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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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auch, daß er zuweilen sehr flüchtige Skizzen macht, wie Rubens auch. Mau
wirft ihm vor, daß er sich an Shakespears Schönheiten vergriffen habe, daß
er die Blume der Schönheit, Julictte, zu häßlich gemacht und Romeo nicht
genug idealisirt, und doch, wer diese hingeworfenen Pinselstriche betrachtet --
mit wie Wenigem die Scene des Abschiedes so ergreifend wiedergegeben und
wie der Morgen in der Landschaft selbst unglücklich scheint ob des Unglücks
der Liebenden, der wird durch das Unfertige 'in den Zügen nicht gestört wer¬
den. Meissonnier würde es anders gemacht haben und andere Kleinkünstler
ebenfalls, aber trotz aller Fertigkeit und trotz aller Vollendung der Ausführung
würden sie uns nicht so ergreifen. Dasselbe kann von den beiden Foscari,
von Hamlet und den Todtengräbern, vom Gefangenen in Chillon, vom Tode
Valentins gesagt werden. Das Gretchen werden sentimentale Deutsche eben¬
sowenig als französische Kunstkritiker in diesem Mädchen im Hemd und mit
aufgelösten Haaren erkennen, -- sowie Valentin nicht graziös genug daliegt,
indem er seiner Schwester den letzten Fluch ins Gesicht schleudert. Goethe
aber würde sich wol zufrieden geben mit dieser Auffassung. Die alten Hänser
der engen Straßen, in deren Hintergrund Faust von Mephisto fortgerissen
verschwindet, -- das alte Weib, das mit einem Lichte am Fenster erscheint und
erstaunt auf die Scene herabsieht, alles wirkt zusammen, uns eine lebhafte
Vorstellung von dem bedeutenden Ereignisse zu geben. Ueberdies macht das
Bild einen Eindruck durch seine Stimmung, den sorgfältig ausgearbeitete Bil¬
der dieser Art vergebens erstreben. Die Hinrichtung Marino Falieros gehört
in anderer Beziehung mit zum Besten, was Delacroir gemalt. Der enthauptete,
unter einem Tuche verhüllte Leib am Fuße der breiten Marmortreppe, während
oben das Schwert des Dogen von Venedig gezeigt wird -- der prachtvolle
Glanz, den der Streich des Henkers verlöscht, die Macht des Gesetzes,
herrschend selbst über die mächtige Aristokratie, sind ergreifend dargestellt -- in
diesem nackten Schwerte, wie es da vor uns erscheint, liegt ein Stück Ge¬
schichte. Und wie das gemalt ist! Seit Veronese ist solcher Farbcnzauber eine
unbekannte Größe für uns geblieben.

Delacroir wandert wie ein Alexander durch das Gebiet der Malerei. --
Haben wir ihn soeben wie ein unschuldiges Kind mit Blumen spielen
sehen, so finden wir ihn einen Augenblick später als Schöpfer einer Medea.
JngreS würde ohne Zweifel der archäologischen Anschauung mancher Kritiker
und auch den Racine bezauberten französischen Akademikern durch seine Arbeit
angenehmer geworden sein. Jasons Geliebte, die verstoßene Königin, würde
sich mit Maß die Falten des Königsmantels zurecht gelegt, die Kinder mit
einer runden Geste zart angefaßt und den Dolch mit einer gefälligen
Bewegung geschwungen, aus ihren Lippen würden sozusagen Alexandriner
geschwebt haben. Von all dem ist freilich bei Delacroir -keine Spur. Seine


Grenzboten. IV. -18os. jg

auch, daß er zuweilen sehr flüchtige Skizzen macht, wie Rubens auch. Mau
wirft ihm vor, daß er sich an Shakespears Schönheiten vergriffen habe, daß
er die Blume der Schönheit, Julictte, zu häßlich gemacht und Romeo nicht
genug idealisirt, und doch, wer diese hingeworfenen Pinselstriche betrachtet —
mit wie Wenigem die Scene des Abschiedes so ergreifend wiedergegeben und
wie der Morgen in der Landschaft selbst unglücklich scheint ob des Unglücks
der Liebenden, der wird durch das Unfertige 'in den Zügen nicht gestört wer¬
den. Meissonnier würde es anders gemacht haben und andere Kleinkünstler
ebenfalls, aber trotz aller Fertigkeit und trotz aller Vollendung der Ausführung
würden sie uns nicht so ergreifen. Dasselbe kann von den beiden Foscari,
von Hamlet und den Todtengräbern, vom Gefangenen in Chillon, vom Tode
Valentins gesagt werden. Das Gretchen werden sentimentale Deutsche eben¬
sowenig als französische Kunstkritiker in diesem Mädchen im Hemd und mit
aufgelösten Haaren erkennen, — sowie Valentin nicht graziös genug daliegt,
indem er seiner Schwester den letzten Fluch ins Gesicht schleudert. Goethe
aber würde sich wol zufrieden geben mit dieser Auffassung. Die alten Hänser
der engen Straßen, in deren Hintergrund Faust von Mephisto fortgerissen
verschwindet, — das alte Weib, das mit einem Lichte am Fenster erscheint und
erstaunt auf die Scene herabsieht, alles wirkt zusammen, uns eine lebhafte
Vorstellung von dem bedeutenden Ereignisse zu geben. Ueberdies macht das
Bild einen Eindruck durch seine Stimmung, den sorgfältig ausgearbeitete Bil¬
der dieser Art vergebens erstreben. Die Hinrichtung Marino Falieros gehört
in anderer Beziehung mit zum Besten, was Delacroir gemalt. Der enthauptete,
unter einem Tuche verhüllte Leib am Fuße der breiten Marmortreppe, während
oben das Schwert des Dogen von Venedig gezeigt wird — der prachtvolle
Glanz, den der Streich des Henkers verlöscht, die Macht des Gesetzes,
herrschend selbst über die mächtige Aristokratie, sind ergreifend dargestellt — in
diesem nackten Schwerte, wie es da vor uns erscheint, liegt ein Stück Ge¬
schichte. Und wie das gemalt ist! Seit Veronese ist solcher Farbcnzauber eine
unbekannte Größe für uns geblieben.

Delacroir wandert wie ein Alexander durch das Gebiet der Malerei. —
Haben wir ihn soeben wie ein unschuldiges Kind mit Blumen spielen
sehen, so finden wir ihn einen Augenblick später als Schöpfer einer Medea.
JngreS würde ohne Zweifel der archäologischen Anschauung mancher Kritiker
und auch den Racine bezauberten französischen Akademikern durch seine Arbeit
angenehmer geworden sein. Jasons Geliebte, die verstoßene Königin, würde
sich mit Maß die Falten des Königsmantels zurecht gelegt, die Kinder mit
einer runden Geste zart angefaßt und den Dolch mit einer gefälligen
Bewegung geschwungen, aus ihren Lippen würden sozusagen Alexandriner
geschwebt haben. Von all dem ist freilich bei Delacroir -keine Spur. Seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/321>, abgerufen am 24.08.2024.