Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Offizier keine Gelegenheit hat, den Dienst im Großen kennen zu lernen. Der
Tarif für die Offizicrpatente ist folgender:

Cavalerie. " Infanterie.
Fähnrich 1190 Pfd. Se. 460 Pfd. Se.
Lieutenant 1260 " 700
Capitän 3228 .,. 1800
Major "4S73 " 3200
Oberstlieutenant 6175 ., 4310

Rechnet man die Zinsen des eingezahlten Capitals ab, so ist der Sold
der Offiziere außerordentlich gering. Ein Oberstlieutenant, der einen Gehalt
von 419 Pfund bezieht, hat nach dem Abzug der Zinsen eigentlich nur
172 Pfund. Man hat indeß dem Herzog von Wellington, der darüber Be¬
schwerde führte, sehr richtig geantwortet, daß eine Summe von 419 Pfund
allerdings kein zu hoher Gehalt für einen ersten Handlungscommis, daß aber
die Hälfte dieser Summe eine Verschwendung sei, wenn sie dazu diene, einen
Invaliden im activen Dienst zu erhalten. Da aber das- Avancement nach
der Anciennetät erfolgt, so sind häufig die Offiziere zu alt. Das ganze
System ist für den Offizier, aber nicht für den Staat vortheilhaft. Wenn der
Oberstlieutenant seinen Abschied nimmt, so zahlen ihm der Major, der Capi¬
tän, der Lieutenant, und der älteste Fähnrich , welche nacheinander ausrücken,
zusammen den Betrag seines Patentes mit 4340 Pfund (in der Infanterie)
und der neue Fähnrich zahlt seine 430 Pfund ein. Man scheut sich, dieses
System abzuschaffen, weil man bei einem Avancement außer der Reihe die
Partei- und Familieneinflüsse befürchtet. Uebrigens interessirt man sich in
England bei weitem weniger für die Landarmee, als für die Marine. Der
Geist der Nation ist vorzugsweise ein maritimer und es besteht noch die
alte Ueberzeugung in voller Kraft, daß stehende Heere, die Volksfreiheiten ge¬
fährden.

Der Hauptgegenstand der administrativen Reform ist die Civilverw al-
tung. Layard erklärte, sie sei schlechter als die Verwaltung irgendeines
Privatgeschäftes; Lindsay nannte am 23. März dieses Jahres das Verwal¬
tungssystem "verrottet." Sir Stafford Northote, Mitglied deS Schatzamtes
unter Gladstone, trat der Meinung Lindsayö bei: Land und Regierung hätten
ungeheure Anstrengungen gemacht und doch seien sie mißlungen. Er fand das
Uebel in der mangelhaften Organisation des Personals der Bureaux. Schon
1836 gab Herr Taylor ein Buch heraus, den "Staatsmann", in welchem
^ auf Reform der Executive drang. Die Minister und ihre Unter-
staatssecretäre kümmerten sich nur um die parlamentarischen Tagesfragen.
Darüber würden'die Gegenstände der innern Verwaltung vernachlässigt. Für
diese genügten nicht der Cabinetschef des Ministers und einige Secretäre, son-


32*

Offizier keine Gelegenheit hat, den Dienst im Großen kennen zu lernen. Der
Tarif für die Offizicrpatente ist folgender:

Cavalerie. » Infanterie.
Fähnrich 1190 Pfd. Se. 460 Pfd. Se.
Lieutenant 1260 „ 700
Capitän 3228 .,. 1800
Major »4S73 „ 3200
Oberstlieutenant 6175 ., 4310

Rechnet man die Zinsen des eingezahlten Capitals ab, so ist der Sold
der Offiziere außerordentlich gering. Ein Oberstlieutenant, der einen Gehalt
von 419 Pfund bezieht, hat nach dem Abzug der Zinsen eigentlich nur
172 Pfund. Man hat indeß dem Herzog von Wellington, der darüber Be¬
schwerde führte, sehr richtig geantwortet, daß eine Summe von 419 Pfund
allerdings kein zu hoher Gehalt für einen ersten Handlungscommis, daß aber
die Hälfte dieser Summe eine Verschwendung sei, wenn sie dazu diene, einen
Invaliden im activen Dienst zu erhalten. Da aber das- Avancement nach
der Anciennetät erfolgt, so sind häufig die Offiziere zu alt. Das ganze
System ist für den Offizier, aber nicht für den Staat vortheilhaft. Wenn der
Oberstlieutenant seinen Abschied nimmt, so zahlen ihm der Major, der Capi¬
tän, der Lieutenant, und der älteste Fähnrich , welche nacheinander ausrücken,
zusammen den Betrag seines Patentes mit 4340 Pfund (in der Infanterie)
und der neue Fähnrich zahlt seine 430 Pfund ein. Man scheut sich, dieses
System abzuschaffen, weil man bei einem Avancement außer der Reihe die
Partei- und Familieneinflüsse befürchtet. Uebrigens interessirt man sich in
England bei weitem weniger für die Landarmee, als für die Marine. Der
Geist der Nation ist vorzugsweise ein maritimer und es besteht noch die
alte Ueberzeugung in voller Kraft, daß stehende Heere, die Volksfreiheiten ge¬
fährden.

