Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tern sich zu kleiden erlaubt war. Die Frauenzimmer wurden besonders streng
im Auge behalten und ihnen war verboten: "Alles Tragen von Blonden,
Fransen, Spitzen (Kanten) von Leinwand und Seide, ausgenommen an Hau¬
ben; alle durchbrochene Stickerei; alle Kleider von Flor; alle Garnirungen,
mit Ausnahmen derjenigen vom gleichen Stoffe des Kleides. Den Weibsper¬
sonen, sagte das Kleibermandat weiter, wird zwar, auf Zusehen hin, bewilligt,
die Haare zu frisiren, doch solle über die Frisuren nichts anderes, als ein ein¬
faches seidenes Band aufgeheftet werden mögen; folglich das Tragen der so¬
genannten Togquets, aller Federn und anderer Haarzierrathen gänzlich ver¬
boten sein." Ferner: "Das Tragen aller geschmelzter und in Miniatur ge¬
malter Arbeit von Conterfaitlenen oder anderer Vorstellungen." Den
Männern waren nicht nur alle Oberkleider von Seide oder Sammt, sondern
selbst die Futter von dergleichen Stoffen verboten; ferner alle Gold- und Sil¬
berstoffe und Bordirungen, alle gallonirten oder gestickten Pferdedecken und
Schabraken, ausgenommen an den Quartiermusterungen, und beiden Geschlech¬
tern ganz besonders und bei 30 Pfund Buße das Tragen aller ächten oder
nachgemachten Juwelen. Das von der' Negierung aufgestellte Tribunal,
welches diese Gesetze abfaßte und zu handhaben beauftragt war, hieß die Re¬
formation. Indeß erstreckte die Gewalt der Reformation sich nicht über die Gren¬
zen des Cantons hinaus, obgleich sie in einem eigenen Artikel der Mandate
dieselbe auch auf diejenigen Züricher ausdehnen wollte, welche sich in der
übrigen Eidgenossenschaft und besonders in Baden aufhielten. Allein hier ließ
man sich nichts vorschreiben und entschädigte sich für allen Zwang, indem man
sich gerade mit demjenigen vorzüglich behing, was bei Hause verboten war.
Manche hoffärtige Herren und Damen schafften sich, für eine Badenfahrt von
wenigen Wochen, Gegenstände des Lurus an, die ihnen das ganze übrige
Jahr unnütz waren, und prunkten damit, den etwa anwesenden Reformatoren
zum Trotz. Gallonirte Kleider, welche einst in der Fremde gedient hatten,
kamen aus den Schränken, worin sie seit Jahren unbenutzt verwahrt gewesen,
hier wieder an das Tageslicht. Die wenigen von den Aeltermüttern geerbten
Juwelen wurden aus ihren Futteralen gezogen, Ohren, Hals und Brust damit
geschmückt, und beim zierlichen Anfassen der Kaffeetasse der kleine Finger mög¬
lichst ausgestreckt, um den, mit Smaragden, Rubinen oder gar mit einem
strahlenden Diamant versehenen Ring recht sichtbar'in die Augen spielen zu
lassen. Im größten Galla zogen die, wie Altäre aufgeputzten Gestalten, in
den schmutzigen Höfen und Gängen umher, bewunderten und ließen sich be¬
wundern und kamen damals, um ihren Staat nicht zu verderben, in dieser
herrlichen Gegend selten weiter, als aus die Matte oder bis in die Comödie.
Es war eine steife, verschnörkelte Zeit! Daß junge Leute beiderlei Geschlechts,
oft zusammen, bis tief in die Nacht hinein, vielleicht mehr tanzten, als heut


tern sich zu kleiden erlaubt war. Die Frauenzimmer wurden besonders streng
im Auge behalten und ihnen war verboten: „Alles Tragen von Blonden,
Fransen, Spitzen (Kanten) von Leinwand und Seide, ausgenommen an Hau¬
ben; alle durchbrochene Stickerei; alle Kleider von Flor; alle Garnirungen,
mit Ausnahmen derjenigen vom gleichen Stoffe des Kleides. Den Weibsper¬
sonen, sagte das Kleibermandat weiter, wird zwar, auf Zusehen hin, bewilligt,
die Haare zu frisiren, doch solle über die Frisuren nichts anderes, als ein ein¬
faches seidenes Band aufgeheftet werden mögen; folglich das Tragen der so¬
genannten Togquets, aller Federn und anderer Haarzierrathen gänzlich ver¬
boten sein." Ferner: „Das Tragen aller geschmelzter und in Miniatur ge¬
malter Arbeit von Conterfaitlenen oder anderer Vorstellungen." Den
Männern waren nicht nur alle Oberkleider von Seide oder Sammt, sondern
selbst die Futter von dergleichen Stoffen verboten; ferner alle Gold- und Sil¬
berstoffe und Bordirungen, alle gallonirten oder gestickten Pferdedecken und
Schabraken, ausgenommen an den Quartiermusterungen, und beiden Geschlech¬
tern ganz besonders und bei 30 Pfund Buße das Tragen aller ächten oder
nachgemachten Juwelen. Das von der' Negierung aufgestellte Tribunal,
welches diese Gesetze abfaßte und zu handhaben beauftragt war, hieß die Re¬
formation. Indeß erstreckte die Gewalt der Reformation sich nicht über die Gren¬
zen des Cantons hinaus, obgleich sie in einem eigenen Artikel der Mandate
dieselbe auch auf diejenigen Züricher ausdehnen wollte, welche sich in der
übrigen Eidgenossenschaft und besonders in Baden aufhielten. Allein hier ließ
man sich nichts vorschreiben und entschädigte sich für allen Zwang, indem man
sich gerade mit demjenigen vorzüglich behing, was bei Hause verboten war.
