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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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chen allgemeine Antipathie zu Theil geworden M, los zu werden. ^Ein
Systemwechsel ist mit ihrem Fall nicht eingetreten, aber wer sich lächerlich und
ärgerlich gemacht hat, compromittirt zuletzt die Reaction, und es ist in der
Ordnung, daß er bei eintretender Gelegenheit beseitigt wird. Wenn in dem
Volke selbst gegenwärtig ein bestimmter politischer Wunsch zu erkennen ist,
welcher eine Verbesserung unsrer traurigen politischen Lage beabsichtigt, so ist
dieser Wunsch eine Reform der deutschen Bundesverfassung. Der Antrag hier¬
zu ist in zwei deutschen Ständeversammlungen gemacht, und dem Vernehmen
nach werden andre kleine Staaten dem Beispiel folgen. Daß die Landes¬
vertretungen jede gesetzliche Gelegenheit benutzen, um der Nation gegenüber
sich über das Unbefriedigende unsrer deutschen Organisation auszusprechen, ist
an sich höchlich zu loben und hätte ein solcher Antrag auch nur den Nutzen,
die öffentliche Meinung auf die bedenklichste Stelle unsers politischen Lebens
hinzuweisen. Daß aber dieser Antrag einen praktischen Erfolg haben könne,
steht vorläufig leider nicht zu hoffen. Der deutsche Bund, wie er ist, hat fast
nur die Wirkung eines großen Pvlizeiinstituts, welches die einzelnen Regierun¬
gen gegen etwaige Opposition ihrer Länder deckt. Er ist ein sehr unvollkomme¬
nes Institut, dessen Uebelstände wol alle deutschen Regierungen erkennen und
mit welcher in der Stille alle unzufrieden sind, aber keine ist im Stande und
nur wenige werden die Neigung haben, etwas daran zu ändern. Ja es läßt
sich behaupten, daß eine Aenderung zum Bessern durch die Nation gradezu
unmöglich ist, solgnge nicht die Grundsätze und Ansichten, welche den regieren¬
den Kreisen die theuersten sind, sich ändern. Die kleinen Staaten mögen mit
ehrlichem Patriotismus bei deutschen Fragen nicht zuerst an sich, sondern an
das allgemeine Interesse denken. Die mittlern müssen sämmtlich in dem Bund
die beste Garantie für ihre eigne Existenz und die Souvercmetätsrechte ihrer
Herrscher finden; denn die Existenz und Souveränetät der Mittelstaaten leitet
sich ganz aus derselben Quelle her, aus welcher die Unvollkommenheit des
deutschen Bundes stammt, aus dem Dualismus Deutschlands.

Solange Preußen und Oestreich beide in dem Bunde deutscher Staaten
sitzen, wird durch ihre natürliche Rivalität fast immer ein gemeinsames großes
Resultat verhindert werden, und.beiden sind die Mittelstaaten Bundesgenossen,
um deren Stimme sie werben und deren Beeinflussung keine der andern über¬
lassen darf. Von dem Augenblick, wo eine der beiden Großmächte aus dem
Bund tritt, verfällt die Masse der kleinern Staaten dem herrschenden Einfluß
des zurückbleibenden großen Staats; von diesem Augenblick an erfahren
Souveränetätsrechte und Selbstgefühl der Regierung in den Mittelstaaten un¬
vermeidlich grade die Einbuße, welche ihnen an, meisten weh thun muß. So
müssen die mittlern Staaten den Bund erhalten, wie er ist , weil ihre Ausgabe


Grenzboten. IV. -I8Lo. 25

chen allgemeine Antipathie zu Theil geworden M, los zu werden. ^Ein
Systemwechsel ist mit ihrem Fall nicht eingetreten, aber wer sich lächerlich und
ärgerlich gemacht hat, compromittirt zuletzt die Reaction, und es ist in der
Ordnung, daß er bei eintretender Gelegenheit beseitigt wird. Wenn in dem
Volke selbst gegenwärtig ein bestimmter politischer Wunsch zu erkennen ist,
welcher eine Verbesserung unsrer traurigen politischen Lage beabsichtigt, so ist
dieser Wunsch eine Reform der deutschen Bundesverfassung. Der Antrag hier¬
zu ist in zwei deutschen Ständeversammlungen gemacht, und dem Vernehmen
nach werden andre kleine Staaten dem Beispiel folgen. Daß die Landes¬
vertretungen jede gesetzliche Gelegenheit benutzen, um der Nation gegenüber
sich über das Unbefriedigende unsrer deutschen Organisation auszusprechen, ist
an sich höchlich zu loben und hätte ein solcher Antrag auch nur den Nutzen,
die öffentliche Meinung auf die bedenklichste Stelle unsers politischen Lebens
hinzuweisen. Daß aber dieser Antrag einen praktischen Erfolg haben könne,
steht vorläufig leider nicht zu hoffen. Der deutsche Bund, wie er ist, hat fast
nur die Wirkung eines großen Pvlizeiinstituts, welches die einzelnen Regierun¬
gen gegen etwaige Opposition ihrer Länder deckt. Er ist ein sehr unvollkomme¬
nes Institut, dessen Uebelstände wol alle deutschen Regierungen erkennen und
mit welcher in der Stille alle unzufrieden sind, aber keine ist im Stande und
nur wenige werden die Neigung haben, etwas daran zu ändern. Ja es läßt
sich behaupten, daß eine Aenderung zum Bessern durch die Nation gradezu
unmöglich ist, solgnge nicht die Grundsätze und Ansichten, welche den regieren¬
den Kreisen die theuersten sind, sich ändern. Die kleinen Staaten mögen mit
ehrlichem Patriotismus bei deutschen Fragen nicht zuerst an sich, sondern an
das allgemeine Interesse denken. Die mittlern müssen sämmtlich in dem Bund
die beste Garantie für ihre eigne Existenz und die Souvercmetätsrechte ihrer
Herrscher finden; denn die Existenz und Souveränetät der Mittelstaaten leitet
sich ganz aus derselben Quelle her, aus welcher die Unvollkommenheit des
deutschen Bundes stammt, aus dem Dualismus Deutschlands.

Solange Preußen und Oestreich beide in dem Bunde deutscher Staaten
sitzen, wird durch ihre natürliche Rivalität fast immer ein gemeinsames großes
Resultat verhindert werden, und.beiden sind die Mittelstaaten Bundesgenossen,
um deren Stimme sie werben und deren Beeinflussung keine der andern über¬
lassen darf. Von dem Augenblick, wo eine der beiden Großmächte aus dem
Bund tritt, verfällt die Masse der kleinern Staaten dem herrschenden Einfluß
des zurückbleibenden großen Staats; von diesem Augenblick an erfahren
Souveränetätsrechte und Selbstgefühl der Regierung in den Mittelstaaten un¬
vermeidlich grade die Einbuße, welche ihnen an, meisten weh thun muß. So
müssen die mittlern Staaten den Bund erhalten, wie er ist , weil ihre Ausgabe


Grenzboten. IV. -I8Lo. 25
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/201>, abgerufen am 22.07.2024.