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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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gel an sicherem Selbstgefühl, Nachäfferei des Fremden, zumal französischer
Sitte. Wieder wird die Genußsucht in den Bädern zur Liederlichkeit. Aber
selbst diese ist verschieden von dem frivolen, übermüthigen Treiben im Is. Jahr¬
hundert. Der Bürger macht es sich jetzt zur Ehre,'sich vor dem abenteuerlichen
Cavalier aus der Fremde zu verneigen und seinen Schmarozer zu machen,
auch die Koketterie der Frauen ist zudringlicher und gemeiner geworden, und
die ziemlich unverschleierten Verhältnisse mit fremden Badegästen zeigen" ein
leeres Herz und zu oft einen großen Mangel an Scham. Auch aus dieser
Zeit ist ein charakteristischer Bericht über dies berühmte Bad von einem leicht¬
fertigen Franzosen, de Merveilleur, aus einem Zweig der deutschen Familie
Wunderlich erhalten (^mussmens usf ZZains Ah lZs,6"z, sie. London 1739).

Badeleben am Ende des 17. Jahrhunderts. "Man hatte
uns viel von dem glänzenden Auftreten des französischen Gesandten zu
Baden während der schweizer Tagsatzung*) erzählt und wir hofften einen
Fürstenhof zu finden, aber der gegenwärtige Gesandte gleicht in nichts seinen
Vorgängern. Er hat keinen Pagen, -- der Graf de Luc hatte sechs,
wie man mir sagte, ebensoviel Secretäre und ebensoviel Kammerjunker. Der
jetzige hat Secretäre, die, wie man versichert, Bediente gewesen sind und
keine Kammerjunker. Seine Vorgänger hielten offene Tafel von SO Cou-
verts mit drei Gängen, und speisten so alle Morgen und Abende, um den
Schweizern Ehre zu erweisen. Der jetzige läßt seine Tafel zu einer
Art Gabelfrühstück (Ambigu) decken: Suppe, Braten, Zwischengericht, Nach¬
tisch; einmal wie das andre, man ißt dort nichts Gutes und nichts Warmes.
Für eine Schüssel von Silber würde man sechs von seinem Zinn geben. Die
Fremden und die Sweizer scheinen damit nicht zufrieden. Aber was kümmert
das uns! Wir leben mit unsren Bernerinnen und speisen vortrefflich. Sie
möchten sich gern einige Lieblinge des Bachus aus ihrer Stadt vom Halse
schaffen, worunter der Sohn eines Abgeordneten ist, wir werden versuchen,
diese loszuwerden, wenn wir können."

"Wir kommen wenig nach der Stadt, alles was hier Distinction hat, geht auf
die Promenade, wo man sich gut unterhält. Da manche Städte der Schweiz
Moden haben, welche den französischen gar nicht ähnlich sind, wie die Tracht
der Frauen von Basel, Luzern, Zürich und aus andern entfernteren Cantonen,
so erhält man den Eindruck einer recht fröhlichen Maskerade, wenn alle Bade¬
gäste zum Tanz versammelt sind. Die Schweizer, Männer und Frauen, sind
sehr der Galanterie ergeben. Die Frauen von Zürich haben fast gar keine
Gelegenheit sich zu amüsiren, als die Badezeit zu Baden, und sie wissen diese



") Die Tagsatzung wurde damals zu Baden gehalten, weil die fremden Diplomaten sich
dort am besten unterhielten.
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gel an sicherem Selbstgefühl, Nachäfferei des Fremden, zumal französischer
Sitte. Wieder wird die Genußsucht in den Bädern zur Liederlichkeit. Aber
selbst diese ist verschieden von dem frivolen, übermüthigen Treiben im Is. Jahr¬
hundert. Der Bürger macht es sich jetzt zur Ehre,'sich vor dem abenteuerlichen
Cavalier aus der Fremde zu verneigen und seinen Schmarozer zu machen,
auch die Koketterie der Frauen ist zudringlicher und gemeiner geworden, und
die ziemlich unverschleierten Verhältnisse mit fremden Badegästen zeigen" ein
leeres Herz und zu oft einen großen Mangel an Scham. Auch aus dieser
Zeit ist ein charakteristischer Bericht über dies berühmte Bad von einem leicht¬
fertigen Franzosen, de Merveilleur, aus einem Zweig der deutschen Familie
Wunderlich erhalten (^mussmens usf ZZains Ah lZs,6«z, sie. London 1739).