Manche hoffärtige Herren und Damen schafften sich, für eine Badenfahrt von
wenigen Wochen, Gegenstände des Lurus an, die ihnen das ganze übrige
Jahr unnütz waren, und prunkten damit, den etwa anwesenden Reformatoren
zum Trotz. Gallonirte Kleider, welche einst in der Fremde gedient hatten,
kamen aus den Schränken, worin sie seit Jahren unbenutzt verwahrt gewesen,
hier wieder an das Tageslicht. Die wenigen von den Aeltermüttern geerbten
Juwelen wurden aus ihren Futteralen gezogen, Ohren, Hals und Brust damit
geschmückt, und beim zierlichen Anfassen der Kaffeetasse der kleine Finger mög¬
lichst ausgestreckt, um den, mit Smaragden, Rubinen oder gar mit einem
strahlenden Diamant versehenen Ring recht sichtbar'in die Augen spielen zu
lassen. Im größten Galla zogen die, wie Altäre aufgeputzten Gestalten, in
den schmutzigen Höfen und Gängen umher, bewunderten und ließen sich be¬
wundern und kamen damals, um ihren Staat nicht zu verderben, in dieser
herrlichen Gegend selten weiter, als aus die Matte oder bis in die Comödie.
Es war eine steife, verschnörkelte Zeit! Daß junge Leute beiderlei Geschlechts,
oft zusammen, bis tief in die Nacht hinein, vielleicht mehr tanzten, als heut


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100676"/>
            <p xml:id="ID_623" prev="#ID_622" next="#ID_624"> tern sich zu kleiden erlaubt war. Die Frauenzimmer wurden besonders streng<lb/>
im Auge behalten und ihnen war verboten: &#x201E;Alles Tragen von Blonden,<lb/>
Fransen, Spitzen (Kanten) von Leinwand und Seide, ausgenommen an Hau¬<lb/>
ben; alle durchbrochene Stickerei; alle Kleider von Flor; alle Garnirungen,<lb/>
mit Ausnahmen derjenigen vom gleichen Stoffe des Kleides. Den Weibsper¬<lb/>
sonen, sagte das Kleibermandat weiter, wird zwar, auf Zusehen hin, bewilligt,<lb/>
die Haare zu frisiren, doch solle über die Frisuren nichts anderes, als ein ein¬<lb/>
faches seidenes Band aufgeheftet werden mögen; folglich das Tragen der so¬<lb/>
genannten Togquets, aller Federn und anderer Haarzierrathen gänzlich ver¬<lb/>
boten sein."  Ferner: &#x201E;Das Tragen aller geschmelzter und in Miniatur ge¬<lb/>
malter Arbeit von Conterfaitlenen oder anderer Vorstellungen." Den<lb/>
Männern waren nicht nur alle Oberkleider von Seide oder Sammt, sondern<lb/>
selbst die Futter von dergleichen Stoffen verboten; ferner alle Gold- und Sil¬<lb/>
berstoffe und Bordirungen, alle gallonirten oder gestickten Pferdedecken und<lb/>
Schabraken, ausgenommen an den Quartiermusterungen, und beiden Geschlech¬<lb/>
tern ganz besonders und bei 30 Pfund Buße das Tragen aller ächten oder<lb/>
nachgemachten Juwelen.  Das von der' Negierung aufgestellte Tribunal,<lb/>
welches diese Gesetze abfaßte und zu handhaben beauftragt war, hieß die Re¬<lb/>
formation. Indeß erstreckte die Gewalt der Reformation sich nicht über die Gren¬<lb/>
zen des Cantons hinaus, obgleich sie in einem eigenen Artikel der Mandate<lb/>
dieselbe auch auf diejenigen Züricher ausdehnen wollte, welche sich in der<lb/>
übrigen Eidgenossenschaft und besonders in Baden aufhielten. Allein hier ließ<lb/>
man sich nichts vorschreiben und entschädigte sich für allen Zwang, indem man<lb/>
sich gerade mit demjenigen vorzüglich behing, was bei Hause verboten war.<lb/>
Manche hoffärtige Herren und Damen schafften sich, für eine Badenfahrt von<lb/>
wenigen Wochen, Gegenstände des Lurus an, die ihnen das ganze übrige<lb/>
Jahr unnütz waren, und prunkten damit, den etwa anwesenden Reformatoren<lb/>
zum Trotz.  Gallonirte Kleider, welche einst in der Fremde gedient hatten,<lb/>
kamen aus den Schränken, worin sie seit Jahren unbenutzt verwahrt gewesen,<lb/>
hier wieder an das Tageslicht.  Die wenigen von den Aeltermüttern geerbten<lb/>
Juwelen wurden aus ihren Futteralen gezogen, Ohren, Hals und Brust damit<lb/>
