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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wegen, aber es nicht befreien, und die Unabhängigkeit des westlichen Europa
sichern, ohne eine revolutionäre Gährung zu erregen -- das ist die ganze
Aufgabe." Und dann machte es ihm Spaß, wenn er sich halb neckend gegen
Narbonne wenden konnte und hinzusetzte "Sie waren auch einmal von alle
diesen schönen Ideen angesteckt, vergessen Sie das nicht! Sie glaubten an die
Verfassung von 1791; ich tadle Sie deshalb nicht, der Klügste kann sich irren;
aber Sie alle versuchten eine Unmöglichkeit und brachten das Erdbeben zu Stan¬
de, welches meinen armen Onkel Ludwig XVI. verschlang!" Ein ander Mal
verrieth er schon hier, welches Spiel er mit den Polen treiben wollte, obgleich
seine Lobredner sich immer noch Mühe geben, ihm ernstliche Pläne zur Wieder¬
herstellung des polnischen Reichs unterzuschieben, und gab dabei zu erkennen^
daß sein politischer Scharfsinn die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens
besser erkannte, als die Polenfreuude der Gegenwart, welche aus den zur
Hälfte durch deutschen Fleiß der Civilisation zurückeroberten Strecken, wieder
eine sarmatische Republik ausbauen wollen, die kein Jahr würde bestehen kön¬
nen und deren Gründung ein Rückschritt in der Geschichte der Menschheit
wäre. "Ich habe die Polen gern, bemerkte er manchmal; "aber ich habe es
mir reiflich überlegt, ich will ein Feldlager in Polen haben, kein Forum.
Meinetwegen mag im Großherzogthum Warschau ein Stückchen Reichstag sein,
um uns bei den Aushebungen von Truppen, die wir brauchen, zu unterstützen;
ober mehr nicht. Ich werde mit Alexander einen anständigen Krieg führen
mit 2000 Kanonen und 300,000 Mann Soldaten, aber ohne Aufstand. Ich
nehme Moskau ein und treibe den Zar nach Asien zurück; aber einen Club
dulde ich nicht, weder in Warschau noch in Krakau -- nirgends. Nein, mein
lieber Narbonne, ich werde Polen als eine disciplinirte Heeresmacht benutzen,
womit ich meine Schlachtfelder bevölkere."

"Und dann, mon oder, (und sein Adjutant bemerkt, "er sprach im Ton
eines Mannes,, der unter der Herrschaft eines Traumes steht") und dann ist
dieser lange Weg der Weg nach Ostindien. Alexander begann seinen Marsch
nach dem Ganges wahrscheinlich von einer größern Entfernung als von
Moskau aus. Ich habe schon oft daran gedacht, zum ersten Mal in Se. Jean
d'Acre. Wäre ich nicht gezwungen worden, diese Belagerung aufzugeben, so
hätte ich damals halb Asten erobert und hätte Europa von der andern Seite
genommen, um die Throne von Frankreich und Italien auf dem Rückweg zu
erobern. Jetzt muß ich von dem äußersten Ende Europas anfangen, um nach
Asien zu gelangen und England anzugreifen: ich besitze die Karten und ge¬
naue Angaben über die Völkerschaften, aus die ich auf dem Wege von Tiflis
und Eriwan nach den englischen Besitzungen in Ostindien stoße. Es ist ein
weniger schrecklicher Feldzug, als derjenige, welcher binnen drei Monaten be¬
ginnen wird. Moskau ist 3000 Kilometer von Paris und jedenfalls werden


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wegen, aber es nicht befreien, und die Unabhängigkeit des westlichen Europa
sichern, ohne eine revolutionäre Gährung zu erregen — das ist die ganze
Aufgabe." Und dann machte es ihm Spaß, wenn er sich halb neckend gegen
Narbonne wenden konnte und hinzusetzte „Sie waren auch einmal von alle
diesen schönen Ideen angesteckt, vergessen Sie das nicht! Sie glaubten an die
Verfassung von 1791; ich tadle Sie deshalb nicht, der Klügste kann sich irren;
aber Sie alle versuchten eine Unmöglichkeit und brachten das Erdbeben zu Stan¬
de, welches meinen armen Onkel Ludwig XVI. verschlang!" Ein ander Mal
verrieth er schon hier, welches Spiel er mit den Polen treiben wollte, obgleich
seine Lobredner sich immer noch Mühe geben, ihm ernstliche Pläne zur Wieder¬
herstellung des polnischen Reichs unterzuschieben, und gab dabei zu erkennen^
daß sein politischer Scharfsinn die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens
besser erkannte, als die Polenfreuude der Gegenwart, welche aus den zur
Hälfte durch deutschen Fleiß der Civilisation zurückeroberten Strecken, wieder
eine sarmatische Republik ausbauen wollen, die kein Jahr würde bestehen kön¬
nen und deren Gründung ein Rückschritt in der Geschichte der Menschheit
wäre. „Ich habe die Polen gern, bemerkte er manchmal; „aber ich habe es
mir reiflich überlegt, ich will ein Feldlager in Polen haben, kein Forum.
Meinetwegen mag im Großherzogthum Warschau ein Stückchen Reichstag sein,
um uns bei den Aushebungen von Truppen, die wir brauchen, zu unterstützen;
ober mehr nicht. Ich werde mit Alexander einen anständigen Krieg führen
mit 2000 Kanonen und 300,000 Mann Soldaten, aber ohne Aufstand. Ich
nehme Moskau ein und treibe den Zar nach Asien zurück; aber einen Club
dulde ich nicht, weder in Warschau noch in Krakau — nirgends. Nein, mein
lieber Narbonne, ich werde Polen als eine disciplinirte Heeresmacht benutzen,
womit ich meine Schlachtfelder bevölkere."

„Und dann, mon oder, (und sein Adjutant bemerkt, „er sprach im Ton
eines Mannes,, der unter der Herrschaft eines Traumes steht") und dann ist
dieser lange Weg der Weg nach Ostindien. Alexander begann seinen Marsch
nach dem Ganges wahrscheinlich von einer größern Entfernung als von
Moskau aus. Ich habe schon oft daran gedacht, zum ersten Mal in Se. Jean
d'Acre. Wäre ich nicht gezwungen worden, diese Belagerung aufzugeben, so
hätte ich damals halb Asten erobert und hätte Europa von der andern Seite
genommen, um die Throne von Frankreich und Italien auf dem Rückweg zu
erobern. Jetzt muß ich von dem äußersten Ende Europas anfangen, um nach
Asien zu gelangen und England anzugreifen: ich besitze die Karten und ge¬
naue Angaben über die Völkerschaften, aus die ich auf dem Wege von Tiflis
und Eriwan nach den englischen Besitzungen in Ostindien stoße. Es ist ein
weniger schrecklicher Feldzug, als derjenige, welcher binnen drei Monaten be¬
ginnen wird. Moskau ist 3000 Kilometer von Paris und jedenfalls werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/243>, abgerufen am 24.08.2024.