Der Hauptgegenstand der administrativen Reform ist die Civilverw al-
tung. Layard erklärte, sie sei schlechter als die Verwaltung irgendeines
Privatgeschäftes; Lindsay nannte am 23. März dieses Jahres das Verwal¬
tungssystem „verrottet." Sir Stafford Northote, Mitglied deS Schatzamtes
unter Gladstone, trat der Meinung Lindsayö bei: Land und Regierung hätten
ungeheure Anstrengungen gemacht und doch seien sie mißlungen. Er fand das
Uebel in der mangelhaften Organisation des Personals der Bureaux. Schon
1836 gab Herr Taylor ein Buch heraus, den „Staatsmann", in welchem
^ auf Reform der Executive drang. Die Minister und ihre Unter-
staatssecretäre kümmerten sich nur um die parlamentarischen Tagesfragen.
Darüber würden'die Gegenstände der innern Verwaltung vernachlässigt. Für
diese genügten nicht der Cabinetschef des Ministers und einige Secretäre, son-


32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100713"/>
          <p xml:id="ID_724" prev="#ID_723"> Offizier keine Gelegenheit hat, den Dienst im Großen kennen zu lernen. Der<lb/>
Tarif für die Offizicrpatente ist folgender:</p><lb/>
          <list>
            <item> Cavalerie. » Infanterie.</item>
            <item> Fähnrich 1190 Pfd. Se.  460 Pfd. Se.</item>
            <item> Lieutenant 1260   &#x201E; 700</item>
            <item> Capitän 3228   .,. 1800</item>
            <item> Major »4S73   &#x201E; 3200</item>
            <item> Oberstlieutenant 6175   ., 4310</item>
          </list><lb/>
          <p xml:id="ID_725"> Rechnet man die Zinsen des eingezahlten Capitals ab, so ist der Sold<lb/>
der Offiziere außerordentlich gering. Ein Oberstlieutenant, der einen Gehalt<lb/>
von 419 Pfund bezieht, hat nach dem Abzug der Zinsen eigentlich nur<lb/>
172 Pfund. Man hat indeß dem Herzog von Wellington, der darüber Be¬<lb/>
schwerde führte, sehr richtig geantwortet, daß eine Summe von 419 Pfund<lb/>
allerdings kein zu hoher Gehalt für einen ersten Handlungscommis, daß aber<lb/>
die Hälfte dieser Summe eine Verschwendung sei, wenn sie dazu diene, einen<lb/>
Invaliden im activen Dienst zu erhalten. Da aber das- Avancement nach<lb/>
der Anciennetät erfolgt, so sind häufig die Offiziere zu alt. Das ganze<lb/>
System ist für den Offizier, aber nicht für den Staat vortheilhaft. Wenn der<lb/>
Oberstlieutenant seinen Abschied nimmt, so zahlen ihm der Major, der Capi¬<lb/>
tän, der Lieutenant, und der älteste Fähnrich , welche nacheinander ausrücken,<lb/>
zusammen den Betrag seines Patentes mit 4340 Pfund (in der Infanterie)<lb/>
und der neue Fähnrich zahlt seine 430 Pfund ein. Man scheut sich, dieses<lb/>
System abzuschaffen, weil man bei einem Avancement außer der Reihe die<lb/>
Partei- und Familieneinflüsse befürchtet. Uebrigens interessirt man sich in<lb/>
England bei weitem weniger für die Landarmee, als für die Marine. Der<lb/>
Geist der Nation ist vorzugsweise ein maritimer und es besteht noch die<lb/>
alte Ueberzeugung in voller Kraft, daß stehende Heere, die Volksfreiheiten ge¬<lb/>
fährden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_726" next="#ID_727"> Der Hauptgegenstand der administrativen Reform ist die Civilverw al-<lb/>
tung. Layard erklärte, sie sei schlechter als die Verwaltung irgendeines<lb/>
Privatgeschäftes; Lindsay nannte am 23. März dieses Jahres das Verwal¬<lb/>