Badeleben am Ende des 17. Jahrhunderts. „Man hatte
uns viel von dem glänzenden Auftreten des französischen Gesandten zu
Baden während der schweizer Tagsatzung*) erzählt und wir hofften einen
Fürstenhof zu finden, aber der gegenwärtige Gesandte gleicht in nichts seinen
Vorgängern. Er hat keinen Pagen, — der Graf de Luc hatte sechs,
wie man mir sagte, ebensoviel Secretäre und ebensoviel Kammerjunker. Der
jetzige hat Secretäre, die, wie man versichert, Bediente gewesen sind und
keine Kammerjunker. Seine Vorgänger hielten offene Tafel von SO Cou-
verts mit drei Gängen, und speisten so alle Morgen und Abende, um den
Schweizern Ehre zu erweisen. Der jetzige läßt seine Tafel zu einer
Art Gabelfrühstück (Ambigu) decken: Suppe, Braten, Zwischengericht, Nach¬
tisch; einmal wie das andre, man ißt dort nichts Gutes und nichts Warmes.
Für eine Schüssel von Silber würde man sechs von seinem Zinn geben. Die
Fremden und die Sweizer scheinen damit nicht zufrieden. Aber was kümmert
das uns! Wir leben mit unsren Bernerinnen und speisen vortrefflich. Sie
möchten sich gern einige Lieblinge des Bachus aus ihrer Stadt vom Halse
schaffen, worunter der Sohn eines Abgeordneten ist, wir werden versuchen,
diese loszuwerden, wenn wir können."

„Wir kommen wenig nach der Stadt, alles was hier Distinction hat, geht auf
die Promenade, wo man sich gut unterhält. Da manche Städte der Schweiz
Moden haben, welche den französischen gar nicht ähnlich sind, wie die Tracht
der Frauen von Basel, Luzern, Zürich und aus andern entfernteren Cantonen,
so erhält man den Eindruck einer recht fröhlichen Maskerade, wenn alle Bade¬
gäste zum Tanz versammelt sind. Die Schweizer, Männer und Frauen, sind
sehr der Galanterie ergeben. Die Frauen von Zürich haben fast gar keine
Gelegenheit sich zu amüsiren, als die Badezeit zu Baden, und sie wissen diese



") Die Tagsatzung wurde damals zu Baden gehalten, weil die fremden Diplomaten sich
dort am besten unterhielten.
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[0219] gel an sicherem Selbstgefühl, Nachäfferei des Fremden, zumal französischer Sitte. Wieder wird die Genußsucht in den Bädern zur Liederlichkeit. Aber selbst diese ist verschieden von dem frivolen, übermüthigen Treiben im Is. Jahr¬ hundert. Der Bürger macht es sich jetzt zur Ehre,'sich vor dem abenteuerlichen Cavalier aus der Fremde zu verneigen und seinen Schmarozer zu machen, auch die Koketterie der Frauen ist zudringlicher und gemeiner geworden, und die ziemlich unverschleierten Verhältnisse mit fremden Badegästen zeigen" ein leeres Herz und zu oft einen großen Mangel an Scham. Auch aus dieser Zeit ist ein charakteristischer Bericht über dies berühmte Bad von einem leicht¬ fertigen Franzosen, de Merveilleur, aus einem Zweig der deutschen Familie Wunderlich erhalten (^mussmens usf ZZains Ah lZs,6«z, sie. London 1739). Badeleben am Ende des 17. Jahrhunderts. „Man hatte uns viel von dem glänzenden Auftreten des französischen Gesandten zu Baden während der schweizer Tagsatzung*) erzählt und wir hofften einen Fürstenhof zu finden, aber der gegenwärtige Gesandte gleicht in nichts seinen Vorgängern. Er hat keinen Pagen, — der Graf de Luc hatte sechs, wie man mir sagte, ebensoviel Secretäre und ebensoviel Kammerjunker. Der jetzige hat Secretäre, die, wie man versichert, Bediente gewesen sind und keine Kammerjunker. Seine Vorgänger hielten offene Tafel von SO Cou- verts mit drei Gängen, und speisten so alle Morgen und Abende, um den Schweizern Ehre zu erweisen. Der jetzige läßt seine Tafel zu einer Art Gabelfrühstück (Ambigu) decken: Suppe, Braten, Zwischengericht, Nach¬ tisch; einmal wie das andre, man ißt dort nichts Gutes und nichts Warmes. Für eine Schüssel von Silber würde man sechs von seinem Zinn geben. Die Fremden und die Sweizer scheinen damit nicht zufrieden. Aber was kümmert das uns! Wir leben mit unsren Bernerinnen und speisen vortrefflich. Sie möchten sich gern einige Lieblinge des Bachus aus ihrer Stadt vom Halse schaffen, worunter der Sohn eines Abgeordneten ist, wir werden versuchen, diese loszuwerden, wenn wir können." „Wir kommen wenig nach der Stadt, alles was hier Distinction hat, geht auf die Promenade, wo man sich gut unterhält. Da manche Städte der Schweiz Moden haben, welche den französischen gar nicht ähnlich sind, wie die Tracht der Frauen von Basel, Luzern, Zürich und aus andern entfernteren Cantonen, so erhält man den Eindruck einer recht fröhlichen Maskerade, wenn alle Bade¬ gäste zum Tanz versammelt sind. Die Schweizer, Männer und Frauen, sind sehr der Galanterie ergeben. Die Frauen von Zürich haben fast gar keine Gelegenheit sich zu amüsiren, als die Badezeit zu Baden, und sie wissen diese ") Die Tagsatzung wurde damals zu Baden gehalten, weil die fremden Diplomaten sich dort am besten unterhielten. 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/219>, abgerufen am 25.08.2024.