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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Der Dom hat die beiden Thürme, die ihn schmückten, verloren. Die übrigen
Gotteshäuser sind bis auf zwei abgebrochen. Von den fünf Schlössern ist
nur noch das alte Gottorp übrig. Die Hofhaltungen der Herzöge, die Bischöfe
mit ihren Capiteln sind längst verschwunden. Die Seichtheit der Schlei ge¬
stattet nur kleinen Schulter das Herauskommen bis zur Stadt, und so ist die¬
selbe einer der stillsten Orte in den Herzogtümern. Fabriken von Bedeutung
sind nicht vorhanden. Nur die starke Garnison bringt einiges Leben in die
Gassen, auf denen man oft Strecken von hundert Schritt von einer Biegung
bis zur andern gehen kann, ohne einer Seele zu begegnen und ohne einen
Laut zu vernehmen.

Die Lage Schleswigs dagegen ist ungemein anziehend. Aus drei Theilen,
der Altstadt, dem Lollsuß (das heißt: der Fußsteig zur Lollokapelle) und dem
Friedrichsberge bestehend, zieht es sich, im Rücken von sanften Hügeln über¬
ragt, vor sich grüne Wiesen und die himmelblaue Schlei, umgeben von Gärten
wie ein meilenlanges Hufeisen von rothen Dächern und weißen Mauern am
Wasser hin. Der Ausdruck "meilenlang" ist buchstäblich zu nehmen. Die
Stadt besteht bis auf die Lücke in ihrer Mitte, wo das Schloß Gottorp sich
erhebt, aus einer einzigen großen Straße, die nur in der Altstadt einige
Nebengassen hat, und erfreut sich infolge dessen einer Länge, welche der
Ausdehnung der Hauptdurchfahrten Londons fast gleich kommt. Einwohner
hat Schleswig zwischen elf- und zwölftausend, die sich jetzt, wo dem Orte der
Charakter der Hauptstadt^ und alle wichtigeren Beamten genommen sind, lediglich
von dem Verkehr mit den benachbarten wohlhabenden Landstrichen nähren.
Einst waren es Fürsten, dann ihre Statthalter und Diener, welche hier Wohl¬
stand verbreiteten, jetzt sind es die Bauern von Angeln und Schwansen, die,
in den letzten Jahrzehnten zu Reichthum gelangt und mit den Bedürfnissen
des Lurus bekannt geworden, die Hauptquelle des Verdienstes für die Bürger
Schleswigs bilden. Und man sieht es den saubern wohnlichen Häusern und
den behaglichen Haushaltungen der Stadt eben nicht an, daß der Wechsel
der Nahrungsquelle einen beträchtlichen Unterschied zwischen Einst und Jetzt
im Gefolge gehabt hätte.

Reizende Spaziergänge findet man hier allenthalben, wohin man den
Fuß wendet. Doch kann besonders auf die Allee auf der Kante der Hügel¬
reihe über dem Lollfuß, wo sich eine herrliche Fernsicht über die Schlei und
ihre Ufer gewinnen läßt, und auf die bezaubernd schönen Schattengänge unter
den Buchenwipfeln des Thiergartens aufmerksam gemacht werden. Ein gutes
Gesammtbild von Schleswig bietet sich von den Höhen über Haddeby.

Von den öffentlichen Gebäuden ist nur der Dom und das Schloß Got¬
torp sehenswerth. Unter den öffentlichen Anstalten verdient das Taubstummen¬
institut, noch mehr aber das große Irrenhaus einen Besuch.


Der Dom hat die beiden Thürme, die ihn schmückten, verloren. Die übrigen
Gotteshäuser sind bis auf zwei abgebrochen. Von den fünf Schlössern ist
nur noch das alte Gottorp übrig. Die Hofhaltungen der Herzöge, die Bischöfe
mit ihren Capiteln sind längst verschwunden. Die Seichtheit der Schlei ge¬
stattet nur kleinen Schulter das Herauskommen bis zur Stadt, und so ist die¬
selbe einer der stillsten Orte in den Herzogtümern. Fabriken von Bedeutung
sind nicht vorhanden. Nur die starke Garnison bringt einiges Leben in die
Gassen, auf denen man oft Strecken von hundert Schritt von einer Biegung
bis zur andern gehen kann, ohne einer Seele zu begegnen und ohne einen
Laut zu vernehmen.

