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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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von einem Vorsteher und sechs Lehrern geleitet und hatte bei meinem Besuche
93 Zöglinge. Die Einrichtungen sind zweckmäßig.

Größeres Interesse bot ein Gang durch das Irrenhaus, welches durch
seine palastartigen Gebäude zu den Zierden der Stadt und durch die Zahl sei¬
ner Pfleglinge -- es befinden sich hier zwischen fünf- und sechshundert Geistes¬
kranke -- zu den großartigsten Anstalten seiner Art überhaupt gehört. Die
Lage der Gebäude auf dem Kamme der Höhen zwischen der Altstadt und dem
Dorfe Se. Jürgen ist bezaubernd schön. Dieselben zerfallen in ein Männer- und
ein Frauenhaus, eine >Nebenanstalt für unruhige Kranke und ein Oekonomie-
gebäude, welches sich durch eine große, höchst zweckmäßig eingerichtete Dampf¬
küche auszeichnet. Die Kranken sind in drei Verpflegungsclassen eingetheilt,
welche verschiedene Preise zahlen. Da das Institut eine Landesanstalt für
Schleswig-Holstein ist, so sind diese Preise für Irre, die aus den Herzogthümern
eintreffen, nur 87, 160 und 320 Thaler, während das Ausland für dieselben
Classen 300, 600 und 1200 Mark, also ungefähr das Dreifache zu entrichten,
hat. Dänemark und Lauenburg aber sind in dieser Beziehung als zum Auslande
gehörig angesehen. Die Anstalt nimmt nicht nur heilbare Kranke aus, sondern
verpflegt auch unheilbare. Sie hat ein nicht unbeträchtliches eignes Vermögen.
Doch haben die Neubauten der letzten Jahre gegen hunderttausend Thaler ge¬
kostet. Die Freiheit ist auffallend wenig beschränkt, und da keine Mauern die
Gärten umgeben, so kommen bisweilen Entmeichungen vor. Drei Aerzte sind
mit der Aufsicht und Behandlung der Kranken betraut.

Wir besuchten zunächst das Haus der unruhigen Kranken, vor welchem
unfern in einer Art Hof mehre abscheulich verzerrte Gesichter zum Theil
dumpf brütend, zum Theil murrend und schimpfend umherstanden. Einer lag,
den Kopf in die Hände gestemmt, im Sande. Ein anderer forderte fluchend
seine Befreiung aus dem "Narrenkäfig". Ein dritter mit einem vollkommenen
Löwengesichte ging, die Hände auf den Rücken gebunden, mit hastigen Schritten
auf und ab. Es war ein Anblick, als ob man in einen Bärengarten hinab¬
sähe. Heiterer, wenn hier überhaupt von Heiterkeit zu reden erlaubt ist, wa¬
ren die Scenen, als der Assistenzarzt, nachdem er uns die Oekonomie gezeigt,
uns in die Zellen und Säle des Männerhauses führte. Gleich der erste Irre,
der uns begegnete, war ein lustiger Gesell, der uns die Hände schüttelte, un¬
serm Führer erzählte, daß er heute sehr fleißig gewesen und i 30,000 Ziegel
getragen, und schließlich -- eine Bitte, die von den meisten gethan wurde,
sich als Belohnung dafür die Erlaubniß ausbat, nach Hause gehen zu dür¬
fen. Ein Stück davon schritt ein alter dänischer Offizier mit einer gewaltigen
Meerschaumpfeife gravitätisch hin und her. Er trug einen langen weißen Bart,
und aus der Brusttasche des bis zum Hals zugeknöpften Rockes hing als Ordens¬
zeichen ein Uhrgehänge mit rothen Kirschen. Mit barschem Ton forderte er,


von einem Vorsteher und sechs Lehrern geleitet und hatte bei meinem Besuche
93 Zöglinge. Die Einrichtungen sind zweckmäßig.

Größeres Interesse bot ein Gang durch das Irrenhaus, welches durch
seine palastartigen Gebäude zu den Zierden der Stadt und durch die Zahl sei¬
ner Pfleglinge — es befinden sich hier zwischen fünf- und sechshundert Geistes¬
kranke — zu den großartigsten Anstalten seiner Art überhaupt gehört. Die
Lage der Gebäude auf dem Kamme der Höhen zwischen der Altstadt und dem
Dorfe Se. Jürgen ist bezaubernd schön. Dieselben zerfallen in ein Männer- und
ein Frauenhaus, eine >Nebenanstalt für unruhige Kranke und ein Oekonomie-
gebäude, welches sich durch eine große, höchst zweckmäßig eingerichtete Dampf¬
küche auszeichnet. Die Kranken sind in drei Verpflegungsclassen eingetheilt,
welche verschiedene Preise zahlen. Da das Institut eine Landesanstalt für
Schleswig-Holstein ist, so sind diese Preise für Irre, die aus den Herzogthümern
eintreffen, nur 87, 160 und 320 Thaler, während das Ausland für dieselben
Classen 300, 600 und 1200 Mark, also ungefähr das Dreifache zu entrichten,
hat. Dänemark und Lauenburg aber sind in dieser Beziehung als zum Auslande
gehörig angesehen. Die Anstalt nimmt nicht nur heilbare Kranke aus, sondern
verpflegt auch unheilbare. Sie hat ein nicht unbeträchtliches eignes Vermögen.
Doch haben die Neubauten der letzten Jahre gegen hunderttausend Thaler ge¬
kostet. Die Freiheit ist auffallend wenig beschränkt, und da keine Mauern die
Gärten umgeben, so kommen bisweilen Entmeichungen vor. Drei Aerzte sind
mit der Aufsicht und Behandlung der Kranken betraut.

Wir besuchten zunächst das Haus der unruhigen Kranken, vor welchem
unfern in einer Art Hof mehre abscheulich verzerrte Gesichter zum Theil
dumpf brütend, zum Theil murrend und schimpfend umherstanden. Einer lag,
den Kopf in die Hände gestemmt, im Sande. Ein anderer forderte fluchend
seine Befreiung aus dem „Narrenkäfig". Ein dritter mit einem vollkommenen
Löwengesichte ging, die Hände auf den Rücken gebunden, mit hastigen Schritten
auf und ab. Es war ein Anblick, als ob man in einen Bärengarten hinab¬
sähe. Heiterer, wenn hier überhaupt von Heiterkeit zu reden erlaubt ist, wa¬
ren die Scenen, als der Assistenzarzt, nachdem er uns die Oekonomie gezeigt,
uns in die Zellen und Säle des Männerhauses führte. Gleich der erste Irre,
der uns begegnete, war ein lustiger Gesell, der uns die Hände schüttelte, un¬
serm Führer erzählte, daß er heute sehr fleißig gewesen und i 30,000 Ziegel
getragen, und schließlich — eine Bitte, die von den meisten gethan wurde,
sich als Belohnung dafür die Erlaubniß ausbat, nach Hause gehen zu dür¬
fen. Ein Stück davon schritt ein alter dänischer Offizier mit einer gewaltigen
Meerschaumpfeife gravitätisch hin und her. Er trug einen langen weißen Bart,
und aus der Brusttasche des bis zum Hals zugeknöpften Rockes hing als Ordens¬
zeichen ein Uhrgehänge mit rothen Kirschen. Mit barschem Ton forderte er,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/238>, abgerufen am 15.01.2025.