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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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welche weinten, der Männer, welche grollten und deS Frankreichs, welches
nicht das Frankreich von Austerlitz und Wagram war und welches, ermattet
und ausgesogen, selbst seinen Ruhm zu hassen anfing und zuletzt voll ungedul¬
digem Groll den Mann stürzt, den es mit Aufopferung seines besten Blutes
erst so hoch erhoben. Das allmälige Umsichgreifen dieses Gefühls der Unzu¬
friedenheit, welches stumm bleibt, aber mit jedem Tage starker wird, ist von
Villemm'n trefflich geschildert; Zug für Zug können wir die Veränderung der
öffentlichen Meinung, von stummer Unterwürfigkeit bis zu schlecht unterdrücktem
Entsetzen verfolgen und ebenso deutlich sehen wir die schreckliche Nacht, welche,
nur von noch schrecklicheren Visionen unterbrochen, allmälig den Geist des
Herrschers zu umfangen scheint.

Nicht nur Herr von Narbonne, sondern auch seine ganze übrige Umgebung
rathen und bitten den'Kaiser, den Zug nach Rußland aufzugeben. Caulain-
court, Daru, Lobau, Duroc, alle stellen ihm die UnWahrscheinlichkeit des Er¬
folgs dar und den schrecklichen Preis, der für den kaum möglichen Sieg bezahlt
werden müßte. "Sire," sagte eines Tages Herr von Narbonne zu Napoleon,
"wir werden natürlich folgen, wohin uns Ew. Majestät zu führen beliebt;
wir werden folgen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Was mich, betrifft, so bin
ich seit 1792 auf alles vorbereitet, aber ich wage eS, Sie im Namen derjeni¬
gen, welche stumm bleiben, zu beschwören, nicht das wunderbare Glück
Frankreichs aufs Spiel zu setzen, indem Sie es in die unbekannten Wüsteneien
des Nordens schleppen."

Es liegt etwas Schreckenerregendes in dem blinden Ungestüm, mit welchem
Napoleon unmittelbar vor dem Beginn und in der ersten Hälfte des Feldzugs
seinem Schicksal entgegeneile. Nirgends finden wir deutlichere Spuren dieser
verhängnißvollen Hartnäckigkeit, als in einem Tagebuche DurocS, das er wahr¬
scheinlich für sich selbst geschrieben, denn er hat es bei Lebzeiten niemand
sehen lassen. 18-13, nach seinem Tode, kam es in den Besitz eines seiner ver¬
trautesten Freunde, der es Villemain mittheilte. Wir finden darin Stellen,
wie folgende, die jetzt wie Prophezeihungen klingen: "ES wird dem Kaiser
ebenso unmöglich sein in Smolensk oder in Moskau Friede zu schließen
wie in Witepsk; er wird nur weiter--von Frankreich entfernt sein -- das ist
alles. Der Friede wird uns fliehen, wie der bewaffnete Widerstand verschwun¬
den ist; man wird uns keine Schlacht anbieten, bis der Feind sieht, daß wir
noch mehr von Anstrengungen erschöpft sind und ein guter Theil unsrer Cavalerie
unberitten ist. Werden die Russen geschlagen, so sammeln sie sich ein wenig
weiter rückwärts; Ersatz für ihren Verlust finden sie leicht, denn sie sind zu
Hause, während wir" -- Einige dieser Aufzeichnungen sind kaum lesbar und
verrathen die Eile und. Aufregung eines von schweren Sorgen Gedruckten,
während sie mit wenigen, zuweilen abgerissenen Worten die Stürme in der


welche weinten, der Männer, welche grollten und deS Frankreichs, welches
nicht das Frankreich von Austerlitz und Wagram war und welches, ermattet
und ausgesogen, selbst seinen Ruhm zu hassen anfing und zuletzt voll ungedul¬
digem Groll den Mann stürzt, den es mit Aufopferung seines besten Blutes
erst so hoch erhoben. Das allmälige Umsichgreifen dieses Gefühls der Unzu¬
friedenheit, welches stumm bleibt, aber mit jedem Tage starker wird, ist von
Villemm'n trefflich geschildert; Zug für Zug können wir die Veränderung der
öffentlichen Meinung, von stummer Unterwürfigkeit bis zu schlecht unterdrücktem
Entsetzen verfolgen und ebenso deutlich sehen wir die schreckliche Nacht, welche,
nur von noch schrecklicheren Visionen unterbrochen, allmälig den Geist des
Herrschers zu umfangen scheint.

Nicht nur Herr von Narbonne, sondern auch seine ganze übrige Umgebung
rathen und bitten den'Kaiser, den Zug nach Rußland aufzugeben. Caulain-
court, Daru, Lobau, Duroc, alle stellen ihm die UnWahrscheinlichkeit des Er¬
folgs dar und den schrecklichen Preis, der für den kaum möglichen Sieg bezahlt
werden müßte. „Sire," sagte eines Tages Herr von Narbonne zu Napoleon,
„wir werden natürlich folgen, wohin uns Ew. Majestät zu führen beliebt;
wir werden folgen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Was mich, betrifft, so bin
ich seit 1792 auf alles vorbereitet, aber ich wage eS, Sie im Namen derjeni¬
gen, welche stumm bleiben, zu beschwören, nicht das wunderbare Glück
Frankreichs aufs Spiel zu setzen, indem Sie es in die unbekannten Wüsteneien
des Nordens schleppen."

