zu den Lieblingswünschen der NestaurationSpartei gehörte auch eine<lb/>
gründliche Kirchenvisitation, dieselbe hatte zur ersten Reformationszeit das junge<lb/>
protestantische Bewußtsein gestärkt; eine gleiche Maßregel wurde auch jetzt beim<lb/>
Beginn der zweiten empfohlen. Der Oberkirchenrath kam diesen Wünschen ent¬<lb/>
gegen und nun begann dieses neue Werk. Außer einigen Mitgliedern des<lb/>
Consistoriums bestand die Visitationscommisston aus Geistlichen verschiedener<lb/>
Provinzen, sie waren zu diesem Dienste besonders empfohlen und der Ober¬<lb/>
kirchenrath gab die Verordnungen, nach welchen die Arbeit ausgeführt werden<lb/>
sollte.  Schwerlich hätte Voß seine Louise mit der idyllischen Schilderung des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] und ausgebeutet. Bald gehörte es zu den guten Werken eines Pfarrers, auch nach jenem Dörfchen gepilgert zu sein. Dort fanden sich die entschiedenen kirchlichen Männer zusammen und allmälig wurde das Verhältniß der benachbarten Synoden nach ihrer Beziehung zu diesem Dvrfparlamente beurtheilt. Aus seiner Pandorabüchse verbreitete sich bald confessiomller Unfriede, Intoleranz geistlicher Hochmuth; Missionsfeste und die guten Werke eines kirch¬ lichen Pfarrers im neuesten Sinne hatten ihre Wurzel in jenem Dorfe. Die hengstenbergsche Kirchenzeitung war das Organ der ganzen Richtung. Allmälig übte diese Verbrüderung auch einen großen Einfluß auf Besetzung kirchlicher Stellen aus, in jeder Synode fanden sich einzelne Anhänger und nun begann die Sichtung. Colporteure durchzogen zugleich Stadt und Land, sie hielten eine neue, bis dahin ungebräuchliche Visitation ab, sammelten die Obrvmciuk soanäa- Isuss, tarirten den Glauben der Pfarrer, der Lehrer, der Patrone nach dem Absätze ihrer Erbauungsbücher und waren so Mittelspersonen, Zuträger ganz neuer Art. Friede und Unbefangenheit waren jetzt vorüber, eine eigne Aufregung verbreitete sich im Ländchen, aber merkwürdig — die Zahl junger Theologen nahm ab; so ungesund und künstlich erschien die Bewegung, daß selbst Geistliche ihre Söhne warnten, dem früher so beliebten Studium sich hinzugeben. Das Jahr I8i8 ließ die Anhänger des Bisthums ii> xartibus inüclslium noch näher zusammentreten, ein Ueberläufer machte sogar den Vorschlag, eine eigne geistliche Behörde zu bilden, zu deren Constituirung auch Mitglieder des Consistoriums eingeladen werden sollten. Der Antragsteller hielt sich na¬ türlich selbst für die geeignetste Spitze der neuen revolutionären Behörde. So erreichte die agitatorische Bewegung ihre Höhe, aber auch den Sieg. Als das von den Stürmen der Revolution arg mitgenommene Schiff der Kirche seine Schäden auszubessern und seine Besatzung zu ergänzen und zu erneuern be¬ gann, da wurde eine neue Flagge aufgehißt, die Zeichen der Confession wehten vom Hauptmaste und die Anhänger der Union mußten resigniren. Neue Be¬ fehle, Verordnungen ergingen, welche mit den früher erlassenen in argem Widerspruch standen, in dem Conststorium fand eine confessionelle Mo in parlos statt und der Ausbau eines 'neuen Gebäudes begann. Zu den Lieblingswünschen der NestaurationSpartei gehörte auch eine gründliche Kirchenvisitation, dieselbe hatte zur ersten Reformationszeit das junge protestantische Bewußtsein gestärkt; eine gleiche Maßregel wurde auch jetzt beim Beginn der zweiten empfohlen. Der Oberkirchenrath kam diesen Wünschen ent¬ gegen und nun begann dieses neue Werk. Außer einigen Mitgliedern des Consistoriums bestand die Visitationscommisston aus Geistlichen verschiedener Provinzen, sie waren zu diesem Dienste besonders empfohlen und der Ober¬ kirchenrath gab die Verordnungen, nach welchen die Arbeit ausgeführt werden sollte. Schwerlich hätte Voß seine Louise mit der idyllischen Schilderung des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/336>, abgerufen am 22.07.2024.