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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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mitgetheilt wurde. Der Lehrer theilte nämlich mit manchen seiner hochgestell¬
ten Collegen die unglückliche Vorliebe für einige Flink- und Stichwörter, welche
theils zur Verbindung einzelner Wörter, theils ganzer Sätze gebraucht wurden.
Diese bildeten den Kitt der Rede. Es waren besonders notirt worden die
Wörter nun -- gleichsam -- weiter, jedes von ihnen löste in schöner Ab¬
wechslung das andere zur rechten Zeit ab, aber der Superintendent hatte sie
als wilde Dornen bald erkannt und schnitt dem Lehrer ins Fleisch, als er ihm
diese stereotyp gewordenen Schoßkinder markirte. Um die Autorität des Lehrers
jedoch nicht zu untergraben, erfolgten die Erinnerungen nie vor den Schülern
und einige gute, methodische Winke und Ermunterungen beschlossen diese Visitation.
Namentlich wurde dem Lehrer ans Herz gelegt, so zu unterrichten, daß die
Schulkinder gern zum Unterricht kommen und die Schulversäumnisse wenigstens
während des Winters nachließen. Die vor der Schule ausgesprochene Aner¬
kennung, daß die Schüler laut und ausdrucksvoll sprächen, gute Handschriften
hätten und mit Spannung an der Prüfung Theil genommen, kräftigte die
Autorität des Lehrers vor seinen Schülern und erhöhte auch das Ansehen des
Mannes in der Gemeinde.

Den Schluß der Kirchenvisttation bildete ein Privatissimum, welches der
Superintendent mit dem Pfarrer abhielt. In ihm kamen Kirchenbesuch, die
Zahl der Communicanten, Sonntagsfeier, Armenpflege zur Besprechung, jede
zudringliche, inquisitorische Neugierde blieb fern und die Verhandlung endete in
jenem milden humanen Geiste, welcher vom Treiben und von Treibern in der
Kirche wenig hält, excentrische Einwirkungen meid/t und eine stille anspruchs¬
lose Wirksamkeit im Kirchendienste dem lärmenden polternden Eingreifen
vorzieht.

Neben dem Superintendenten erschien von Zeit zu Zeit der Generalsuper-
intendent der Provinz; ein Theil seines Einkommens floß mit aus den Diäten
für nothwendige Dienstreisen. Dieser Mann besaß diplomatisches Talent und
höfische Manieren, hatte eine besondere Vorliebe und ein starkes Gedächtniß
für pei'son-iUk, suchte durch Wortspiele, hochtönende Dicta zu imponiren und
verstand den Glauben an seinen überwiegenden Einfluß im Konsistorium zu
befestigen, von welchem er jede Persönlichkeit fern hielt, welche den Versuch
hätte machen können, ihm entgegenzutreten. Da er die Candidatenprüfungen
leitete, hier nicht ohne heilsame Strenge verfuhr, bei Besetzung königlicher
Stellen einen Häupteinfluß besaß, seine Anhänger, welche ihn für den ersten
Menschenkenner hielten, beförderte, so war die Erscheinung dieses Mannes
immer aufregend. So schlicht und einfach der Inhalt seiner Reden war, so ge¬
ziert war der Vortrag; es gab keine Gegend im dialektreichcn deutschen Vater¬
lande, wo eine solche bischöfliche Aussprache sich hätte nachweisen lassen. Einige
Lieblinge suchten diese sogar zu copiren. In der Leitung der Kirche hielt er


mitgetheilt wurde. Der Lehrer theilte nämlich mit manchen seiner hochgestell¬
ten Collegen die unglückliche Vorliebe für einige Flink- und Stichwörter, welche
theils zur Verbindung einzelner Wörter, theils ganzer Sätze gebraucht wurden.
Diese bildeten den Kitt der Rede. Es waren besonders notirt worden die
Wörter nun — gleichsam — weiter, jedes von ihnen löste in schöner Ab¬
wechslung das andere zur rechten Zeit ab, aber der Superintendent hatte sie
als wilde Dornen bald erkannt und schnitt dem Lehrer ins Fleisch, als er ihm
diese stereotyp gewordenen Schoßkinder markirte. Um die Autorität des Lehrers
jedoch nicht zu untergraben, erfolgten die Erinnerungen nie vor den Schülern
und einige gute, methodische Winke und Ermunterungen beschlossen diese Visitation.
Namentlich wurde dem Lehrer ans Herz gelegt, so zu unterrichten, daß die
Schulkinder gern zum Unterricht kommen und die Schulversäumnisse wenigstens
während des Winters nachließen. Die vor der Schule ausgesprochene Aner¬
kennung, daß die Schüler laut und ausdrucksvoll sprächen, gute Handschriften
hätten und mit Spannung an der Prüfung Theil genommen, kräftigte die
Autorität des Lehrers vor seinen Schülern und erhöhte auch das Ansehen des
Mannes in der Gemeinde.

