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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Im Allgemeinen war das Betragen der französischen Soldaten in Berlin
ein zufriedenstellendes, wie es die strenge Disciplin in der napoleonischen
Armee mit sich brachte und mit wenigen Ausnahmen zeigten sich die fremden
Gäste genügsam, sobald sie nur die Ueberzeugung gewannen, daß es ihren
Wirthen nicht an gutem Willen fehlte. Das, wonach sie am meisten begehrten,
war ein reinliches Bett, Fleischbrühe und ein Glas Wein, wenn sie es haben
konnten. Doch erließ auch General Hülin, um dem Soldatenübermuth bei
Zeiten Schranken zu setzen, einen Befehl, wonach "jeder Militär und jede zur
Armee gehörige Person, welche bei einem Bürger im Quartier lag, verbunden
war, die gewöhnliche Mahlzeit, welche dieser nach seinem Stande und Ver¬
mögen halten konnte, mit ihm zu theilen und ihm auferlegt wurde, unter keiner¬
lei Vorwanv mehr zu verlangen." --

Im Uebrigen gingen die berliner Behörden in erbärmlicher Aengstlichkeit und
infolge des daraus entspringenden Eifers oft viel weiter, als dies im Willen
der französischen Machthaber lag. Schon vor dem Einzuge des Feindes hatten
die Aeltesten der berliner Kaufmannschaft ein Circular in Umlauf gesetzt, in
welchem auf die Nothwendigkeit hingewiesen wurde, die Summe von einer
Million zusammenzubringen, um damit dem feindlichen commandirenden Gene¬
ral zur Aufrechthaltung seiner guten Laune ein Geschenk zu machen; später
befahl General Hülin die Ablieferung von Waffen von Unbefugter und Pri¬
vatpersonen, der Magistrat aber ließ es nicht dabei, sondern machte öffentlich
bekannt "daß jeder Bürger sein Gewehr, bei Strafe erschossen zu werden,
abliefern sollte", infolge dessen der französische Commandant Veranlassung
fand, sich in den Zeitungen dahin auszusprechen, "wie er erstaunt sei, eine so
strenge Verordnung in öffentlichen Blättern zu finden. In Zukunft solle man
mit der Androhung solcher Zwangsmaßregeln so lange warten, bis er sie dem
Magistrat vorschreiben würde und dieser solle nichts mehr proclamiren, was ihm
nicht vorher mitgetheilt worden wäre."

Um diese Zeit begann man auch auf den Befehl Napoleons preußische
Regimenter für den französischen Dienst auf dem Wege der Anwerbung zu
errichten und der Fürst Karl .von Jsenburg erließ am 18. November eine
darauf Bezug habende Proclcimation, welche wir hier als ein Kennzeichen jener
für Preußen und Deutschland so traurigen Zeit mittheilen, obgleich wir die¬
selbe unsrem inneren Gefühl nach lieber übergehen möchten. Dieser Ausruf
lautete:

"Nachdem Se., Majestät der Kaiser von Frankreich und König von Ita¬
lien mir die Errichtung eines Infanterieregiments von vier Bataillonen, so aus
lauter Individuen, die in preußischen Diensten gestanden, zusammengesetzt werden
soll, gnädigst zu übertragen geruht haben, so wird hier mit allen denjenigen
Herren Offiziers der preußischen Armee, so mit Kapitulation in französische


Im Allgemeinen war das Betragen der französischen Soldaten in Berlin
ein zufriedenstellendes, wie es die strenge Disciplin in der napoleonischen
Armee mit sich brachte und mit wenigen Ausnahmen zeigten sich die fremden
Gäste genügsam, sobald sie nur die Ueberzeugung gewannen, daß es ihren
Wirthen nicht an gutem Willen fehlte. Das, wonach sie am meisten begehrten,
war ein reinliches Bett, Fleischbrühe und ein Glas Wein, wenn sie es haben
konnten. Doch erließ auch General Hülin, um dem Soldatenübermuth bei
Zeiten Schranken zu setzen, einen Befehl, wonach „jeder Militär und jede zur
Armee gehörige Person, welche bei einem Bürger im Quartier lag, verbunden
war, die gewöhnliche Mahlzeit, welche dieser nach seinem Stande und Ver¬
mögen halten konnte, mit ihm zu theilen und ihm auferlegt wurde, unter keiner¬
lei Vorwanv mehr zu verlangen." —

Im Uebrigen gingen die berliner Behörden in erbärmlicher Aengstlichkeit und
infolge des daraus entspringenden Eifers oft viel weiter, als dies im Willen
der französischen Machthaber lag. Schon vor dem Einzuge des Feindes hatten
die Aeltesten der berliner Kaufmannschaft ein Circular in Umlauf gesetzt, in
welchem auf die Nothwendigkeit hingewiesen wurde, die Summe von einer
Million zusammenzubringen, um damit dem feindlichen commandirenden Gene¬
ral zur Aufrechthaltung seiner guten Laune ein Geschenk zu machen; später
befahl General Hülin die Ablieferung von Waffen von Unbefugter und Pri¬
vatpersonen, der Magistrat aber ließ es nicht dabei, sondern machte öffentlich
bekannt „daß jeder Bürger sein Gewehr, bei Strafe erschossen zu werden,
abliefern sollte", infolge dessen der französische Commandant Veranlassung
fand, sich in den Zeitungen dahin auszusprechen, „wie er erstaunt sei, eine so
strenge Verordnung in öffentlichen Blättern zu finden. In Zukunft solle man
mit der Androhung solcher Zwangsmaßregeln so lange warten, bis er sie dem
Magistrat vorschreiben würde und dieser solle nichts mehr proclamiren, was ihm
nicht vorher mitgetheilt worden wäre."

