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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Männer eine Art von Schurz um, und die Weiber haben ein Linnengewand
an, welches aber von oben bis in die Mitte oder an der Seite offen ist, so
daß weder Hals noch Brust, noch Arme; noch Schultern bedeckt sind. In
dem Bade selbst speisen die Frauen häufig von allseitig zusammengetragenen
Gerichten an einem Tisch, der auf dem Wasser schwimmt; wobei sich natürlich
auch die Männer einfinden. In dem Hause, wo ich badete, wurde auch ich
eines Tages zu einem solchen Fest eingeladen. Ich gab meinen Beitrag, ging
aber, obgleich man mir sehr zusetzte, nicht hin, und zwar nicht aus Schüchtern¬
heit, die man hier für Faulheit und bäuerisches Wesen hält, sondern weil ich
die Sprache nicht verstand; denn es kam mir abgeschmackt vor, daß ein des
Deutschen unkundiger Welscher einen ganzen Tag zwischen Schönen im Bade
stumm und sprachlos blos mit Essen und Trinken zubringen sollte. Zwei
meiner Freunde hingegen fanden sich wirklich ein, aßen, tranken, tändelten,
sprachen durch einen Dolmetsch mit den Frauen, wehten ihnen mit einem
Fächer Kühlung zu, kurz belustigten sich sehr/ Denn nichts fehlte dem Schauspiel,
als Jupiters goldener Regen u. s. w. Ich sah alles von der Galerie, die Sitten
und Gewohnheiten dieser Ehrenleute, ihr gutes Essen, ihren angenehmen, zwang¬
losen Umgang. Wunderbar ist, zu sehen, in welcher Unschuld sie leben und
mit welch unbefangenem Zutrauen die Männer zusahen, wie Fremde sich gegen
ihre Frauen Freiheiten Herausnahmen, nichts beunruhigte sie. -- In Platos
Republik, deren Vorschriften alles gemeinsam machen, hätten sie sich vortrefflich
benommen, da sie schon ohne seine Lehre zu kennen sich so zu seiner Sekte neigen.

Mancher besucht täglich drei bis vier solcher Bäder und bringt dort den
größten Theil seines Tages mit Singen, Trinken und nach dem Bade mit
Tanzen zu. Selbst im Wasser setzen sich einige hin und spielen Instrumente.
Nichts aber ist reizender zu sehen oder zu hören, als wenn aufblühende oder
erblühte Jungfrauen, mit dem schönsten offensten Gesicht, an Gestalt und Be¬
nehmen Göttinnen gleich, zu diesen Instrumenten sagen, dann schwimmt ihr
leichtes zurückgeworfenes Gewand auf dem Wasser und jede ist eine andere
Göttin der Liebe. Dann haben sie die artige Sitte, wenn Männer ihnen
von oben herab zusehen, sie scherzweise um ein Almosen zu bitten; man wirft
ihnen, zumal den hübscheren, kleine Münzen' zu, die sie mit der Hand oder
mit dem ausgebreiteten Linnengewand auffangen, indem eine die andere weg¬
stößt, und werden bei diesem Spiele eben nicht selten alle ihre Reize enthüllt.
Ebenso wirft man ihnen auch aus allerlei Blumen geflochtene Kränze hinab, mit
denen sie sich das Köpfchen schmücken.

Diese vielfältige Gelegenheit, das Auge zu erfreuen und den Geist zu
ermuntern, hatte einen so großen Reiz sür mich^, daß ich nicht nur selbst täglich
zweimal badete, sondern auch die übrige Zeit mit Besuch anderer Bäder zu¬
brachte und ebenfalls Münzen und Kränze hinunterwarf, wie die andern.


Männer eine Art von Schurz um, und die Weiber haben ein Linnengewand
an, welches aber von oben bis in die Mitte oder an der Seite offen ist, so
daß weder Hals noch Brust, noch Arme; noch Schultern bedeckt sind. In
dem Bade selbst speisen die Frauen häufig von allseitig zusammengetragenen
Gerichten an einem Tisch, der auf dem Wasser schwimmt; wobei sich natürlich
auch die Männer einfinden. In dem Hause, wo ich badete, wurde auch ich
eines Tages zu einem solchen Fest eingeladen. Ich gab meinen Beitrag, ging
aber, obgleich man mir sehr zusetzte, nicht hin, und zwar nicht aus Schüchtern¬
heit, die man hier für Faulheit und bäuerisches Wesen hält, sondern weil ich
die Sprache nicht verstand; denn es kam mir abgeschmackt vor, daß ein des
Deutschen unkundiger Welscher einen ganzen Tag zwischen Schönen im Bade
stumm und sprachlos blos mit Essen und Trinken zubringen sollte. Zwei
meiner Freunde hingegen fanden sich wirklich ein, aßen, tranken, tändelten,
sprachen durch einen Dolmetsch mit den Frauen, wehten ihnen mit einem
Fächer Kühlung zu, kurz belustigten sich sehr/ Denn nichts fehlte dem Schauspiel,
als Jupiters goldener Regen u. s. w. Ich sah alles von der Galerie, die Sitten
und Gewohnheiten dieser Ehrenleute, ihr gutes Essen, ihren angenehmen, zwang¬
losen Umgang. Wunderbar ist, zu sehen, in welcher Unschuld sie leben und
mit welch unbefangenem Zutrauen die Männer zusahen, wie Fremde sich gegen
ihre Frauen Freiheiten Herausnahmen, nichts beunruhigte sie. — In Platos
Republik, deren Vorschriften alles gemeinsam machen, hätten sie sich vortrefflich
benommen, da sie schon ohne seine Lehre zu kennen sich so zu seiner Sekte neigen.

Mancher besucht täglich drei bis vier solcher Bäder und bringt dort den
größten Theil seines Tages mit Singen, Trinken und nach dem Bade mit
Tanzen zu. Selbst im Wasser setzen sich einige hin und spielen Instrumente.
Nichts aber ist reizender zu sehen oder zu hören, als wenn aufblühende oder
erblühte Jungfrauen, mit dem schönsten offensten Gesicht, an Gestalt und Be¬
nehmen Göttinnen gleich, zu diesen Instrumenten sagen, dann schwimmt ihr
leichtes zurückgeworfenes Gewand auf dem Wasser und jede ist eine andere
Göttin der Liebe. Dann haben sie die artige Sitte, wenn Männer ihnen
von oben herab zusehen, sie scherzweise um ein Almosen zu bitten; man wirft
ihnen, zumal den hübscheren, kleine Münzen' zu, die sie mit der Hand oder
mit dem ausgebreiteten Linnengewand auffangen, indem eine die andere weg¬
stößt, und werden bei diesem Spiele eben nicht selten alle ihre Reize enthüllt.
Ebenso wirft man ihnen auch aus allerlei Blumen geflochtene Kränze hinab, mit
denen sie sich das Köpfchen schmücken.

Diese vielfältige Gelegenheit, das Auge zu erfreuen und den Geist zu
ermuntern, hatte einen so großen Reiz sür mich^, daß ich nicht nur selbst täglich
zweimal badete, sondern auch die übrige Zeit mit Besuch anderer Bäder zu¬
brachte und ebenfalls Münzen und Kränze hinunterwarf, wie die andern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/212>, abgerufen am 25.08.2024.