Die Lage Schleswigs dagegen ist ungemein anziehend. Aus drei Theilen,
der Altstadt, dem Lollsuß (das heißt: der Fußsteig zur Lollokapelle) und dem
Friedrichsberge bestehend, zieht es sich, im Rücken von sanften Hügeln über¬
ragt, vor sich grüne Wiesen und die himmelblaue Schlei, umgeben von Gärten
wie ein meilenlanges Hufeisen von rothen Dächern und weißen Mauern am
Wasser hin. Der Ausdruck „meilenlang" ist buchstäblich zu nehmen. Die
Stadt besteht bis auf die Lücke in ihrer Mitte, wo das Schloß Gottorp sich
erhebt, aus einer einzigen großen Straße, die nur in der Altstadt einige
Nebengassen hat, und erfreut sich infolge dessen einer Länge, welche der
Ausdehnung der Hauptdurchfahrten Londons fast gleich kommt. Einwohner
hat Schleswig zwischen elf- und zwölftausend, die sich jetzt, wo dem Orte der
Charakter der Hauptstadt^ und alle wichtigeren Beamten genommen sind, lediglich
von dem Verkehr mit den benachbarten wohlhabenden Landstrichen nähren.
Einst waren es Fürsten, dann ihre Statthalter und Diener, welche hier Wohl¬
stand verbreiteten, jetzt sind es die Bauern von Angeln und Schwansen, die,
in den letzten Jahrzehnten zu Reichthum gelangt und mit den Bedürfnissen
des Lurus bekannt geworden, die Hauptquelle des Verdienstes für die Bürger
Schleswigs bilden. Und man sieht es den saubern wohnlichen Häusern und
den behaglichen Haushaltungen der Stadt eben nicht an, daß der Wechsel
der Nahrungsquelle einen beträchtlichen Unterschied zwischen Einst und Jetzt
im Gefolge gehabt hätte.

Reizende Spaziergänge findet man hier allenthalben, wohin man den
Fuß wendet. Doch kann besonders auf die Allee auf der Kante der Hügel¬
reihe über dem Lollfuß, wo sich eine herrliche Fernsicht über die Schlei und
ihre Ufer gewinnen läßt, und auf die bezaubernd schönen Schattengänge unter
den Buchenwipfeln des Thiergartens aufmerksam gemacht werden. Ein gutes
Gesammtbild von Schleswig bietet sich von den Höhen über Haddeby.

Von den öffentlichen Gebäuden ist nur der Dom und das Schloß Got¬
torp sehenswerth. Unter den öffentlichen Anstalten verdient das Taubstummen¬
institut, noch mehr aber das große Irrenhaus einen Besuch.


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[0236] Der Dom hat die beiden Thürme, die ihn schmückten, verloren. Die übrigen Gotteshäuser sind bis auf zwei abgebrochen. Von den fünf Schlössern ist nur noch das alte Gottorp übrig. Die Hofhaltungen der Herzöge, die Bischöfe mit ihren Capiteln sind längst verschwunden. Die Seichtheit der Schlei ge¬ stattet nur kleinen Schulter das Herauskommen bis zur Stadt, und so ist die¬ selbe einer der stillsten Orte in den Herzogtümern. Fabriken von Bedeutung sind nicht vorhanden. Nur die starke Garnison bringt einiges Leben in die Gassen, auf denen man oft Strecken von hundert Schritt von einer Biegung bis zur andern gehen kann, ohne einer Seele zu begegnen und ohne einen Laut zu vernehmen. Die Lage Schleswigs dagegen ist ungemein anziehend. Aus drei Theilen, der Altstadt, dem Lollsuß (das heißt: der Fußsteig zur Lollokapelle) und dem Friedrichsberge bestehend, zieht es sich, im Rücken von sanften Hügeln über¬ ragt, vor sich grüne Wiesen und die himmelblaue Schlei, umgeben von Gärten wie ein meilenlanges Hufeisen von rothen Dächern und weißen Mauern am Wasser hin. Der Ausdruck „meilenlang" ist buchstäblich zu nehmen. Die Stadt besteht bis auf die Lücke in ihrer Mitte, wo das Schloß Gottorp sich erhebt, aus einer einzigen großen Straße, die nur in der Altstadt einige Nebengassen hat, und erfreut sich infolge dessen einer Länge, welche der Ausdehnung der Hauptdurchfahrten Londons fast gleich kommt. Einwohner hat Schleswig zwischen elf- und zwölftausend, die sich jetzt, wo dem Orte der Charakter der Hauptstadt^ und alle wichtigeren Beamten genommen sind, lediglich von dem Verkehr mit den benachbarten wohlhabenden Landstrichen nähren. Einst waren es Fürsten, dann ihre Statthalter und Diener, welche hier Wohl¬ stand verbreiteten, jetzt sind es die Bauern von Angeln und Schwansen, die, in den letzten Jahrzehnten zu Reichthum gelangt und mit den Bedürfnissen des Lurus bekannt geworden, die Hauptquelle des Verdienstes für die Bürger Schleswigs bilden. Und man sieht es den saubern wohnlichen Häusern und den behaglichen Haushaltungen der Stadt eben nicht an, daß der Wechsel der Nahrungsquelle einen beträchtlichen Unterschied zwischen Einst und Jetzt im Gefolge gehabt hätte. Reizende Spaziergänge findet man hier allenthalben, wohin man den Fuß wendet. Doch kann besonders auf die Allee auf der Kante der Hügel¬ reihe über dem Lollfuß, wo sich eine herrliche Fernsicht über die Schlei und ihre Ufer gewinnen läßt, und auf die bezaubernd schönen Schattengänge unter den Buchenwipfeln des Thiergartens aufmerksam gemacht werden. Ein gutes Gesammtbild von Schleswig bietet sich von den Höhen über Haddeby. Von den öffentlichen Gebäuden ist nur der Dom und das Schloß Got¬ torp sehenswerth. Unter den öffentlichen Anstalten verdient das Taubstummen¬ institut, noch mehr aber das große Irrenhaus einen Besuch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/236>, abgerufen am 15.01.2025.