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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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nachdem er uns militärisch begrüßt, seine sofortige Entlassung, da er nun be¬
reits zwanzig Jahre hier zurückgehalten worden sei. Weiterhin bat ein Schiffs¬
zimmermann, ihm zu helfen, da die Königin von England ihn durchaus hei-
rathen wolle, und die Norweger ihn deshalb verfolgten. Nicht fern von ihm
verlangte ein blasser junger Mann Postpferde, um nach Altona reisen zu kön¬
nen, wo er Rathsherr werden sollte. "Fragen Sie nur meine Mutter," sagte
er zu dem Arzte, der dies bezweifelte, "die weiß, daß es wahr ist." Auf dem
Corridor des Stockwerks, wo die vornehmen Kranken wohnen, warf uns ein
Mann in schwarzem Ballanzuge einen Blick souveräner Verachtung zu. Es
war der Prinz von Dänemark, ein früherer Advocat. In einem Eckzimmer
studirten mehre einen Brief mit vielen Kreuzen, den einer von ihnen direct
vom Himmel bekommen hatte. Die friedlichste Erscheinung von allen war ein
alter Ingenieur, ein wunderliches Männchen in einem blauen Frack u la
Schwalbenschwanz, welcher alle Wände seiner Zelle von oben bis unten und
in Ermanglung mehren Raums selbst einen Theil der Decke mit Tabaks¬
pfeifen austapeziert hatte und sich fortwährend mit der Lösung schwieriger
Rechnenerempel beschäftigte, die er sich selbst aus den Buchstaben eines alten
Katechismus construirte. Wir fanden ihn in der besten Laune, denn eben hatte
er wieder "einen Leviathan gefangen". Leviathane oder Wallfische nämlich nannte
er die besonders schweren unter den Aufgaben, die er sich stellte.

Ueber die Scenen im Frauenhause, wo sich ein eleganter Conversations-
und Betsaal befindet, lassen Sie mich schweigen. Sind schon gemüthskranke
Männer ein trauriger Anblick, so ist die Verzerrung weiblicher Züge, der man
hier namentlich im Saale der Blödsinnigen begegnet, das Grauenvollste, was
sich in diesem Bereiche denken läßt, und es war erwünscht, daß unser Begleiter
seinen Besuch in diesen Räumen nach Möglichkeit abkürzte. Wir wollten eben
das Männerhaus, durch dessen Hof wir zurückkehrten, verlassen, als ein stäm¬
miger Bursche uns mit wüthendem Blick nachgesprungen kam, dem Doctor die
geballte Faust unter die Augen hielt und von ihm, indem er ihn mit du an¬
redete, seine augenblickliche Entlassung verlangte. Wir Andern waren betroffen.
Der Arzt aber blieb kaltblütig. Er kannte seinen Mann, und ohne aus vie
Forderung einzugehen, fragte er: "Nicht wahr, du warst Trompeter in der
Schleswig-holsteinischen Armee?" -- ""Freilich, Doctor, freilich, war ich das,""
antwortete der arme Bursche. "Nun, so verhalte dich hübsch ruhig, und wir werden
sehen, ob hus nicht wieder werden kannst." Der Unglückliche war schon bei der
Frage plötzlich freundlich und gelassen geworden. Das Versprechen machte ihn
zahm wie-ein Lamm. So folgt die Liebe zu dem, was die Vergangenheit schuf,
selbst bis in den Irrsinn hin. Die einzigen Lichtblicke, die das Gemüth des armen
Jungen erhellten, waren die Erinnerung an Schleswig-Holstein und sein Heer.




nachdem er uns militärisch begrüßt, seine sofortige Entlassung, da er nun be¬
reits zwanzig Jahre hier zurückgehalten worden sei. Weiterhin bat ein Schiffs¬
zimmermann, ihm zu helfen, da die Königin von England ihn durchaus hei-
rathen wolle, und die Norweger ihn deshalb verfolgten. Nicht fern von ihm
verlangte ein blasser junger Mann Postpferde, um nach Altona reisen zu kön¬
nen, wo er Rathsherr werden sollte. „Fragen Sie nur meine Mutter," sagte
er zu dem Arzte, der dies bezweifelte, „die weiß, daß es wahr ist." Auf dem
Corridor des Stockwerks, wo die vornehmen Kranken wohnen, warf uns ein
Mann in schwarzem Ballanzuge einen Blick souveräner Verachtung zu. Es
war der Prinz von Dänemark, ein früherer Advocat. In einem Eckzimmer
studirten mehre einen Brief mit vielen Kreuzen, den einer von ihnen direct
vom Himmel bekommen hatte. Die friedlichste Erscheinung von allen war ein
alter Ingenieur, ein wunderliches Männchen in einem blauen Frack u la
Schwalbenschwanz, welcher alle Wände seiner Zelle von oben bis unten und
in Ermanglung mehren Raums selbst einen Theil der Decke mit Tabaks¬
pfeifen austapeziert hatte und sich fortwährend mit der Lösung schwieriger
Rechnenerempel beschäftigte, die er sich selbst aus den Buchstaben eines alten
Katechismus construirte. Wir fanden ihn in der besten Laune, denn eben hatte
er wieder „einen Leviathan gefangen". Leviathane oder Wallfische nämlich nannte
er die besonders schweren unter den Aufgaben, die er sich stellte.

Ueber die Scenen im Frauenhause, wo sich ein eleganter Conversations-
und Betsaal befindet, lassen Sie mich schweigen. Sind schon gemüthskranke
Männer ein trauriger Anblick, so ist die Verzerrung weiblicher Züge, der man
hier namentlich im Saale der Blödsinnigen begegnet, das Grauenvollste, was
sich in diesem Bereiche denken läßt, und es war erwünscht, daß unser Begleiter
seinen Besuch in diesen Räumen nach Möglichkeit abkürzte. Wir wollten eben
das Männerhaus, durch dessen Hof wir zurückkehrten, verlassen, als ein stäm¬
miger Bursche uns mit wüthendem Blick nachgesprungen kam, dem Doctor die
geballte Faust unter die Augen hielt und von ihm, indem er ihn mit du an¬
redete, seine augenblickliche Entlassung verlangte. Wir Andern waren betroffen.
Der Arzt aber blieb kaltblütig. Er kannte seinen Mann, und ohne aus vie
Forderung einzugehen, fragte er: „Nicht wahr, du warst Trompeter in der
Schleswig-holsteinischen Armee?" — „„Freilich, Doctor, freilich, war ich das,""
antwortete der arme Bursche. „Nun, so verhalte dich hübsch ruhig, und wir werden
sehen, ob hus nicht wieder werden kannst." Der Unglückliche war schon bei der
Frage plötzlich freundlich und gelassen geworden. Das Versprechen machte ihn
zahm wie-ein Lamm. So folgt die Liebe zu dem, was die Vergangenheit schuf,
selbst bis in den Irrsinn hin. Die einzigen Lichtblicke, die das Gemüth des armen
Jungen erhellten, waren die Erinnerung an Schleswig-Holstein und sein Heer.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/239>, abgerufen am 15.01.2025.