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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Kampf gekämpft und in dieser Region haben bis zur nächsten Ernte die östrei¬
chischen den Sieg gewonnen.

In Preußen dagegen war es ein großes Unglück, daß zwei Stromgebiete,
die der Oder und der Weichsel, durch furchtbare Überschwemmungen fast un-
productiv gemacht wurden. Die alte leidige Klage über Kornwucher wird
dort überall laut, und die Regierung wird mit den verschiedensten Anträgen
bestürmt, der drohenden Noth abzuhelfen. Es ist erfreulich, daß die preußische
Negierung mit Festigkeit der Versuchung widerstanden hat, durch beschränkende
Gesetze in das Verkehrsleben einzugreifen. Das Circular, welches der Han¬
delsminister von der Heydt in diesen Tagen über Zeitgeschäfte erlassen hat, ist
ein Meisterstück von klarer Darstellung gesunder Grundsätze. Nicht durch Be¬
schränkung des freien Handels wird der Noth abgeholfen, sondern durch die
möglichste Begünstigung desselben.

Unterdeß regt sich überall die Privatwohlthätigkeit. Es ist doch im Ganzen
ein herzerfreuendes Gefühl, die zahlreichen Anstalten und Vereine zu mustern,
durch welche die Besitzenden den Entbehrenden die Sorge des Lebens leichter zu
machen suchen. Nicht als ob immer das Genügende und dies in der rechten
Weise geschehe, aber das Gefühl der Verpflichtung, in besserer Weise als
durch Almosen zu helfen, zeigt sich doch in immer weiteren Kreisen verbreitet. Und
nirgends tritt der Gegensatz zwischen jetzt und ehemals so sehr zum Vortheil
der Gegenwart hervor, als in Behandlung der socialen Fragen. Nicht deshalb, weil
die Noth in der Gegenwart größer ist, als in irgendeiner Vergangenheit. In
frühern Jahrhunderten unterlagen bei Mißjahren Hunderttausende dem Hunger
und Elend, und die Verzweiflung der Darbenden war weit schwerer zu bändi¬
gen, als jetzt; wol aber dringt in unserm Leben auch die leise Klage schneller
an das Ohr des Genießenden, das Gefühl der Zusammengehörigkeit ist größer
geworden und vernünftiger die Behandlung der Entbehrenden.

Auch die Wissenschaft versucht in dieser Zeit ihre Lehren praktisch zu
machen und in That umzusetzen und so ist es d. Bl. eine Freude, eine kleine
Schrift anzuzeigen. "DaS Einkommen des Arbeiters" (Berlin, -I8SS, Schneider
u. Comp.). Es ist darin auf wenig Bogen in faßlicher Weise auseinander¬
gesetzt, wie im Großen durch die Thätigkeit jedes Einzelnen und das Zusam-
wirken aller dahin gearbeitet werden könne, daß der Lohn deS Arbeiters dem
Maße billiger Anforderungen entspreche, ihm also einen vollständigen Ersatz
für die Arbeit gewähre. Der Hauptsatz, welcher bewiesen wird, ist der: "Je-
mehr die Reichen und Wohlhabenden ihre unproductiven Konsumtionen ein¬
schränken , umsomehr vergrößern sie ihr jährliches Einkommen und zwar nicht
aus Kosten des Arbeiterstandes, sondern zum Wohle desselben, indem sie den
Arbeitslohn steigern." Mit überzeugenden Eifer wirb gegen das falsche' Arion
gekämpft, daß der Lurus Geld unter die Leute bringe und eine Masse Arbeiter


Kampf gekämpft und in dieser Region haben bis zur nächsten Ernte die östrei¬
chischen den Sieg gewonnen.

In Preußen dagegen war es ein großes Unglück, daß zwei Stromgebiete,
die der Oder und der Weichsel, durch furchtbare Überschwemmungen fast un-
productiv gemacht wurden. Die alte leidige Klage über Kornwucher wird
dort überall laut, und die Regierung wird mit den verschiedensten Anträgen
bestürmt, der drohenden Noth abzuhelfen. Es ist erfreulich, daß die preußische
Negierung mit Festigkeit der Versuchung widerstanden hat, durch beschränkende
Gesetze in das Verkehrsleben einzugreifen. Das Circular, welches der Han¬
delsminister von der Heydt in diesen Tagen über Zeitgeschäfte erlassen hat, ist
ein Meisterstück von klarer Darstellung gesunder Grundsätze. Nicht durch Be¬
schränkung des freien Handels wird der Noth abgeholfen, sondern durch die
möglichste Begünstigung desselben.

Unterdeß regt sich überall die Privatwohlthätigkeit. Es ist doch im Ganzen
ein herzerfreuendes Gefühl, die zahlreichen Anstalten und Vereine zu mustern,
durch welche die Besitzenden den Entbehrenden die Sorge des Lebens leichter zu
machen suchen. Nicht als ob immer das Genügende und dies in der rechten
Weise geschehe, aber das Gefühl der Verpflichtung, in besserer Weise als
durch Almosen zu helfen, zeigt sich doch in immer weiteren Kreisen verbreitet. Und
nirgends tritt der Gegensatz zwischen jetzt und ehemals so sehr zum Vortheil
der Gegenwart hervor, als in Behandlung der socialen Fragen. Nicht deshalb, weil
die Noth in der Gegenwart größer ist, als in irgendeiner Vergangenheit. In
frühern Jahrhunderten unterlagen bei Mißjahren Hunderttausende dem Hunger
und Elend, und die Verzweiflung der Darbenden war weit schwerer zu bändi¬
gen, als jetzt; wol aber dringt in unserm Leben auch die leise Klage schneller
an das Ohr des Genießenden, das Gefühl der Zusammengehörigkeit ist größer
geworden und vernünftiger die Behandlung der Entbehrenden.

