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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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zwischen diesen beiden Seemächten und Großbritannien herzustellen vermöchte, welches
Amerikas Beitritt zur Allianz zu einem Uebergewicht steigern könnte, so erkennt
man, daß für England kein stärkeres Bedürfniß besteht, als das, neben sich eine
neue Seemacht zu wissen, die ihm im Drange der Umstände eine Stütze zu werden
vermöchte.

Der Beruf, eine solche zu werde", wohnt aber in ganz Europa keinem Staate
in höherm Maße inne, als Preußen, im weitern Sinne Deutschland. England hat
darum jemals keinen verhängnißvollcren Fehler begangen, als indem es seither den
maritimen Bestrebungen dieser Macht Hindernisse in den Weg zu werfen suchte.
Wenn irgendeine Nation den Willen hat, in der Stunde der Gefahr dermaleinst
ihm zur Seite zu stehen, so ist es die unsrige. Aber dieses wird uur möglich
sein, wenn die Verbindung zwischen beiden aufrecht erhalten bleibt, wofür wiederum
kein probateres Mittel existirt, als die Schaffung einer starken preußischen respec-
tive deutschen Flotte!

--- Es ist Sonntag Morgens; über Stambul hin
hängen die Wolken regungslos und niedrig, als strebten sie darnach, die Spitzen der
Minarets zu berühren; das Meer hat nicht die sonst gewohnte tiefblaue Färbung
und nnr dann und wann blitzt die Sonne hervor, um gleich darnach wieder zu ver¬
schwinden. Der Anfang des Spätherbstes macht sich fühlbar. Schon ist es man¬
chen Bewohnern ti!r viel gesuchten und beneideten Sommerhäuser (hier Jaki
genannt) am BoSporusgestadc zu rauh und ungemüthlich in den meistens nur
vou undichten Fenstern verwahrten Zimmern (in denen kein Ofen die Garantie
gegen einen plötzlichen Eintritt des Frostes gibt) und Türken wie Franken be¬
ginnen, die einen ihre großen, geräumigen und mit warmen Teppichen aus¬
gelegten Konaks im eigentlichen Konstantinopel, Skutari und Tvphanc, die anderen
ihre gegen alle Unbilden der Witterung wohlgesichertcn Steinhäuser in Pera auf¬
zusuchen. Auf den Straßen begegnet man allerwärts wieder jenen schwerfälligen,
mit Büffeln oder Ochsen bespannten Arabas, die berghoch mit" Hausrath aller Art
beladen sind, und die sichersten Herolde der begonnenen Rückflutung aus der Um¬
gegend zur Stadt sind.

Es gibt einen Umstand, welcher den diesjährigen Winter vor allen vorausge¬
gangenen auszeichnen wird: die enorme Theuerung. Sie steht wie ein Schreck¬
gespenst an der Pforte der kalten, verdienstlosen, ohnehin schon hier sovieles Un¬
gemach bringenden Jahreszeit und macht in der menschcnersülltcn Metropole hun-
derttausende im voraus zittern. Ich kann nicht umhin ans diese Frage hier näher
einzugehen, weil sie für die hiesige Bevölkerung nahe daran ist, eine' Existenzfrage
zu werden, und es sich uicht mehr allein darum handelt, wie den ärmeren Classen
ihr Loos erträglicher zu machen ist, sondern wie tausende und abertausende vom
Hungertode zu erretten sein werden.

Die Schwierigkeiten, mit denen die Regierung und die unter Muhammedanern
und Christen hier bestehenden Wohlthätigkeitsvereine zu ringen haben werden, um
der so massenarmen und verdienstlosen Bevölkerung durch deu Winter hindurch-
zuhelfen, lassen sich vorerst noch nicht berechnen, indem dabei gar zu viele und
verwickelte Verhältnisse als bestimmende Factoren auftreten. Ein entscheidender Um-


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zwischen diesen beiden Seemächten und Großbritannien herzustellen vermöchte, welches
Amerikas Beitritt zur Allianz zu einem Uebergewicht steigern könnte, so erkennt
man, daß für England kein stärkeres Bedürfniß besteht, als das, neben sich eine
neue Seemacht zu wissen, die ihm im Drange der Umstände eine Stütze zu werden
vermöchte.

Der Beruf, eine solche zu werde», wohnt aber in ganz Europa keinem Staate
in höherm Maße inne, als Preußen, im weitern Sinne Deutschland. England hat
darum jemals keinen verhängnißvollcren Fehler begangen, als indem es seither den
maritimen Bestrebungen dieser Macht Hindernisse in den Weg zu werfen suchte.
Wenn irgendeine Nation den Willen hat, in der Stunde der Gefahr dermaleinst
ihm zur Seite zu stehen, so ist es die unsrige. Aber dieses wird uur möglich
sein, wenn die Verbindung zwischen beiden aufrecht erhalten bleibt, wofür wiederum
kein probateres Mittel existirt, als die Schaffung einer starken preußischen respec-
tive deutschen Flotte!

-— Es ist Sonntag Morgens; über Stambul hin
hängen die Wolken regungslos und niedrig, als strebten sie darnach, die Spitzen der
Minarets zu berühren; das Meer hat nicht die sonst gewohnte tiefblaue Färbung
und nnr dann und wann blitzt die Sonne hervor, um gleich darnach wieder zu ver¬
schwinden. Der Anfang des Spätherbstes macht sich fühlbar. Schon ist es man¬
chen Bewohnern ti!r viel gesuchten und beneideten Sommerhäuser (hier Jaki
genannt) am BoSporusgestadc zu rauh und ungemüthlich in den meistens nur
vou undichten Fenstern verwahrten Zimmern (in denen kein Ofen die Garantie
gegen einen plötzlichen Eintritt des Frostes gibt) und Türken wie Franken be¬
ginnen, die einen ihre großen, geräumigen und mit warmen Teppichen aus¬
gelegten Konaks im eigentlichen Konstantinopel, Skutari und Tvphanc, die anderen
ihre gegen alle Unbilden der Witterung wohlgesichertcn Steinhäuser in Pera auf¬
zusuchen. Auf den Straßen begegnet man allerwärts wieder jenen schwerfälligen,
mit Büffeln oder Ochsen bespannten Arabas, die berghoch mit« Hausrath aller Art
beladen sind, und die sichersten Herolde der begonnenen Rückflutung aus der Um¬
gegend zur Stadt sind.

