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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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sich von Extravaganzen fern, vermied Kollisionen mit andern Behörden und
suchte die Liebe und den Eifer für das Pfarramt zu beleben. Er besaß eine
eigne Todtenkammer, in welcher sich Anfragen und herausfordernde Erklärungen
todt lagen ; eine mündliche Autwort, mündliche Vertröstungen, allgemeine Ver¬
sprechungen blieben sür diese gefährlichen Schriftstücke die glücklichste Beseitigung.
In besondern Fällen erging eine Anfrage an das Kultusministerium. Der
Kirchenfriede lag diesem Manne besonders am Herzen; einzelne Synoden,
welche in der Auffassung confessioneller Fragen durchgehen und aus der jungen
Befestigung der unirteu Kirche ausbrechen wollten, hielt er längere Zeit zurück.
Einzelne Vertraute mußten ihm von allen die Kirche und die Geistlichen be¬
treffenden Verhältnissen berichten, im speciellen Verkehr mit diesen Lieblingen
legte er das Bischofskreuz ab und freute sich pikanter Unterhaltungen, welche
an die lutherschen Tischreden erinnerten. So war es in der guten alten Zeit. --

Nach dem Rücktritt des Ministers Altenstein begann jene kirchliche Restau-
rationsperiode, welche in unserm Ländchen mit vorbereitet und befördert wurde.
Auf einem Gute lebte nämlich ein Edelmann, der eine besondere Passion für
orthodor-kirchliche Fragen hatte. Schon lange wartete er der Zeit, in welcher
er seinen Einfluß mit verbrüderten Männern geltend machen konnte. Ihm
schwebte die Gestalt Zinzendorff vor, der Bau der alten lutherischen Kirche
war zerfallen, eine neue sollte hergestellt werden, in welcher puritanischer Ernst,
eine strenge Sonntagsfeier, Unauflöslichkeit der Ehe, strenge Kirchenzucht,
Symbolzwang, beschränkte Lehrfreiheit mit Begünstigung entsprechender politi¬
scher Institutionen herrschen sollte. Einen besondern Widerwillen hatte dieser
Mann vor der Preßfreiheit und eine starke Antipathie gegen Kossuth, denn
seine Söhne schickte er in die östreichische Armee, um mit den Russen gemein¬
sam dem Andringen des ungarischen Antichrists sich entgegenzustellen. So be¬
schränkt auch die geistige Sphäre dieses Mannes sein mochte, so achtungswerth
war sein Privatcharakter. Wohlthätigkeit zeichnete ihn aus, die Handwerks¬
burschen machten stets einen Umweg über seine Besitzung, erhielten stets eine
Gabe, welche freilich erst durch das Mitgeschenk eines Tractätchens auch eine
geistliche Beziehung gewinnen sollte.

Jährlich fand auf seinem Gute einmal eine große kirchliche Versammlung
statt, welche lange mit großer Vorsicht und Behutsamkeit von den Anhängern
des Consistoriums besucht wurde; dort wurde die kirchliche Parole ausgegeben,
Petitionen verfaßt und jede kirchliche Maßregel neuern Datums empfohlen.
Hier sprach sich die neue Kirche aus und es bildete sich allmälig ein Dorfparla-
Ment aus, dessen Einfluß bald mit Argwohn vom Consistorium betrachtet wurde,
galt besonders dem Kampfe gegen die Union; viele Männer, welche in
Jahren ihrer Jugend und männlichen Kraft dieselbe gefördert hatten, zogen
auf das Gut und thaten dort Buße; die Noth der Kirche wurde dort entdeckt


sich von Extravaganzen fern, vermied Kollisionen mit andern Behörden und
suchte die Liebe und den Eifer für das Pfarramt zu beleben. Er besaß eine
eigne Todtenkammer, in welcher sich Anfragen und herausfordernde Erklärungen
todt lagen ; eine mündliche Autwort, mündliche Vertröstungen, allgemeine Ver¬
sprechungen blieben sür diese gefährlichen Schriftstücke die glücklichste Beseitigung.
In besondern Fällen erging eine Anfrage an das Kultusministerium. Der
Kirchenfriede lag diesem Manne besonders am Herzen; einzelne Synoden,
welche in der Auffassung confessioneller Fragen durchgehen und aus der jungen
Befestigung der unirteu Kirche ausbrechen wollten, hielt er längere Zeit zurück.
Einzelne Vertraute mußten ihm von allen die Kirche und die Geistlichen be¬
treffenden Verhältnissen berichten, im speciellen Verkehr mit diesen Lieblingen
legte er das Bischofskreuz ab und freute sich pikanter Unterhaltungen, welche
an die lutherschen Tischreden erinnerten. So war es in der guten alten Zeit. —

Nach dem Rücktritt des Ministers Altenstein begann jene kirchliche Restau-
rationsperiode, welche in unserm Ländchen mit vorbereitet und befördert wurde.
Auf einem Gute lebte nämlich ein Edelmann, der eine besondere Passion für
orthodor-kirchliche Fragen hatte. Schon lange wartete er der Zeit, in welcher
er seinen Einfluß mit verbrüderten Männern geltend machen konnte. Ihm
schwebte die Gestalt Zinzendorff vor, der Bau der alten lutherischen Kirche
war zerfallen, eine neue sollte hergestellt werden, in welcher puritanischer Ernst,
eine strenge Sonntagsfeier, Unauflöslichkeit der Ehe, strenge Kirchenzucht,
Symbolzwang, beschränkte Lehrfreiheit mit Begünstigung entsprechender politi¬
scher Institutionen herrschen sollte. Einen besondern Widerwillen hatte dieser
Mann vor der Preßfreiheit und eine starke Antipathie gegen Kossuth, denn
seine Söhne schickte er in die östreichische Armee, um mit den Russen gemein¬
sam dem Andringen des ungarischen Antichrists sich entgegenzustellen. So be¬
schränkt auch die geistige Sphäre dieses Mannes sein mochte, so achtungswerth
war sein Privatcharakter. Wohlthätigkeit zeichnete ihn aus, die Handwerks¬
burschen machten stets einen Umweg über seine Besitzung, erhielten stets eine
Gabe, welche freilich erst durch das Mitgeschenk eines Tractätchens auch eine
geistliche Beziehung gewinnen sollte.

Jährlich fand auf seinem Gute einmal eine große kirchliche Versammlung
statt, welche lange mit großer Vorsicht und Behutsamkeit von den Anhängern
des Consistoriums besucht wurde; dort wurde die kirchliche Parole ausgegeben,
Petitionen verfaßt und jede kirchliche Maßregel neuern Datums empfohlen.
Hier sprach sich die neue Kirche aus und es bildete sich allmälig ein Dorfparla-
Ment aus, dessen Einfluß bald mit Argwohn vom Consistorium betrachtet wurde,
galt besonders dem Kampfe gegen die Union; viele Männer, welche in
Jahren ihrer Jugend und männlichen Kraft dieselbe gefördert hatten, zogen
auf das Gut und thaten dort Buße; die Noth der Kirche wurde dort entdeckt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/335>, abgerufen am 22.07.2024.