Auch die Wissenschaft versucht in dieser Zeit ihre Lehren praktisch zu
machen und in That umzusetzen und so ist es d. Bl. eine Freude, eine kleine
Schrift anzuzeigen. „DaS Einkommen des Arbeiters" (Berlin, -I8SS, Schneider
u. Comp.). Es ist darin auf wenig Bogen in faßlicher Weise auseinander¬
gesetzt, wie im Großen durch die Thätigkeit jedes Einzelnen und das Zusam-
wirken aller dahin gearbeitet werden könne, daß der Lohn deS Arbeiters dem
Maße billiger Anforderungen entspreche, ihm also einen vollständigen Ersatz
für die Arbeit gewähre. Der Hauptsatz, welcher bewiesen wird, ist der: „Je-
mehr die Reichen und Wohlhabenden ihre unproductiven Konsumtionen ein¬
schränken , umsomehr vergrößern sie ihr jährliches Einkommen und zwar nicht
aus Kosten des Arbeiterstandes, sondern zum Wohle desselben, indem sie den
Arbeitslohn steigern." Mit überzeugenden Eifer wirb gegen das falsche' Arion
gekämpft, daß der Lurus Geld unter die Leute bringe und eine Masse Arbeiter


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[0279] Kampf gekämpft und in dieser Region haben bis zur nächsten Ernte die östrei¬ chischen den Sieg gewonnen. In Preußen dagegen war es ein großes Unglück, daß zwei Stromgebiete, die der Oder und der Weichsel, durch furchtbare Überschwemmungen fast un- productiv gemacht wurden. Die alte leidige Klage über Kornwucher wird dort überall laut, und die Regierung wird mit den verschiedensten Anträgen bestürmt, der drohenden Noth abzuhelfen. Es ist erfreulich, daß die preußische Negierung mit Festigkeit der Versuchung widerstanden hat, durch beschränkende Gesetze in das Verkehrsleben einzugreifen. Das Circular, welches der Han¬ delsminister von der Heydt in diesen Tagen über Zeitgeschäfte erlassen hat, ist ein Meisterstück von klarer Darstellung gesunder Grundsätze. Nicht durch Be¬ schränkung des freien Handels wird der Noth abgeholfen, sondern durch die möglichste Begünstigung desselben. Unterdeß regt sich überall die Privatwohlthätigkeit. Es ist doch im Ganzen ein herzerfreuendes Gefühl, die zahlreichen Anstalten und Vereine zu mustern, durch welche die Besitzenden den Entbehrenden die Sorge des Lebens leichter zu machen suchen. Nicht als ob immer das Genügende und dies in der rechten Weise geschehe, aber das Gefühl der Verpflichtung, in besserer Weise als durch Almosen zu helfen, zeigt sich doch in immer weiteren Kreisen verbreitet. Und nirgends tritt der Gegensatz zwischen jetzt und ehemals so sehr zum Vortheil der Gegenwart hervor, als in Behandlung der socialen Fragen. Nicht deshalb, weil die Noth in der Gegenwart größer ist, als in irgendeiner Vergangenheit. In frühern Jahrhunderten unterlagen bei Mißjahren Hunderttausende dem Hunger und Elend, und die Verzweiflung der Darbenden war weit schwerer zu bändi¬ gen, als jetzt; wol aber dringt in unserm Leben auch die leise Klage schneller an das Ohr des Genießenden, das Gefühl der Zusammengehörigkeit ist größer geworden und vernünftiger die Behandlung der Entbehrenden. Auch die Wissenschaft versucht in dieser Zeit ihre Lehren praktisch zu machen und in That umzusetzen und so ist es d. Bl. eine Freude, eine kleine Schrift anzuzeigen. „DaS Einkommen des Arbeiters" (Berlin, -I8SS, Schneider u. Comp.). Es ist darin auf wenig Bogen in faßlicher Weise auseinander¬ gesetzt, wie im Großen durch die Thätigkeit jedes Einzelnen und das Zusam- wirken aller dahin gearbeitet werden könne, daß der Lohn deS Arbeiters dem Maße billiger Anforderungen entspreche, ihm also einen vollständigen Ersatz für die Arbeit gewähre. Der Hauptsatz, welcher bewiesen wird, ist der: „Je- mehr die Reichen und Wohlhabenden ihre unproductiven Konsumtionen ein¬ schränken , umsomehr vergrößern sie ihr jährliches Einkommen und zwar nicht aus Kosten des Arbeiterstandes, sondern zum Wohle desselben, indem sie den Arbeitslohn steigern." Mit überzeugenden Eifer wirb gegen das falsche' Arion gekämpft, daß der Lurus Geld unter die Leute bringe und eine Masse Arbeiter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/279>, abgerufen am 22.07.2024.