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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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ernsteste Aufmerksamkeit verdient. In der Revue des deur mondes hat Emile
Möntvgut eine Reihe sehr gründlicher und eingehender Abhandlungen darüber
veröffentlicht; auch wir haben unsre Leser von Zeit zu Zeit mit den hervor¬
ragendsten Erscheinungen derselben bekannt zu machen gesucht. Die Romane
haben durch die bereits sehr umfangreiche amerikanische Bibliothek bei unserm
Publicum Eingang gefunden. Weniger bekannt sind die Dichtungen und
die historischen Werke. Es ist daher sehr zu loben, daß der Herausgeber der
vorliegenden Sammlung vorzugsweise diese minder bekannten Schriften ausge¬
nommen hat, die an Werth doch jene leicht gearbeiteten Romane weit über¬
ragen. Die Sammlung ist ungefähr so eingerichtet, wie die tauchnitzsche der
englischen Klassiker; ein Bändchen von ungefähr 300 cnggedruckten Seiten
kostet Thaler. -- Was den Inhalt, der Sammlung betrifft, so heben wir
zunächst zwei historische Werke hervor: die Biographien^ von Washington und
von Franklin. Die erste ist von Jared Sparks und bildet die Einleitung zu
der Urkundensammlung der Geschichte Washingtons. Sie ist einfach, klar
und präcis geschrieben und gibt ein anschauliches Lebensbild von dem großen
Mann, der mit Recht nicht blos von den Amerikanern als einer der edelsten
Charaktere der neuern Zeit gefeiert wird. -- Das zweite Werk ist von demselben
Verfasser zusammengestellt, doch liegt die sehr ausführliche Selbstbiographie
Franklins zu Grunde, die von dem Herausgeber bis zu seinem Tode fort¬
geführt ist. Beide Männer sind auch von neuern Schriftstellern dargestellt
worden, der amerikanische General von Washington Irving, der amerikanische
Bürger von Mignet; doch haben die vorliegenden Werke den Vorzug urkund¬
licher Genauigkeit. -- Die in der Sammlung mitgetheilten Dichtungen sind
keineswegs aus dem innern Kern des amerikanischen Lebens hervorgewachsen,
sondern unter dem Einfluß der fremden Literatur in bewußter Reaction gegen
die heimischen Zustände hervorgebracht worden. Die Amerikaner gleichen
darin den Römern. Die Thätigkeit der Masse ist zu sehr von den materiellen
Anforderungen des unmittelbaren praktischen Lebens und von der Politik in
Anspruch genommen, um jenem Lurus der Poesie Raum zu geben, der sich in
der Regel nur an geordnete Zustände anknüpft. Das Bedürfniß der Poesie
geht von Einzelnen aus und diese suchen ihre Nahrung in den bereits fertigen
und abgeschlossenen Dichtungen des Mutterlandes. Seltsamerweise ist es nicht
die englische Dichtung und Philosophie, auf welche das strebsame junge Amerika
hinblickt, sondern die deutsche. Daran sind keineswegs die deutschen Einwan¬
derer schuld, deren Ansehen viel zu gering ist, um auf die herrschenden Anglo¬
amerikaner einen Einfluß auszuüben, die Gelehrten und Dichter gehen viel¬
mehr unmittelbar an die Quelle. Freilich wird dann der Inhalt der Dichtung
aus eine Weise modificirt," daß wir ihn kaum wiedererkennen. Jede Nachbil¬
dung einer fremden Poesie, die volkstümlich werden will, muß sich aus ein


ernsteste Aufmerksamkeit verdient. In der Revue des deur mondes hat Emile
Möntvgut eine Reihe sehr gründlicher und eingehender Abhandlungen darüber
veröffentlicht; auch wir haben unsre Leser von Zeit zu Zeit mit den hervor¬
ragendsten Erscheinungen derselben bekannt zu machen gesucht. Die Romane
haben durch die bereits sehr umfangreiche amerikanische Bibliothek bei unserm
Publicum Eingang gefunden. Weniger bekannt sind die Dichtungen und
die historischen Werke. Es ist daher sehr zu loben, daß der Herausgeber der
vorliegenden Sammlung vorzugsweise diese minder bekannten Schriften ausge¬
nommen hat, die an Werth doch jene leicht gearbeiteten Romane weit über¬
ragen. Die Sammlung ist ungefähr so eingerichtet, wie die tauchnitzsche der
englischen Klassiker; ein Bändchen von ungefähr 300 cnggedruckten Seiten
kostet Thaler. — Was den Inhalt, der Sammlung betrifft, so heben wir
zunächst zwei historische Werke hervor: die Biographien^ von Washington und
von Franklin. Die erste ist von Jared Sparks und bildet die Einleitung zu
der Urkundensammlung der Geschichte Washingtons. Sie ist einfach, klar
und präcis geschrieben und gibt ein anschauliches Lebensbild von dem großen
Mann, der mit Recht nicht blos von den Amerikanern als einer der edelsten
Charaktere der neuern Zeit gefeiert wird. — Das zweite Werk ist von demselben
Verfasser zusammengestellt, doch liegt die sehr ausführliche Selbstbiographie
Franklins zu Grunde, die von dem Herausgeber bis zu seinem Tode fort¬