tungssystem &#x201E;verrottet." Sir Stafford Northote, Mitglied deS Schatzamtes<lb/>
unter Gladstone, trat der Meinung Lindsayö bei: Land und Regierung hätten<lb/>
ungeheure Anstrengungen gemacht und doch seien sie mißlungen. Er fand das<lb/>
Uebel in der mangelhaften Organisation des Personals der Bureaux. Schon<lb/>
1836 gab Herr Taylor ein Buch heraus, den &#x201E;Staatsmann", in welchem<lb/>
^ auf Reform der Executive drang. Die Minister und ihre Unter-<lb/>
staatssecretäre kümmerten sich nur um die parlamentarischen Tagesfragen.<lb/>
Darüber würden'die Gegenstände der innern Verwaltung vernachlässigt. Für<lb/>
diese genügten nicht der Cabinetschef des Ministers und einige Secretäre, son-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] Offizier keine Gelegenheit hat, den Dienst im Großen kennen zu lernen. Der Tarif für die Offizicrpatente ist folgender: Cavalerie. » Infanterie. Fähnrich 1190 Pfd. Se. 460 Pfd. Se. Lieutenant 1260 „ 700 Capitän 3228 .,. 1800 Major »4S73 „ 3200 Oberstlieutenant 6175 ., 4310 Rechnet man die Zinsen des eingezahlten Capitals ab, so ist der Sold der Offiziere außerordentlich gering. Ein Oberstlieutenant, der einen Gehalt von 419 Pfund bezieht, hat nach dem Abzug der Zinsen eigentlich nur 172 Pfund. Man hat indeß dem Herzog von Wellington, der darüber Be¬ schwerde führte, sehr richtig geantwortet, daß eine Summe von 419 Pfund allerdings kein zu hoher Gehalt für einen ersten Handlungscommis, daß aber die Hälfte dieser Summe eine Verschwendung sei, wenn sie dazu diene, einen Invaliden im activen Dienst zu erhalten. Da aber das- Avancement nach der Anciennetät erfolgt, so sind häufig die Offiziere zu alt. Das ganze System ist für den Offizier, aber nicht für den Staat vortheilhaft. Wenn der Oberstlieutenant seinen Abschied nimmt, so zahlen ihm der Major, der Capi¬ tän, der Lieutenant, und der älteste Fähnrich , welche nacheinander ausrücken, zusammen den Betrag seines Patentes mit 4340 Pfund (in der Infanterie) und der neue Fähnrich zahlt seine 430 Pfund ein. Man scheut sich, dieses System abzuschaffen, weil man bei einem Avancement außer der Reihe die Partei- und Familieneinflüsse befürchtet. Uebrigens interessirt man sich in England bei weitem weniger für die Landarmee, als für die Marine. Der Geist der Nation ist vorzugsweise ein maritimer und es besteht noch die alte Ueberzeugung in voller Kraft, daß stehende Heere, die Volksfreiheiten ge¬ fährden. Der Hauptgegenstand der administrativen Reform ist die Civilverw al- tung. Layard erklärte, sie sei schlechter als die Verwaltung irgendeines Privatgeschäftes; Lindsay nannte am 23. März dieses Jahres das Verwal¬ tungssystem „verrottet." Sir Stafford Northote, Mitglied deS Schatzamtes unter Gladstone, trat der Meinung Lindsayö bei: Land und Regierung hätten ungeheure Anstrengungen gemacht und doch seien sie mißlungen. Er fand das Uebel in der mangelhaften Organisation des Personals der Bureaux. Schon 1836 gab Herr Taylor ein Buch heraus, den „Staatsmann", in welchem ^ auf Reform der Executive drang. Die Minister und ihre Unter- staatssecretäre kümmerten sich nur um die parlamentarischen Tagesfragen. Darüber würden'die Gegenstände der innern Verwaltung vernachlässigt. Für diese genügten nicht der Cabinetschef des Ministers und einige Secretäre, son- 32*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/259>, abgerufen am 15.01.2025.