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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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einandergeftssen und mancherlei Sachen miteinander gesprochen, siehe da kommt
mein guter alter Lochmann als ein alter einfältiger Eidgenoß daher, wünscht dem
Fürsten einen guten Tag, watet mit Stiefeln und Sporn durch das Bad und
bietet dem Fürsten die Hand. Ich bemerkte, daß sich der Fürst etwas entfärbte.
Darauf trat der Bannerherr zurück und bat den Fürsten, ihm zu verzeihen,
denn es sei aus guter Meinung geschehen, er müsse seiner Obrigkeit von der
Milde und Freundlichkeit des Fürsten erzählen können. Da hat der Fürst, als
ein weiser, wohlberedeter Herr, zuerst der Obrigkeit des Bannerherrn, alsdann
auch ihm wegen der Präsentation gedankt, sich auch den Zürchern zu aller
Gnade entboten. So hat er ihm auch diese Dreistigkeit verziehen, die aus
frommem, treuherzigem Gemüth gekommen, und hat ihm einen großen Becher
Wein auf gute Freundschaft ausgebracht. Den Becher habe ich von dem Fürsten
empfangen und dem Bannerherrn dargereicht, welcher dem Fürsten Bescheid
that und den Becher auf mich ausbrachte. Er ist darauf ganz demüthig und
fröhlich von dem Fürsten geschieden." --

So lautet die Erzählung des klugen Pantaleon. Zwar ist er kein Frem¬
der, der unbefangen und neugierig fremde Sitten schildert und wol mag es
ihm am Herzen gelegen haben, ein freundliches Bild vom Leben im Bade zu
entwerfen. Aber wie seine Persönlichkeit und Auffassung sich von der des
Jtalieners unterscheidet, wenigstens ebensosehr hat sich im Jahrhundert der Re¬
formation die Physiognomie des Bades geändert. Ein größrer Ernst des
Lebens, das Gebet, eine organisirte Selbstpolizei, sind nicht zu verkennen. Zu¬
mal die letztere, in damaliger Zeit eine allgemein deutsche Erscheinung, ver¬
dient Beachtung. Wo die Deutschen sich außerhalb der schützenden Ordnung
ihrer Heimath zu längerem Zusammensein vereinigten, ist eine ihrer ersten
Thätigkeiten, sich selbst eine Ordnung zu geben und ein Gericht aus ihres
Gleichen zu bestellen; so bei Pilgerfahrten, auf der See, Landsleute in fremden
Städten, ganz ähnlich, wie hier im Bade. In einem der nächsten Hefte
d. Bl. soll dieselbe männliche Gewohnheit und ihr Ceremonie! aus den Meer¬
fahrten genauer dargestellt werden. Uns ist wenig von dieser Fertigkeit unsrer
Väter geblieben. -- Noch sei bemerkt, daß die Badegeschenke, welche im
16. Jahrhundert den Badereisenden dargebracht wurden, während jetzt die Zurück¬
bleibenden beschenkt werden, zu einer so ausschweifenden Höhe durch Ambition
und Lurus emporgetrieben wurden, daß die Regierungen öfter mit Ernst da¬
gegen einschritten.

In dem Jahrhundert des dreißigjährigen Krieges und Ludwigs XIV. ging
vieles von dem verloren, was als Folge der Reformation auch in den Bädern
sichtbar geworden war, Ernst und politischer Sinn der Männer, Frömmigkeit
der Frauen. Wie Deutschland, so verkümmert auch die Schweiz. Ein
engherziges, tyrannisches Patricierregiment, unter den Gehorchenden Man-


einandergeftssen und mancherlei Sachen miteinander gesprochen, siehe da kommt
mein guter alter Lochmann als ein alter einfältiger Eidgenoß daher, wünscht dem
Fürsten einen guten Tag, watet mit Stiefeln und Sporn durch das Bad und
bietet dem Fürsten die Hand. Ich bemerkte, daß sich der Fürst etwas entfärbte.
Darauf trat der Bannerherr zurück und bat den Fürsten, ihm zu verzeihen,
denn es sei aus guter Meinung geschehen, er müsse seiner Obrigkeit von der
Milde und Freundlichkeit des Fürsten erzählen können. Da hat der Fürst, als
ein weiser, wohlberedeter Herr, zuerst der Obrigkeit des Bannerherrn, alsdann
auch ihm wegen der Präsentation gedankt, sich auch den Zürchern zu aller
Gnade entboten. So hat er ihm auch diese Dreistigkeit verziehen, die aus
frommem, treuherzigem Gemüth gekommen, und hat ihm einen großen Becher
Wein auf gute Freundschaft ausgebracht. Den Becher habe ich von dem Fürsten
empfangen und dem Bannerherrn dargereicht, welcher dem Fürsten Bescheid
that und den Becher auf mich ausbrachte. Er ist darauf ganz demüthig und
fröhlich von dem Fürsten geschieden." —

So lautet die Erzählung des klugen Pantaleon. Zwar ist er kein Frem¬
der, der unbefangen und neugierig fremde Sitten schildert und wol mag es
ihm am Herzen gelegen haben, ein freundliches Bild vom Leben im Bade zu
entwerfen. Aber wie seine Persönlichkeit und Auffassung sich von der des
Jtalieners unterscheidet, wenigstens ebensosehr hat sich im Jahrhundert der Re¬
formation die Physiognomie des Bades geändert. Ein größrer Ernst des
Lebens, das Gebet, eine organisirte Selbstpolizei, sind nicht zu verkennen. Zu¬
mal die letztere, in damaliger Zeit eine allgemein deutsche Erscheinung, ver¬
dient Beachtung. Wo die Deutschen sich außerhalb der schützenden Ordnung
ihrer Heimath zu längerem Zusammensein vereinigten, ist eine ihrer ersten
Thätigkeiten, sich selbst eine Ordnung zu geben und ein Gericht aus ihres
Gleichen zu bestellen; so bei Pilgerfahrten, auf der See, Landsleute in fremden
Städten, ganz ähnlich, wie hier im Bade. In einem der nächsten Hefte
d. Bl. soll dieselbe männliche Gewohnheit und ihr Ceremonie! aus den Meer¬
fahrten genauer dargestellt werden. Uns ist wenig von dieser Fertigkeit unsrer
Väter geblieben. — Noch sei bemerkt, daß die Badegeschenke, welche im
16. Jahrhundert den Badereisenden dargebracht wurden, während jetzt die Zurück¬
bleibenden beschenkt werden, zu einer so ausschweifenden Höhe durch Ambition
und Lurus emporgetrieben wurden, daß die Regierungen öfter mit Ernst da¬
gegen einschritten.

In dem Jahrhundert des dreißigjährigen Krieges und Ludwigs XIV. ging
vieles von dem verloren, was als Folge der Reformation auch in den Bädern
sichtbar geworden war, Ernst und politischer Sinn der Männer, Frömmigkeit
der Frauen. Wie Deutschland, so verkümmert auch die Schweiz. Ein
engherziges, tyrannisches Patricierregiment, unter den Gehorchenden Man-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/218>, abgerufen am 25.08.2024.