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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Anekdote ins Licht sehen. Vor einiger Zeit ließ er den Gutsbesitzer W, auf
Optrup im Kirchspiele Satrup, einen gebornen Belgier, vor sich laden, um ihn
in einer Sache zu vernehmen. Als W. erschien, wurde er von Leisner dänisch
angeredet, worauf jener sich mit seiner Unkenntniß dieser Sprache entschuldigte
und deutsch befragt zu werden bat. "Ich habe Sie für einen gebildeten Men¬
schen gehalten," herrscht ihn der Inquirent an. Jener bemerkt, das könne wol
sein, indessen habe er in seiner Heimath nicht das Bedürfniß gefühlt, sich mit
der dänischen Grammatik zu beschäftigen. Wofern der Herr Hardesvogt um der
deutschen Sprache Anstoß nähme, sei er gern erbötig, die Conversation fran¬
zösisch zu führen. Als derselbe sich hierauf wirklich französisch über die betreffende
Sache erklärt, sieht der Hardesvogt sich genöthigt, seinerseits seine Unkenntnis;
der französischen Sprache zu bekennen, worauf W. sich nicht entbrechen konnte,
zu bemerken, die hiesigen Begriffe von Bildung kenne er zwar noch nicht ganz,
indessen gelte anderwärts die Kenntniß des Französischen als Erforderniß der
Bildung.

Wie man die Kandidaten für juristische Aemter heranholt, davon hat man
an der Besetzung des Actuariats in Schleswig ein bezeichnendes Beispiel.
Dasselbe*) war früher immer nur mit einen Actuar besetzt. Man wollte aber
mehren Dänen ein "Levebrod" d. h. eine Versorgung schaffen, und so machte
man aus einer Stelle deren vier. Das eine Actuariat erhielt ein ehemaliger
Schreiber der sonderburger Amtsstube, der bisher fast lediglich mit Handlanger¬
arbeiten, Besorgung der Hebungen, Geld zählen u. s. s. beschäftigt gewesen
war. Es schien scherzhaft, ein Individuum, welches eben gelernt hatte, die
Zwei-von den Dritthalbsschillingsstücken zu unterscheiden, plötzlich als eine der
Hauptpersonen in einem Gericht fungiren zu sehen, das über Leben und Tod
entscheidet. Aber man ist solcher bitterer Scherze hier in den letzten Jahren
gewohnt worden. Der zweite Actuar ist ein Candidatus Philosophie! aus
Kopenhagen. Ein solcher Candidat muß sich die Elementarbegriffe des gelehr¬
ten Studiums angeeignet haben, und würde mit seinem mechanisch auswendig
gelernten Wissensschatze von den Rectoren unsrer Gvmnasien etwa ihren Ter¬
tianern eingereiht werden. Von einer juristischen Bildung ist dabei überall
keine Rede. Der dritte Actuar ist freilich ein Jurist. Er wurde aber seit
langen Jahren in Kopenhagen nur dazu verwendet, d'le abschlägigen Bescheide,
wobei kein Grund anzugeben war, zu coneipiren, wozu ein Schema vollkommen
ausreicht. Er hat ebenfalls den dritten Charakter und bildet mit Riiö und
Staffeld -- wie diese Herren mit anerkennenswerther Selbsterkenntnis; sich
selbst nennen sollen -- "das Kollegium der Dösköpfe." Etwaige Zweifel, die



*) Der Actuar ist in Schleswig ein Beamter von größerer Bedeutung und Besoldung,
als bet uns ; er führt das Protokoll in den Criminal- und ordentlichen Civilgerichtcn. das
Schuld-und Pfandprotokoll, bewahrt die Depositen und hält die gerichtlichen Subhastativnen ab.

Anekdote ins Licht sehen. Vor einiger Zeit ließ er den Gutsbesitzer W, auf
Optrup im Kirchspiele Satrup, einen gebornen Belgier, vor sich laden, um ihn
in einer Sache zu vernehmen. Als W. erschien, wurde er von Leisner dänisch
angeredet, worauf jener sich mit seiner Unkenntniß dieser Sprache entschuldigte
und deutsch befragt zu werden bat. „Ich habe Sie für einen gebildeten Men¬
schen gehalten," herrscht ihn der Inquirent an. Jener bemerkt, das könne wol
sein, indessen habe er in seiner Heimath nicht das Bedürfniß gefühlt, sich mit
der dänischen Grammatik zu beschäftigen. Wofern der Herr Hardesvogt um der
deutschen Sprache Anstoß nähme, sei er gern erbötig, die Conversation fran¬
zösisch zu führen. Als derselbe sich hierauf wirklich französisch über die betreffende
Sache erklärt, sieht der Hardesvogt sich genöthigt, seinerseits seine Unkenntnis;
der französischen Sprache zu bekennen, worauf W. sich nicht entbrechen konnte,
zu bemerken, die hiesigen Begriffe von Bildung kenne er zwar noch nicht ganz,
indessen gelte anderwärts die Kenntniß des Französischen als Erforderniß der
Bildung.

Wie man die Kandidaten für juristische Aemter heranholt, davon hat man
an der Besetzung des Actuariats in Schleswig ein bezeichnendes Beispiel.
Dasselbe*) war früher immer nur mit einen Actuar besetzt. Man wollte aber
mehren Dänen ein „Levebrod" d. h. eine Versorgung schaffen, und so machte
man aus einer Stelle deren vier. Das eine Actuariat erhielt ein ehemaliger
Schreiber der sonderburger Amtsstube, der bisher fast lediglich mit Handlanger¬
arbeiten, Besorgung der Hebungen, Geld zählen u. s. s. beschäftigt gewesen
war. Es schien scherzhaft, ein Individuum, welches eben gelernt hatte, die
Zwei-von den Dritthalbsschillingsstücken zu unterscheiden, plötzlich als eine der
Hauptpersonen in einem Gericht fungiren zu sehen, das über Leben und Tod
entscheidet. Aber man ist solcher bitterer Scherze hier in den letzten Jahren
gewohnt worden. Der zweite Actuar ist ein Candidatus Philosophie! aus
Kopenhagen. Ein solcher Candidat muß sich die Elementarbegriffe des gelehr¬
ten Studiums angeeignet haben, und würde mit seinem mechanisch auswendig
gelernten Wissensschatze von den Rectoren unsrer Gvmnasien etwa ihren Ter¬
tianern eingereiht werden. Von einer juristischen Bildung ist dabei überall
keine Rede. Der dritte Actuar ist freilich ein Jurist. Er wurde aber seit
langen Jahren in Kopenhagen nur dazu verwendet, d'le abschlägigen Bescheide,
wobei kein Grund anzugeben war, zu coneipiren, wozu ein Schema vollkommen
ausreicht. Er hat ebenfalls den dritten Charakter und bildet mit Riiö und
Staffeld — wie diese Herren mit anerkennenswerther Selbsterkenntnis; sich
selbst nennen sollen — „das Kollegium der Dösköpfe." Etwaige Zweifel, die



*) Der Actuar ist in Schleswig ein Beamter von größerer Bedeutung und Besoldung,
als bet uns ; er führt das Protokoll in den Criminal- und ordentlichen Civilgerichtcn. das
Schuld-und Pfandprotokoll, bewahrt die Depositen und hält die gerichtlichen Subhastativnen ab.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/311>, abgerufen am 23.07.2024.