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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Amte in den Händen von Leuten, welche mit Ausnahme des Amtmanns Da¬
vid, eines schwachen, aber sonst allenthalben als kenntnißreich, rechtschaffen
und mild gelobten Mannes, entweder ihrer Unwissenheit und ihres Ungeschicks
halber selbst von den Bauern verlacht oder wegen schlechter Streiche in der
Vergangenheit verachtet sind. Denke man sich dazu die Anmaßung, mit der
die meisten auftreten, und' die Rücksichtslosigkeit, mit der sie strafen, so hat man
eine Vorstellung von den Blicken, mit welchen das Volk, das durch die Jahre
vor18öl) und durch seine tüchtige Beamtenwelt vor dem Umschwung der Zu¬
stände an eine einsichtige und prompte Behandlung seiner Interessen gewöhnt
worden, die jetzige Bureaukratie ansteht.

Moltke, der in seinen lichten Augenblicken sich hinreichend klar war, was
ur Schächer ihn umgaben, verhehlte seine Geringschätzung derselben nicht.
Ein Freund stellte ihm die Bedenklichkeiten vor, die es habe, wenn soviele
Advocaten abgesetzt würden, ohne ersetzt werden zu können. ,,Schlimm," er¬
widerte der Minister, "sehr schlimm! Aber meine Beamten vertragen keine
Advocaten."

Auch die Verständigem unter den hier befindlichen Nationaldänen scheinen
die in diesen Worten angedeutete Ansicht von den Nechtspflegern des Amtes
Gottorp zu theilen. Im Gasthofe speiste ich gestern Mittag mit lauter Offi¬
zieren. Sie sprachen dänisch und schienen entweder nicht zu glauben, daß sie
verstanden würden oder nicht anzunehmen, daß der Gegenstand ihrer Unter¬
haltung für mich von Interesse sein könne. Die Rede war von der Unfähig¬
keit der Beamten. Ein Capitän belehrte seine Lieutenants über deren Cha¬
rakter, und ich bekam eine vollkommene Bestätigung dessen, was ich von andrer
Seile über diese Kreise erfahren.

"Was ich Ihnen sage," rief der Capitän, mit einer Stimme, die sicher
direct von der Leber weg kam, "diese Bursche sind allzumal Lumpe, die es mit
uns ebensowenig aufrichtig meinen, als mit den Holsteinern. Nichts als nie¬
driger Eigennutz ist es, der sie auf unsr<Seite geführt hat. Wenn morgen die
Deutschen' kommen und ihnen ihre Stellen zu lassen versprechen, so sind sie
morgen deutsch. Und mit dieser Gemeinheit der Gesinnung, die des lieben
Brotes halber heute die und morgen eine andre und übermorgen wieder die
alte Cocarde aufsteckt, verbindet sich eine an Blödsinn grenzende Unfähigkeit
der meisten. Sahen Sie, meine Herren, den kleinen Mann in dem ver¬
schlissenen Rocke, der vorhin in der Bierstube so rasch sein Seidel austrank
und wieder zur Thür hinausschoß, als habe er etwas versäumt? Wissen Sie,
wer es ist und was die Papiere waren, die er unterm Arme trug? Ich wills
Ihnen sagen. Es war der ehemalige Landvogt N. aus Un., der wegen Theil-
nahme am Aufruhr abgesetzt, sich und seiner Familie damit das Leben fristet,
daß er diesen Schlingeln von Hardesvögten seine Sach- und Fachkenntniß ver-


Amte in den Händen von Leuten, welche mit Ausnahme des Amtmanns Da¬
vid, eines schwachen, aber sonst allenthalben als kenntnißreich, rechtschaffen
und mild gelobten Mannes, entweder ihrer Unwissenheit und ihres Ungeschicks
halber selbst von den Bauern verlacht oder wegen schlechter Streiche in der
Vergangenheit verachtet sind. Denke man sich dazu die Anmaßung, mit der
die meisten auftreten, und' die Rücksichtslosigkeit, mit der sie strafen, so hat man
eine Vorstellung von den Blicken, mit welchen das Volk, das durch die Jahre
vor18öl) und durch seine tüchtige Beamtenwelt vor dem Umschwung der Zu¬
stände an eine einsichtige und prompte Behandlung seiner Interessen gewöhnt
worden, die jetzige Bureaukratie ansteht.

Moltke, der in seinen lichten Augenblicken sich hinreichend klar war, was
ur Schächer ihn umgaben, verhehlte seine Geringschätzung derselben nicht.
Ein Freund stellte ihm die Bedenklichkeiten vor, die es habe, wenn soviele
Advocaten abgesetzt würden, ohne ersetzt werden zu können. ,,Schlimm," er¬
widerte der Minister, „sehr schlimm! Aber meine Beamten vertragen keine
Advocaten."

Auch die Verständigem unter den hier befindlichen Nationaldänen scheinen
die in diesen Worten angedeutete Ansicht von den Nechtspflegern des Amtes
Gottorp zu theilen. Im Gasthofe speiste ich gestern Mittag mit lauter Offi¬
zieren. Sie sprachen dänisch und schienen entweder nicht zu glauben, daß sie
verstanden würden oder nicht anzunehmen, daß der Gegenstand ihrer Unter¬
haltung für mich von Interesse sein könne. Die Rede war von der Unfähig¬
keit der Beamten. Ein Capitän belehrte seine Lieutenants über deren Cha¬
rakter, und ich bekam eine vollkommene Bestätigung dessen, was ich von andrer
Seile über diese Kreise erfahren.