Um diese Zeit begann man auch auf den Befehl Napoleons preußische
Regimenter für den französischen Dienst auf dem Wege der Anwerbung zu
errichten und der Fürst Karl .von Jsenburg erließ am 18. November eine
darauf Bezug habende Proclcimation, welche wir hier als ein Kennzeichen jener
für Preußen und Deutschland so traurigen Zeit mittheilen, obgleich wir die¬
selbe unsrem inneren Gefühl nach lieber übergehen möchten. Dieser Ausruf
lautete:

„Nachdem Se., Majestät der Kaiser von Frankreich und König von Ita¬
lien mir die Errichtung eines Infanterieregiments von vier Bataillonen, so aus
lauter Individuen, die in preußischen Diensten gestanden, zusammengesetzt werden
soll, gnädigst zu übertragen geruht haben, so wird hier mit allen denjenigen
Herren Offiziers der preußischen Armee, so mit Kapitulation in französische


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[0270] Im Allgemeinen war das Betragen der französischen Soldaten in Berlin ein zufriedenstellendes, wie es die strenge Disciplin in der napoleonischen Armee mit sich brachte und mit wenigen Ausnahmen zeigten sich die fremden Gäste genügsam, sobald sie nur die Ueberzeugung gewannen, daß es ihren Wirthen nicht an gutem Willen fehlte. Das, wonach sie am meisten begehrten, war ein reinliches Bett, Fleischbrühe und ein Glas Wein, wenn sie es haben konnten. Doch erließ auch General Hülin, um dem Soldatenübermuth bei Zeiten Schranken zu setzen, einen Befehl, wonach „jeder Militär und jede zur Armee gehörige Person, welche bei einem Bürger im Quartier lag, verbunden war, die gewöhnliche Mahlzeit, welche dieser nach seinem Stande und Ver¬ mögen halten konnte, mit ihm zu theilen und ihm auferlegt wurde, unter keiner¬ lei Vorwanv mehr zu verlangen." — Im Uebrigen gingen die berliner Behörden in erbärmlicher Aengstlichkeit und infolge des daraus entspringenden Eifers oft viel weiter, als dies im Willen der französischen Machthaber lag. Schon vor dem Einzuge des Feindes hatten die Aeltesten der berliner Kaufmannschaft ein Circular in Umlauf gesetzt, in welchem auf die Nothwendigkeit hingewiesen wurde, die Summe von einer Million zusammenzubringen, um damit dem feindlichen commandirenden Gene¬ ral zur Aufrechthaltung seiner guten Laune ein Geschenk zu machen; später befahl General Hülin die Ablieferung von Waffen von Unbefugter und Pri¬ vatpersonen, der Magistrat aber ließ es nicht dabei, sondern machte öffentlich bekannt „daß jeder Bürger sein Gewehr, bei Strafe erschossen zu werden, abliefern sollte", infolge dessen der französische Commandant Veranlassung fand, sich in den Zeitungen dahin auszusprechen, „wie er erstaunt sei, eine so strenge Verordnung in öffentlichen Blättern zu finden. In Zukunft solle man mit der Androhung solcher Zwangsmaßregeln so lange warten, bis er sie dem Magistrat vorschreiben würde und dieser solle nichts mehr proclamiren, was ihm nicht vorher mitgetheilt worden wäre." Um diese Zeit begann man auch auf den Befehl Napoleons preußische Regimenter für den französischen Dienst auf dem Wege der Anwerbung zu errichten und der Fürst Karl .von Jsenburg erließ am 18. November eine darauf Bezug habende Proclcimation, welche wir hier als ein Kennzeichen jener für Preußen und Deutschland so traurigen Zeit mittheilen, obgleich wir die¬ selbe unsrem inneren Gefühl nach lieber übergehen möchten. Dieser Ausruf lautete: „Nachdem Se., Majestät der Kaiser von Frankreich und König von Ita¬ lien mir die Errichtung eines Infanterieregiments von vier Bataillonen, so aus lauter Individuen, die in preußischen Diensten gestanden, zusammengesetzt werden soll, gnädigst zu übertragen geruht haben, so wird hier mit allen denjenigen Herren Offiziers der preußischen Armee, so mit Kapitulation in französische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/270>, abgerufen am 02.07.2024.