geschmückt, und beim zierlichen Anfassen der Kaffeetasse der kleine Finger mög¬<lb/>
lichst ausgestreckt, um den, mit Smaragden, Rubinen oder gar mit einem<lb/>
strahlenden Diamant versehenen Ring recht sichtbar'in die Augen spielen zu<lb/>
lassen.  Im größten Galla zogen die, wie Altäre aufgeputzten Gestalten, in<lb/>
den schmutzigen Höfen und Gängen umher, bewunderten und ließen sich be¬<lb/>
wundern und kamen damals, um ihren Staat nicht zu verderben, in dieser<lb/>
herrlichen Gegend selten weiter, als aus die Matte oder bis in die Comödie.<lb/>
Es war eine steife, verschnörkelte Zeit! Daß junge Leute beiderlei Geschlechts,<lb/>
oft zusammen, bis tief in die Nacht hinein, vielleicht mehr tanzten, als heut</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] tern sich zu kleiden erlaubt war. Die Frauenzimmer wurden besonders streng im Auge behalten und ihnen war verboten: „Alles Tragen von Blonden, Fransen, Spitzen (Kanten) von Leinwand und Seide, ausgenommen an Hau¬ ben; alle durchbrochene Stickerei; alle Kleider von Flor; alle Garnirungen, mit Ausnahmen derjenigen vom gleichen Stoffe des Kleides. Den Weibsper¬ sonen, sagte das Kleibermandat weiter, wird zwar, auf Zusehen hin, bewilligt, die Haare zu frisiren, doch solle über die Frisuren nichts anderes, als ein ein¬ faches seidenes Band aufgeheftet werden mögen; folglich das Tragen der so¬ genannten Togquets, aller Federn und anderer Haarzierrathen gänzlich ver¬ boten sein." Ferner: „Das Tragen aller geschmelzter und in Miniatur ge¬ malter Arbeit von Conterfaitlenen oder anderer Vorstellungen." Den Männern waren nicht nur alle Oberkleider von Seide oder Sammt, sondern selbst die Futter von dergleichen Stoffen verboten; ferner alle Gold- und Sil¬ berstoffe und Bordirungen, alle gallonirten oder gestickten Pferdedecken und Schabraken, ausgenommen an den Quartiermusterungen, und beiden Geschlech¬ tern ganz besonders und bei 30 Pfund Buße das Tragen aller ächten oder nachgemachten Juwelen. Das von der' Negierung aufgestellte Tribunal, welches diese Gesetze abfaßte und zu handhaben beauftragt war, hieß die Re¬ formation. Indeß erstreckte die Gewalt der Reformation sich nicht über die Gren¬ zen des Cantons hinaus, obgleich sie in einem eigenen Artikel der Mandate dieselbe auch auf diejenigen Züricher ausdehnen wollte, welche sich in der übrigen Eidgenossenschaft und besonders in Baden aufhielten. Allein hier ließ man sich nichts vorschreiben und entschädigte sich für allen Zwang, indem man sich gerade mit demjenigen vorzüglich behing, was bei Hause verboten war. Manche hoffärtige Herren und Damen schafften sich, für eine Badenfahrt von wenigen Wochen, Gegenstände des Lurus an, die ihnen das ganze übrige Jahr unnütz waren, und prunkten damit, den etwa anwesenden Reformatoren zum Trotz. Gallonirte Kleider, welche einst in der Fremde gedient hatten, kamen aus den Schränken, worin sie seit Jahren unbenutzt verwahrt gewesen, hier wieder an das Tageslicht. Die wenigen von den Aeltermüttern geerbten Juwelen wurden aus ihren Futteralen gezogen, Ohren, Hals und Brust damit geschmückt, und beim zierlichen Anfassen der Kaffeetasse der kleine Finger mög¬ lichst ausgestreckt, um den, mit Smaragden, Rubinen oder gar mit einem strahlenden Diamant versehenen Ring recht sichtbar'in die Augen spielen zu lassen. Im größten Galla zogen die, wie Altäre aufgeputzten Gestalten, in den schmutzigen Höfen und Gängen umher, bewunderten und ließen sich be¬ wundern und kamen damals, um ihren Staat nicht zu verderben, in dieser herrlichen Gegend selten weiter, als aus die Matte oder bis in die Comödie. Es war eine steife, verschnörkelte Zeit! Daß junge Leute beiderlei Geschlechts, oft zusammen, bis tief in die Nacht hinein, vielleicht mehr tanzten, als heut

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/222>, abgerufen am 03.07.2024.