Den Schluß der Kirchenvisttation bildete ein Privatissimum, welches der
Superintendent mit dem Pfarrer abhielt. In ihm kamen Kirchenbesuch, die
Zahl der Communicanten, Sonntagsfeier, Armenpflege zur Besprechung, jede
zudringliche, inquisitorische Neugierde blieb fern und die Verhandlung endete in
jenem milden humanen Geiste, welcher vom Treiben und von Treibern in der
Kirche wenig hält, excentrische Einwirkungen meid/t und eine stille anspruchs¬
lose Wirksamkeit im Kirchendienste dem lärmenden polternden Eingreifen
vorzieht.

Neben dem Superintendenten erschien von Zeit zu Zeit der Generalsuper-
intendent der Provinz; ein Theil seines Einkommens floß mit aus den Diäten
für nothwendige Dienstreisen. Dieser Mann besaß diplomatisches Talent und
höfische Manieren, hatte eine besondere Vorliebe und ein starkes Gedächtniß
für pei'son-iUk, suchte durch Wortspiele, hochtönende Dicta zu imponiren und
verstand den Glauben an seinen überwiegenden Einfluß im Konsistorium zu
befestigen, von welchem er jede Persönlichkeit fern hielt, welche den Versuch
hätte machen können, ihm entgegenzutreten. Da er die Candidatenprüfungen
leitete, hier nicht ohne heilsame Strenge verfuhr, bei Besetzung königlicher
Stellen einen Häupteinfluß besaß, seine Anhänger, welche ihn für den ersten
Menschenkenner hielten, beförderte, so war die Erscheinung dieses Mannes
immer aufregend. So schlicht und einfach der Inhalt seiner Reden war, so ge¬
ziert war der Vortrag; es gab keine Gegend im dialektreichcn deutschen Vater¬
lande, wo eine solche bischöfliche Aussprache sich hätte nachweisen lassen. Einige
Lieblinge suchten diese sogar zu copiren. In der Leitung der Kirche hielt er


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[0334] mitgetheilt wurde. Der Lehrer theilte nämlich mit manchen seiner hochgestell¬ ten Collegen die unglückliche Vorliebe für einige Flink- und Stichwörter, welche theils zur Verbindung einzelner Wörter, theils ganzer Sätze gebraucht wurden. Diese bildeten den Kitt der Rede. Es waren besonders notirt worden die Wörter nun — gleichsam — weiter, jedes von ihnen löste in schöner Ab¬ wechslung das andere zur rechten Zeit ab, aber der Superintendent hatte sie als wilde Dornen bald erkannt und schnitt dem Lehrer ins Fleisch, als er ihm diese stereotyp gewordenen Schoßkinder markirte. Um die Autorität des Lehrers jedoch nicht zu untergraben, erfolgten die Erinnerungen nie vor den Schülern und einige gute, methodische Winke und Ermunterungen beschlossen diese Visitation. Namentlich wurde dem Lehrer ans Herz gelegt, so zu unterrichten, daß die Schulkinder gern zum Unterricht kommen und die Schulversäumnisse wenigstens während des Winters nachließen. Die vor der Schule ausgesprochene Aner¬ kennung, daß die Schüler laut und ausdrucksvoll sprächen, gute Handschriften hätten und mit Spannung an der Prüfung Theil genommen, kräftigte die Autorität des Lehrers vor seinen Schülern und erhöhte auch das Ansehen des Mannes in der Gemeinde. Den Schluß der Kirchenvisttation bildete ein Privatissimum, welches der Superintendent mit dem Pfarrer abhielt. In ihm kamen Kirchenbesuch, die Zahl der Communicanten, Sonntagsfeier, Armenpflege zur Besprechung, jede zudringliche, inquisitorische Neugierde blieb fern und die Verhandlung endete in jenem milden humanen Geiste, welcher vom Treiben und von Treibern in der Kirche wenig hält, excentrische Einwirkungen meid/t und eine stille anspruchs¬ lose Wirksamkeit im Kirchendienste dem lärmenden polternden Eingreifen vorzieht. Neben dem Superintendenten erschien von Zeit zu Zeit der Generalsuper- intendent der Provinz; ein Theil seines Einkommens floß mit aus den Diäten für nothwendige Dienstreisen. Dieser Mann besaß diplomatisches Talent und höfische Manieren, hatte eine besondere Vorliebe und ein starkes Gedächtniß für pei'son-iUk, suchte durch Wortspiele, hochtönende Dicta zu imponiren und verstand den Glauben an seinen überwiegenden Einfluß im Konsistorium zu befestigen, von welchem er jede Persönlichkeit fern hielt, welche den Versuch hätte machen können, ihm entgegenzutreten. Da er die Candidatenprüfungen leitete, hier nicht ohne heilsame Strenge verfuhr, bei Besetzung königlicher Stellen einen Häupteinfluß besaß, seine Anhänger, welche ihn für den ersten Menschenkenner hielten, beförderte, so war die Erscheinung dieses Mannes immer aufregend. So schlicht und einfach der Inhalt seiner Reden war, so ge¬ ziert war der Vortrag; es gab keine Gegend im dialektreichcn deutschen Vater¬ lande, wo eine solche bischöfliche Aussprache sich hätte nachweisen lassen. Einige Lieblinge suchten diese sogar zu copiren. In der Leitung der Kirche hielt er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/334>, abgerufen am 22.07.2024.