Es gibt einen Umstand, welcher den diesjährigen Winter vor allen vorausge¬
gangenen auszeichnen wird: die enorme Theuerung. Sie steht wie ein Schreck¬
gespenst an der Pforte der kalten, verdienstlosen, ohnehin schon hier sovieles Un¬
gemach bringenden Jahreszeit und macht in der menschcnersülltcn Metropole hun-
derttausende im voraus zittern. Ich kann nicht umhin ans diese Frage hier näher
einzugehen, weil sie für die hiesige Bevölkerung nahe daran ist, eine' Existenzfrage
zu werden, und es sich uicht mehr allein darum handelt, wie den ärmeren Classen
ihr Loos erträglicher zu machen ist, sondern wie tausende und abertausende vom
Hungertode zu erretten sein werden.

Die Schwierigkeiten, mit denen die Regierung und die unter Muhammedanern
und Christen hier bestehenden Wohlthätigkeitsvereine zu ringen haben werden, um
der so massenarmen und verdienstlosen Bevölkerung durch deu Winter hindurch-
zuhelfen, lassen sich vorerst noch nicht berechnen, indem dabei gar zu viele und
verwickelte Verhältnisse als bestimmende Factoren auftreten. Ein entscheidender Um-


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[0283] zwischen diesen beiden Seemächten und Großbritannien herzustellen vermöchte, welches Amerikas Beitritt zur Allianz zu einem Uebergewicht steigern könnte, so erkennt man, daß für England kein stärkeres Bedürfniß besteht, als das, neben sich eine neue Seemacht zu wissen, die ihm im Drange der Umstände eine Stütze zu werden vermöchte. Der Beruf, eine solche zu werde», wohnt aber in ganz Europa keinem Staate in höherm Maße inne, als Preußen, im weitern Sinne Deutschland. England hat darum jemals keinen verhängnißvollcren Fehler begangen, als indem es seither den maritimen Bestrebungen dieser Macht Hindernisse in den Weg zu werfen suchte. Wenn irgendeine Nation den Willen hat, in der Stunde der Gefahr dermaleinst ihm zur Seite zu stehen, so ist es die unsrige. Aber dieses wird uur möglich sein, wenn die Verbindung zwischen beiden aufrecht erhalten bleibt, wofür wiederum kein probateres Mittel existirt, als die Schaffung einer starken preußischen respec- tive deutschen Flotte! -— Es ist Sonntag Morgens; über Stambul hin hängen die Wolken regungslos und niedrig, als strebten sie darnach, die Spitzen der Minarets zu berühren; das Meer hat nicht die sonst gewohnte tiefblaue Färbung und nnr dann und wann blitzt die Sonne hervor, um gleich darnach wieder zu ver¬ schwinden. Der Anfang des Spätherbstes macht sich fühlbar. Schon ist es man¬ chen Bewohnern ti!r viel gesuchten und beneideten Sommerhäuser (hier Jaki genannt) am BoSporusgestadc zu rauh und ungemüthlich in den meistens nur vou undichten Fenstern verwahrten Zimmern (in denen kein Ofen die Garantie gegen einen plötzlichen Eintritt des Frostes gibt) und Türken wie Franken be¬ ginnen, die einen ihre großen, geräumigen und mit warmen Teppichen aus¬ gelegten Konaks im eigentlichen Konstantinopel, Skutari und Tvphanc, die anderen ihre gegen alle Unbilden der Witterung wohlgesichertcn Steinhäuser in Pera auf¬ zusuchen. Auf den Straßen begegnet man allerwärts wieder jenen schwerfälligen, mit Büffeln oder Ochsen bespannten Arabas, die berghoch mit« Hausrath aller Art beladen sind, und die sichersten Herolde der begonnenen Rückflutung aus der Um¬ gegend zur Stadt sind. Es gibt einen Umstand, welcher den diesjährigen Winter vor allen vorausge¬ gangenen auszeichnen wird: die enorme Theuerung. Sie steht wie ein Schreck¬ gespenst an der Pforte der kalten, verdienstlosen, ohnehin schon hier sovieles Un¬ gemach bringenden Jahreszeit und macht in der menschcnersülltcn Metropole hun- derttausende im voraus zittern. Ich kann nicht umhin ans diese Frage hier näher einzugehen, weil sie für die hiesige Bevölkerung nahe daran ist, eine' Existenzfrage zu werden, und es sich uicht mehr allein darum handelt, wie den ärmeren Classen ihr Loos erträglicher zu machen ist, sondern wie tausende und abertausende vom Hungertode zu erretten sein werden. Die Schwierigkeiten, mit denen die Regierung und die unter Muhammedanern und Christen hier bestehenden Wohlthätigkeitsvereine zu ringen haben werden, um der so massenarmen und verdienstlosen Bevölkerung durch deu Winter hindurch- zuhelfen, lassen sich vorerst noch nicht berechnen, indem dabei gar zu viele und verwickelte Verhältnisse als bestimmende Factoren auftreten. Ein entscheidender Um- 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/283>, abgerufen am 22.07.2024.