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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Die guten Geister des Landbaus hatten an unsrem Himmelsgewölbe alles
in Gnüge herausgeführt, Sonnenstrahlen, Thau und Regen, aber die
rechte Mischung war ihnen mißlungen. Bald war es zu feucht, bald wieder
zu trocken, und die kleinen schadenfrohen Feinde des Landmanns benutzten
diese Verwirrung zwischen Sonnenstrahlen und Regen, um sich breit zu machen.
Hier hat die Feldmaus eine rasende Geschäftigkeit gezeigt, dort haben die
Hamster gestohlen, die Raupen haben gefressen, zuletzt drang Brand und Moder,
Schimmel und Fäulniß in die Früchte. Es war eine unvollkommene Ernte.
Ach, und es ist nicht das erste Jahr, daß uns Deutsche das Unglück trifft!
Es ist für große Landstriche das vierte magere Jahr. Die alten Vorräthe
sind aufgezehrt, und selbst die Fülle einer reichlichen Ernte würde kaum ge¬
nügen, die Fruchtpreise auf ein erträgliches Maß herabzubringen. Alles ist
theuer geworden, und mit sorgenvollem Herzen ringt der arme Arbeiter darnach,
den Tagelohn, der ihm für seiner Hände Werk gezahlt wird, so weit zu steigern,
als die Vertheurung der nothwendigsten Bedürfnisse für ihn>und seine Familie
nöthig macht. Und nur schwer und unvollkommen will ihm das gelingen.
Wol ist wahr, was unsre Nationalökonomen lehren, daß im Großen die Preise
aller Thätigkeiten und Producte normirt werden durch den Preis der Brot¬
frucht. Aber dies Gesetz erfüllt sich erst im Laufe der Jahre sehr allmälig nach
harten Kämpfen und Schwankungen. Und solche Uebergangözeiten, wo die
Theuerung des Brotes auf den Arbeitern lastet, und die Schwachen und Ab¬
hängigen noch nicht erreicht haben, daß ihr Lohn in entsprechender Weise er¬
höht wird, solche Zeiten verstören in der Stille tausende von zufriedenen Haus¬
halten, tausende von Menschenleben. Es wird für Millionen ein schwerer
Winter werden. --

Während aber im größten Theile von Deutschland, wie in Frankreich und
weiter im Westen, die Ernte eine unvollkommene war, haben Oestreich und ein
großer Theil des russischen Gebiets das Glück gehabt, reiche Erträge in die
Scheuern zu führen, und schon jetzt werden für Oestreich die günstigen Folgen
dieser Ereignisse stchlbar. Hunderttausende von Scheffeln rollen auf der Eisen¬
bahn nach den Nachbarländern, und aus diesen fließen Millionen von Silber¬
geld in die Börsen der östreichischen Landwirthe. Und das Steigen der Bank¬
noten an der Börse rührt vielleicht ebensosehr von dem massenhaften Begehr
dieses Zahlungsmittels in Norddeutschland und von dem Einstießen des Silber¬
geldes in die östreichischen Landschaften her, als von den großartigen Finanz-
speculationen der kaiserlichen Negierung, deren Erfolg immer noch zweifelhaft
ist. Auch hierdurch wirken die Launen der Natur auf die politische Lage der
Länder, und während die Cabinete von Preußen und Oestreich in steter stiller
Eifersucht und bis jetzt mit zweifelhaftem Erfolg um ihren politischen Einfluß
kämpfen, haben die Gewalten der Natur in beiden Staaten einen ähnlichen


Die guten Geister des Landbaus hatten an unsrem Himmelsgewölbe alles
in Gnüge herausgeführt, Sonnenstrahlen, Thau und Regen, aber die
rechte Mischung war ihnen mißlungen. Bald war es zu feucht, bald wieder
zu trocken, und die kleinen schadenfrohen Feinde des Landmanns benutzten
diese Verwirrung zwischen Sonnenstrahlen und Regen, um sich breit zu machen.
Hier hat die Feldmaus eine rasende Geschäftigkeit gezeigt, dort haben die
Hamster gestohlen, die Raupen haben gefressen, zuletzt drang Brand und Moder,
Schimmel und Fäulniß in die Früchte. Es war eine unvollkommene Ernte.
Ach, und es ist nicht das erste Jahr, daß uns Deutsche das Unglück trifft!
Es ist für große Landstriche das vierte magere Jahr. Die alten Vorräthe
sind aufgezehrt, und selbst die Fülle einer reichlichen Ernte würde kaum ge¬
nügen, die Fruchtpreise auf ein erträgliches Maß herabzubringen. Alles ist
theuer geworden, und mit sorgenvollem Herzen ringt der arme Arbeiter darnach,
den Tagelohn, der ihm für seiner Hände Werk gezahlt wird, so weit zu steigern,
als die Vertheurung der nothwendigsten Bedürfnisse für ihn>und seine Familie
nöthig macht. Und nur schwer und unvollkommen will ihm das gelingen.
Wol ist wahr, was unsre Nationalökonomen lehren, daß im Großen die Preise
aller Thätigkeiten und Producte normirt werden durch den Preis der Brot¬
frucht. Aber dies Gesetz erfüllt sich erst im Laufe der Jahre sehr allmälig nach
harten Kämpfen und Schwankungen. Und solche Uebergangözeiten, wo die
Theuerung des Brotes auf den Arbeitern lastet, und die Schwachen und Ab¬
hängigen noch nicht erreicht haben, daß ihr Lohn in entsprechender Weise er¬
höht wird, solche Zeiten verstören in der Stille tausende von zufriedenen Haus¬
halten, tausende von Menschenleben. Es wird für Millionen ein schwerer
Winter werden. —

Während aber im größten Theile von Deutschland, wie in Frankreich und
weiter im Westen, die Ernte eine unvollkommene war, haben Oestreich und ein
großer Theil des russischen Gebiets das Glück gehabt, reiche Erträge in die
Scheuern zu führen, und schon jetzt werden für Oestreich die günstigen Folgen
dieser Ereignisse stchlbar. Hunderttausende von Scheffeln rollen auf der Eisen¬
bahn nach den Nachbarländern, und aus diesen fließen Millionen von Silber¬
geld in die Börsen der östreichischen Landwirthe. Und das Steigen der Bank¬
noten an der Börse rührt vielleicht ebensosehr von dem massenhaften Begehr
dieses Zahlungsmittels in Norddeutschland und von dem Einstießen des Silber¬
geldes in die östreichischen Landschaften her, als von den großartigen Finanz-
speculationen der kaiserlichen Negierung, deren Erfolg immer noch zweifelhaft
ist. Auch hierdurch wirken die Launen der Natur auf die politische Lage der
Länder, und während die Cabinete von Preußen und Oestreich in steter stiller
Eifersucht und bis jetzt mit zweifelhaftem Erfolg um ihren politischen Einfluß
kämpfen, haben die Gewalten der Natur in beiden Staaten einen ähnlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/278>, abgerufen am 22.07.2024.