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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Gelegenheit nach Möglichkeit zu benutzen. Ist der französische Gesandte nicht
in Baden und hält er nicht offne Tafel, so ist das Amüsement nicht eben groß.
Jeder Schweizer, von einiger Bedeutung, war so gewöhnt, alljährlich zu Baden
bei den Gesandten gute Ma-Hlzeiten zu halten, daß man sehr mißvergnügt die
Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht. Die Mütter erzählen ihren Töch¬
tern von dem Vergnügen, was man in früherer Zeit zu Baden hatte, und die
jungen Mädchen werden dadurch angespornt, auch sich einiges davon zu ver¬
schaffen. Sie arbeiten mit besten Kräften darauf los und die fremden Kavaliere,
welche die Einfalt dieser jungen Bürgerinnen aus den besten Häusern der
Nachbarstädte zu benutzen wissen, stehn sich gut dabei. Denn es sind Töchter
von Magistratspersonen, denen die Mittel nicht fehlen, in Baden zu ver¬
schwenden, und ihre Heirathen mit Söhnen ihres Landes sind sogut wie ab¬
gemacht, mit solchen, welche auf Staatsstellen speculiren, deren Ertheilung
häufig von den Vätern dieser Mädchen abhängt; so kommt es, daß die
kleinen Galanterien im Bade keine Störung in die Verabredungen bringen,
welche über ihre Verheirathung getroffen sind." --

"Der Minister erwies uns die Ehre einer Einladung, er lud uns zu einem
Essen mit mehrern Damen. Unter andern waren zwei Mademoisellen S-- aus
Schaffhausen dort, Töchter von guter Familie. Die eine hat mehr als einen
Cavalier verwundet. Man unterhielt sich an diesem Tage sehr gut, ja man
gewann sogar silbernes Tafelgeschirr in einer Lotterie. Der Gesandte fand
Mademoiselle S. reizend und hielt sie fast den ganzen Ballabend auf seinen
Knien, obgleich er noch am Fuße litt. Der Tanz hatte bei den Demoisellen
eine Wirkung, welche sehr in Erstaunen setzte. Sie hatten tüchtig getanzt,
folglich waren sie sehr warm geworden, da spazierten die Läuse an den Locken
ihrer schönen'Haare herunter. Das war ein wenig unangenehm. Die Mäd¬
chen hatten aber eine so schöne Haut, daß man sich ein Vergnügen daraus
machte, ihnen das Gewürm zu entfernen, sobald etwas davon zum Vorschein
kam. Die Quellen von Baden erzeugen dergleichen bei jungen Personen.
Auch setzen die Deutschen Puder auf Puder, ohne sich jeden Tag gründlich zu
kämmen." --

Diese Demoisellen waren nicht die einzigen Schönheiten dieses zufälligen
Balls, es waren sehr schöne Frauen mit ihren Männern und Anbetern dort.
Auch die Züricher Damen wären gern dabei gewesen, aber ihnen war nicht
erlaubt das Haus des französischen Gesandten zu besuchen, weil ihr Condor
der Erneurung des Bündnisses mit dem Könige feindlich war; ja es war für
einen Züricher ein Verbrechen auch nur das Hotel von Frankreich zu betreten.
Deshalb gingen ihre Frauen und Töchter nur in den Gärten des Gesandten
spazieren, dieser verfehlte nicht, sich ebendaselbst in einem Lehnstuhle nieder¬
zulassen, aus Rechnung seines Fußleidens. Jede Eintretende kam ihm eine


Gelegenheit nach Möglichkeit zu benutzen. Ist der französische Gesandte nicht
in Baden und hält er nicht offne Tafel, so ist das Amüsement nicht eben groß.
Jeder Schweizer, von einiger Bedeutung, war so gewöhnt, alljährlich zu Baden
bei den Gesandten gute Ma-Hlzeiten zu halten, daß man sehr mißvergnügt die
Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht. Die Mütter erzählen ihren Töch¬
tern von dem Vergnügen, was man in früherer Zeit zu Baden hatte, und die
jungen Mädchen werden dadurch angespornt, auch sich einiges davon zu ver¬
schaffen. Sie arbeiten mit besten Kräften darauf los und die fremden Kavaliere,
welche die Einfalt dieser jungen Bürgerinnen aus den besten Häusern der
Nachbarstädte zu benutzen wissen, stehn sich gut dabei. Denn es sind Töchter
von Magistratspersonen, denen die Mittel nicht fehlen, in Baden zu ver¬
schwenden, und ihre Heirathen mit Söhnen ihres Landes sind sogut wie ab¬
gemacht, mit solchen, welche auf Staatsstellen speculiren, deren Ertheilung
häufig von den Vätern dieser Mädchen abhängt; so kommt es, daß die
kleinen Galanterien im Bade keine Störung in die Verabredungen bringen,
welche über ihre Verheirathung getroffen sind." —

„Der Minister erwies uns die Ehre einer Einladung, er lud uns zu einem
Essen mit mehrern Damen. Unter andern waren zwei Mademoisellen S— aus
Schaffhausen dort, Töchter von guter Familie. Die eine hat mehr als einen
Cavalier verwundet. Man unterhielt sich an diesem Tage sehr gut, ja man
gewann sogar silbernes Tafelgeschirr in einer Lotterie. Der Gesandte fand
Mademoiselle S. reizend und hielt sie fast den ganzen Ballabend auf seinen
Knien, obgleich er noch am Fuße litt. Der Tanz hatte bei den Demoisellen
eine Wirkung, welche sehr in Erstaunen setzte. Sie hatten tüchtig getanzt,
folglich waren sie sehr warm geworden, da spazierten die Läuse an den Locken
ihrer schönen'Haare herunter. Das war ein wenig unangenehm. Die Mäd¬
chen hatten aber eine so schöne Haut, daß man sich ein Vergnügen daraus
machte, ihnen das Gewürm zu entfernen, sobald etwas davon zum Vorschein
kam. Die Quellen von Baden erzeugen dergleichen bei jungen Personen.
Auch setzen die Deutschen Puder auf Puder, ohne sich jeden Tag gründlich zu
kämmen." —

Diese Demoisellen waren nicht die einzigen Schönheiten dieses zufälligen
Balls, es waren sehr schöne Frauen mit ihren Männern und Anbetern dort.
Auch die Züricher Damen wären gern dabei gewesen, aber ihnen war nicht
erlaubt das Haus des französischen Gesandten zu besuchen, weil ihr Condor
der Erneurung des Bündnisses mit dem Könige feindlich war; ja es war für
einen Züricher ein Verbrechen auch nur das Hotel von Frankreich zu betreten.
Deshalb gingen ihre Frauen und Töchter nur in den Gärten des Gesandten
spazieren, dieser verfehlte nicht, sich ebendaselbst in einem Lehnstuhle nieder¬
zulassen, aus Rechnung seines Fußleidens. Jede Eintretende kam ihm eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/220>, abgerufen am 25.08.2024.