Es liegt etwas Schreckenerregendes in dem blinden Ungestüm, mit welchem
Napoleon unmittelbar vor dem Beginn und in der ersten Hälfte des Feldzugs
seinem Schicksal entgegeneile. Nirgends finden wir deutlichere Spuren dieser
verhängnißvollen Hartnäckigkeit, als in einem Tagebuche DurocS, das er wahr¬
scheinlich für sich selbst geschrieben, denn er hat es bei Lebzeiten niemand
sehen lassen. 18-13, nach seinem Tode, kam es in den Besitz eines seiner ver¬
trautesten Freunde, der es Villemain mittheilte. Wir finden darin Stellen,
wie folgende, die jetzt wie Prophezeihungen klingen: „ES wird dem Kaiser
ebenso unmöglich sein in Smolensk oder in Moskau Friede zu schließen
wie in Witepsk; er wird nur weiter--von Frankreich entfernt sein — das ist
alles. Der Friede wird uns fliehen, wie der bewaffnete Widerstand verschwun¬
den ist; man wird uns keine Schlacht anbieten, bis der Feind sieht, daß wir
noch mehr von Anstrengungen erschöpft sind und ein guter Theil unsrer Cavalerie
unberitten ist. Werden die Russen geschlagen, so sammeln sie sich ein wenig
weiter rückwärts; Ersatz für ihren Verlust finden sie leicht, denn sie sind zu
Hause, während wir" — Einige dieser Aufzeichnungen sind kaum lesbar und
verrathen die Eile und. Aufregung eines von schweren Sorgen Gedruckten,
während sie mit wenigen, zuweilen abgerissenen Worten die Stürme in der


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[0245] welche weinten, der Männer, welche grollten und deS Frankreichs, welches nicht das Frankreich von Austerlitz und Wagram war und welches, ermattet und ausgesogen, selbst seinen Ruhm zu hassen anfing und zuletzt voll ungedul¬ digem Groll den Mann stürzt, den es mit Aufopferung seines besten Blutes erst so hoch erhoben. Das allmälige Umsichgreifen dieses Gefühls der Unzu¬ friedenheit, welches stumm bleibt, aber mit jedem Tage starker wird, ist von Villemm'n trefflich geschildert; Zug für Zug können wir die Veränderung der öffentlichen Meinung, von stummer Unterwürfigkeit bis zu schlecht unterdrücktem Entsetzen verfolgen und ebenso deutlich sehen wir die schreckliche Nacht, welche, nur von noch schrecklicheren Visionen unterbrochen, allmälig den Geist des Herrschers zu umfangen scheint. Nicht nur Herr von Narbonne, sondern auch seine ganze übrige Umgebung rathen und bitten den'Kaiser, den Zug nach Rußland aufzugeben. Caulain- court, Daru, Lobau, Duroc, alle stellen ihm die UnWahrscheinlichkeit des Er¬ folgs dar und den schrecklichen Preis, der für den kaum möglichen Sieg bezahlt werden müßte. „Sire," sagte eines Tages Herr von Narbonne zu Napoleon, „wir werden natürlich folgen, wohin uns Ew. Majestät zu führen beliebt; wir werden folgen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Was mich, betrifft, so bin ich seit 1792 auf alles vorbereitet, aber ich wage eS, Sie im Namen derjeni¬ gen, welche stumm bleiben, zu beschwören, nicht das wunderbare Glück Frankreichs aufs Spiel zu setzen, indem Sie es in die unbekannten Wüsteneien des Nordens schleppen." Es liegt etwas Schreckenerregendes in dem blinden Ungestüm, mit welchem Napoleon unmittelbar vor dem Beginn und in der ersten Hälfte des Feldzugs seinem Schicksal entgegeneile. Nirgends finden wir deutlichere Spuren dieser verhängnißvollen Hartnäckigkeit, als in einem Tagebuche DurocS, das er wahr¬ scheinlich für sich selbst geschrieben, denn er hat es bei Lebzeiten niemand sehen lassen. 18-13, nach seinem Tode, kam es in den Besitz eines seiner ver¬ trautesten Freunde, der es Villemain mittheilte. Wir finden darin Stellen, wie folgende, die jetzt wie Prophezeihungen klingen: „ES wird dem Kaiser ebenso unmöglich sein in Smolensk oder in Moskau Friede zu schließen wie in Witepsk; er wird nur weiter--von Frankreich entfernt sein — das ist alles. Der Friede wird uns fliehen, wie der bewaffnete Widerstand verschwun¬ den ist; man wird uns keine Schlacht anbieten, bis der Feind sieht, daß wir noch mehr von Anstrengungen erschöpft sind und ein guter Theil unsrer Cavalerie unberitten ist. Werden die Russen geschlagen, so sammeln sie sich ein wenig weiter rückwärts; Ersatz für ihren Verlust finden sie leicht, denn sie sind zu Hause, während wir" — Einige dieser Aufzeichnungen sind kaum lesbar und verrathen die Eile und. Aufregung eines von schweren Sorgen Gedruckten, während sie mit wenigen, zuweilen abgerissenen Worten die Stürme in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/245>, abgerufen am 25.08.2024.