„Was ich Ihnen sage," rief der Capitän, mit einer Stimme, die sicher
direct von der Leber weg kam, „diese Bursche sind allzumal Lumpe, die es mit
uns ebensowenig aufrichtig meinen, als mit den Holsteinern. Nichts als nie¬
driger Eigennutz ist es, der sie auf unsr<Seite geführt hat. Wenn morgen die
Deutschen' kommen und ihnen ihre Stellen zu lassen versprechen, so sind sie
morgen deutsch. Und mit dieser Gemeinheit der Gesinnung, die des lieben
Brotes halber heute die und morgen eine andre und übermorgen wieder die
alte Cocarde aufsteckt, verbindet sich eine an Blödsinn grenzende Unfähigkeit
der meisten. Sahen Sie, meine Herren, den kleinen Mann in dem ver¬
schlissenen Rocke, der vorhin in der Bierstube so rasch sein Seidel austrank
und wieder zur Thür hinausschoß, als habe er etwas versäumt? Wissen Sie,
wer es ist und was die Papiere waren, die er unterm Arme trug? Ich wills
Ihnen sagen. Es war der ehemalige Landvogt N. aus Un., der wegen Theil-
nahme am Aufruhr abgesetzt, sich und seiner Familie damit das Leben fristet,
daß er diesen Schlingeln von Hardesvögten seine Sach- und Fachkenntniß ver-


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[0308] Amte in den Händen von Leuten, welche mit Ausnahme des Amtmanns Da¬ vid, eines schwachen, aber sonst allenthalben als kenntnißreich, rechtschaffen und mild gelobten Mannes, entweder ihrer Unwissenheit und ihres Ungeschicks halber selbst von den Bauern verlacht oder wegen schlechter Streiche in der Vergangenheit verachtet sind. Denke man sich dazu die Anmaßung, mit der die meisten auftreten, und' die Rücksichtslosigkeit, mit der sie strafen, so hat man eine Vorstellung von den Blicken, mit welchen das Volk, das durch die Jahre vor18öl) und durch seine tüchtige Beamtenwelt vor dem Umschwung der Zu¬ stände an eine einsichtige und prompte Behandlung seiner Interessen gewöhnt worden, die jetzige Bureaukratie ansteht. Moltke, der in seinen lichten Augenblicken sich hinreichend klar war, was ur Schächer ihn umgaben, verhehlte seine Geringschätzung derselben nicht. Ein Freund stellte ihm die Bedenklichkeiten vor, die es habe, wenn soviele Advocaten abgesetzt würden, ohne ersetzt werden zu können. ,,Schlimm," er¬ widerte der Minister, „sehr schlimm! Aber meine Beamten vertragen keine Advocaten." Auch die Verständigem unter den hier befindlichen Nationaldänen scheinen die in diesen Worten angedeutete Ansicht von den Nechtspflegern des Amtes Gottorp zu theilen. Im Gasthofe speiste ich gestern Mittag mit lauter Offi¬ zieren. Sie sprachen dänisch und schienen entweder nicht zu glauben, daß sie verstanden würden oder nicht anzunehmen, daß der Gegenstand ihrer Unter¬ haltung für mich von Interesse sein könne. Die Rede war von der Unfähig¬ keit der Beamten. Ein Capitän belehrte seine Lieutenants über deren Cha¬ rakter, und ich bekam eine vollkommene Bestätigung dessen, was ich von andrer Seile über diese Kreise erfahren. „Was ich Ihnen sage," rief der Capitän, mit einer Stimme, die sicher direct von der Leber weg kam, „diese Bursche sind allzumal Lumpe, die es mit uns ebensowenig aufrichtig meinen, als mit den Holsteinern. Nichts als nie¬ driger Eigennutz ist es, der sie auf unsr<Seite geführt hat. Wenn morgen die Deutschen' kommen und ihnen ihre Stellen zu lassen versprechen, so sind sie morgen deutsch. Und mit dieser Gemeinheit der Gesinnung, die des lieben Brotes halber heute die und morgen eine andre und übermorgen wieder die alte Cocarde aufsteckt, verbindet sich eine an Blödsinn grenzende Unfähigkeit der meisten. Sahen Sie, meine Herren, den kleinen Mann in dem ver¬ schlissenen Rocke, der vorhin in der Bierstube so rasch sein Seidel austrank und wieder zur Thür hinausschoß, als habe er etwas versäumt? Wissen Sie, wer es ist und was die Papiere waren, die er unterm Arme trug? Ich wills Ihnen sagen. Es war der ehemalige Landvogt N. aus Un., der wegen Theil- nahme am Aufruhr abgesetzt, sich und seiner Familie damit das Leben fristet, daß er diesen Schlingeln von Hardesvögten seine Sach- und Fachkenntniß ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/308>, abgerufen am 23.07.2024.