geführt ist. Beide Männer sind auch von neuern Schriftstellern dargestellt
worden, der amerikanische General von Washington Irving, der amerikanische
Bürger von Mignet; doch haben die vorliegenden Werke den Vorzug urkund¬
licher Genauigkeit. — Die in der Sammlung mitgetheilten Dichtungen sind
keineswegs aus dem innern Kern des amerikanischen Lebens hervorgewachsen,
sondern unter dem Einfluß der fremden Literatur in bewußter Reaction gegen
die heimischen Zustände hervorgebracht worden. Die Amerikaner gleichen
darin den Römern. Die Thätigkeit der Masse ist zu sehr von den materiellen
Anforderungen des unmittelbaren praktischen Lebens und von der Politik in
Anspruch genommen, um jenem Lurus der Poesie Raum zu geben, der sich in
der Regel nur an geordnete Zustände anknüpft. Das Bedürfniß der Poesie
geht von Einzelnen aus und diese suchen ihre Nahrung in den bereits fertigen
und abgeschlossenen Dichtungen des Mutterlandes. Seltsamerweise ist es nicht
die englische Dichtung und Philosophie, auf welche das strebsame junge Amerika
hinblickt, sondern die deutsche. Daran sind keineswegs die deutschen Einwan¬
derer schuld, deren Ansehen viel zu gering ist, um auf die herrschenden Anglo¬
amerikaner einen Einfluß auszuüben, die Gelehrten und Dichter gehen viel¬
mehr unmittelbar an die Quelle. Freilich wird dann der Inhalt der Dichtung
aus eine Weise modificirt," daß wir ihn kaum wiedererkennen. Jede Nachbil¬
dung einer fremden Poesie, die volkstümlich werden will, muß sich aus ein


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[0295] ernsteste Aufmerksamkeit verdient. In der Revue des deur mondes hat Emile Möntvgut eine Reihe sehr gründlicher und eingehender Abhandlungen darüber veröffentlicht; auch wir haben unsre Leser von Zeit zu Zeit mit den hervor¬ ragendsten Erscheinungen derselben bekannt zu machen gesucht. Die Romane haben durch die bereits sehr umfangreiche amerikanische Bibliothek bei unserm Publicum Eingang gefunden. Weniger bekannt sind die Dichtungen und die historischen Werke. Es ist daher sehr zu loben, daß der Herausgeber der vorliegenden Sammlung vorzugsweise diese minder bekannten Schriften ausge¬ nommen hat, die an Werth doch jene leicht gearbeiteten Romane weit über¬ ragen. Die Sammlung ist ungefähr so eingerichtet, wie die tauchnitzsche der englischen Klassiker; ein Bändchen von ungefähr 300 cnggedruckten Seiten kostet Thaler. — Was den Inhalt, der Sammlung betrifft, so heben wir zunächst zwei historische Werke hervor: die Biographien^ von Washington und von Franklin. Die erste ist von Jared Sparks und bildet die Einleitung zu der Urkundensammlung der Geschichte Washingtons. Sie ist einfach, klar und präcis geschrieben und gibt ein anschauliches Lebensbild von dem großen Mann, der mit Recht nicht blos von den Amerikanern als einer der edelsten Charaktere der neuern Zeit gefeiert wird. — Das zweite Werk ist von demselben Verfasser zusammengestellt, doch liegt die sehr ausführliche Selbstbiographie Franklins zu Grunde, die von dem Herausgeber bis zu seinem Tode fort¬ geführt ist. Beide Männer sind auch von neuern Schriftstellern dargestellt worden, der amerikanische General von Washington Irving, der amerikanische Bürger von Mignet; doch haben die vorliegenden Werke den Vorzug urkund¬ licher Genauigkeit. — Die in der Sammlung mitgetheilten Dichtungen sind keineswegs aus dem innern Kern des amerikanischen Lebens hervorgewachsen, sondern unter dem Einfluß der fremden Literatur in bewußter Reaction gegen die heimischen Zustände hervorgebracht worden. Die Amerikaner gleichen darin den Römern. Die Thätigkeit der Masse ist zu sehr von den materiellen Anforderungen des unmittelbaren praktischen Lebens und von der Politik in Anspruch genommen, um jenem Lurus der Poesie Raum zu geben, der sich in der Regel nur an geordnete Zustände anknüpft. Das Bedürfniß der Poesie geht von Einzelnen aus und diese suchen ihre Nahrung in den bereits fertigen und abgeschlossenen Dichtungen des Mutterlandes. Seltsamerweise ist es nicht die englische Dichtung und Philosophie, auf welche das strebsame junge Amerika hinblickt, sondern die deutsche. Daran sind keineswegs die deutschen Einwan¬ derer schuld, deren Ansehen viel zu gering ist, um auf die herrschenden Anglo¬ amerikaner einen Einfluß auszuüben, die Gelehrten und Dichter gehen viel¬ mehr unmittelbar an die Quelle. Freilich wird dann der Inhalt der Dichtung aus eine Weise modificirt," daß wir ihn kaum wiedererkennen. Jede Nachbil¬ dung einer fremden Poesie, die volkstümlich werden will, muß sich aus ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/295>, abgerufen am 24.07.2024.