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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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süße und doch eindringende Klang seiner Stimme, seine edle, wenngleich nicht
zu großer Gewandtheit entwickelte Gesangsbildung, sein maßvoller Vortrag
wohlthuend zur Geltung kommen; aber seine Stimme ermüdet bald, wird dann
matter, klangloser und schwankend in der Intonation. Leider ist bis jetzt noch
niemand gefunden, der die erwähnten Rollen und ähnliche, den Belmonte,
Tamino und andere übernehmen könnte. Sind wirklich die Tenore dieser
Richtung so selten geworden, oder ist hier, wie oft behauptet wird, auch Neid
und Mißgunst im Spiel? Will man Tenore für classische Musik erziehen, so
wird man vor allem darauf bestehen müssen, daß sie sich von jeder modernen
Aufgabe fernhalten, die zum Forciren der Brusttöne und zur Unbildung eines
naturwidriger Falsets verleitet; die Tenorstimme verträgt daS bunte Allerlei
am wenigsten unter allen Stimmen. Sänger, die sich, um in Meyerbeers
und Donizettis Opern glänzen zu können, künstliche Eigenschaften angezwungen
und die Ausbildung des natürlichen Gleichmaßes der Stimme vernachlässigt
haben, können nicht mehr beliebig umspringen und in Mozarts und Glucks Werken
zu einer reinen Darstellung gelangen. Das Engagement des Herrn FormeS
ist insofern ein Gewinn für unsre Bühne, als er eine metallreiche, kräftige,
männliche Stimme besitzt, die den Anstrengungen der großen Oper bis jetzt
noch gewachsen ist. Sein Auffassungs- und Vortragstalent erstreckt sich nicht
bis in die Feinheiten eines Werks, aber es trifft die Grund- und Hauptzüge;
er weiß zu rechter Zeit durch Energie zu wirken und hat sich, nicht ohne Er¬
folg, auch eine weichere BeHandlungsweise des Organs anzueignen gesucht.
Einzelne gelungene Momente können uns aber nicht sür die große Ungleichheit
der Darstellung entschädigen. Wir hören Töne, die durch unedlen Klang und
körperliche Anstrengung verletzen, neben den besten; und wenn sich dies in
modernen Werken noch einigermaßen ertragen läßt, so ist es in jeder Oper,
die dem classischen Stil näher steht, im Oberon, in der Jessonda, um so an¬
stößiger. In den ersten Jahren seines Hierseins machte Herr Formes Fortschritte;
und wir glauben, daß er auch jetzt noch fortschreiten könnte, wenn er sich ernstlicher
darum bemühen wollte, dem Geschmack des gebildeten Publicums Genüge zu
thun. Herr Pfister ist mit seinem zwar kräftigen, aber etwas zerflossenen
und schlecht geschulten Organ nie eine Zierde unsrer Oper gewesen und ist es
jetzt noch weniger, da die Höhe abzunehmen und die Intonation schwankender
zu werden beginnt. Herr Krüger, den man für lyrische und classische Partien
heranzubilden dachte, ist auf falschem Wege. Seine Stimme, obschon er noch
jung ist, scheint immer klangloser und unreiner zu werden.

Auch in der Besetzung der Baßstimmen sind Mängel und Lücken, doch in
geringerer Auffälligkeit. Zschiesche ist für Rollen, die keinen Gefühlsvortrag
verlangen und denen mit der Wirkung eherner, markiger Fundamentaltöne ge¬
nügt ist, trotz seines Alters noch immer brauchbar. Sein Rocco im Fidelio


G.enzboten. IV. I8so. i

süße und doch eindringende Klang seiner Stimme, seine edle, wenngleich nicht
zu großer Gewandtheit entwickelte Gesangsbildung, sein maßvoller Vortrag
wohlthuend zur Geltung kommen; aber seine Stimme ermüdet bald, wird dann
matter, klangloser und schwankend in der Intonation. Leider ist bis jetzt noch
niemand gefunden, der die erwähnten Rollen und ähnliche, den Belmonte,
Tamino und andere übernehmen könnte. Sind wirklich die Tenore dieser
Richtung so selten geworden, oder ist hier, wie oft behauptet wird, auch Neid
und Mißgunst im Spiel? Will man Tenore für classische Musik erziehen, so
wird man vor allem darauf bestehen müssen, daß sie sich von jeder modernen
Aufgabe fernhalten, die zum Forciren der Brusttöne und zur Unbildung eines
naturwidriger Falsets verleitet; die Tenorstimme verträgt daS bunte Allerlei
am wenigsten unter allen Stimmen. Sänger, die sich, um in Meyerbeers
und Donizettis Opern glänzen zu können, künstliche Eigenschaften angezwungen
und die Ausbildung des natürlichen Gleichmaßes der Stimme vernachlässigt
haben, können nicht mehr beliebig umspringen und in Mozarts und Glucks Werken
zu einer reinen Darstellung gelangen. Das Engagement des Herrn FormeS
ist insofern ein Gewinn für unsre Bühne, als er eine metallreiche, kräftige,
männliche Stimme besitzt, die den Anstrengungen der großen Oper bis jetzt
noch gewachsen ist. Sein Auffassungs- und Vortragstalent erstreckt sich nicht
bis in die Feinheiten eines Werks, aber es trifft die Grund- und Hauptzüge;
er weiß zu rechter Zeit durch Energie zu wirken und hat sich, nicht ohne Er¬
folg, auch eine weichere BeHandlungsweise des Organs anzueignen gesucht.
Einzelne gelungene Momente können uns aber nicht sür die große Ungleichheit
der Darstellung entschädigen. Wir hören Töne, die durch unedlen Klang und
körperliche Anstrengung verletzen, neben den besten; und wenn sich dies in
modernen Werken noch einigermaßen ertragen läßt, so ist es in jeder Oper,
die dem classischen Stil näher steht, im Oberon, in der Jessonda, um so an¬
stößiger. In den ersten Jahren seines Hierseins machte Herr Formes Fortschritte;
und wir glauben, daß er auch jetzt noch fortschreiten könnte, wenn er sich ernstlicher
darum bemühen wollte, dem Geschmack des gebildeten Publicums Genüge zu
thun. Herr Pfister ist mit seinem zwar kräftigen, aber etwas zerflossenen
und schlecht geschulten Organ nie eine Zierde unsrer Oper gewesen und ist es
jetzt noch weniger, da die Höhe abzunehmen und die Intonation schwankender
zu werden beginnt. Herr Krüger, den man für lyrische und classische Partien
heranzubilden dachte, ist auf falschem Wege. Seine Stimme, obschon er noch
jung ist, scheint immer klangloser und unreiner zu werden.

Auch in der Besetzung der Baßstimmen sind Mängel und Lücken, doch in
geringerer Auffälligkeit. Zschiesche ist für Rollen, die keinen Gefühlsvortrag
verlangen und denen mit der Wirkung eherner, markiger Fundamentaltöne ge¬
nügt ist, trotz seines Alters noch immer brauchbar. Sein Rocco im Fidelio


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/33>, abgerufen am 24.08.2024.