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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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bewilligte bedeutende Bauhilfsgelder und ließ nicht nur das Cadettenhaus und
die evangelische Kirche, sondern selbst viele Privathäuser aus königlichen Fonds
erbauen; ja es wurden Fabriken angelegt und Handwerker mit Vorschüssen
hierher gezogen und ihnen Häuser unentgeldlich überlassen. Auch wurden
Kolonisten aus Holland aus die städtischen Ländereien gesandt. So war es
möglich, daß die Stadt sich unter dem preußischen Scepter wieder zu einer
Stadt zweiten Ranges in der Provinz emporschwingen konnte.

Culm ist noch ganz regelmäßig, hat gerade, breite und freundliche Stra¬
ßen, die alle auf dem großen, recht hübschen Marktplatze zusammenstoßen und
die als interessanten Endpunkt entweder eine Kirche oder ein altes Thor oder
gar einen ritterlichen Wartthurm haben. Mitten aus dem Markte erhebt sich
das steinerne Rathhaus, ein ganz stattliches Gebäude mit schlankem Thurme,
zwar im gothischen Stil, aber sonst unsymmetrisch erbaut. Vor ihm spritzt ein
Kunstbrunnen seine steigende Fontäne, durch Dampfkraft aus dem tiefgelegenen
Weichselufer emporgesandt, in ein weites Becken aus Stein. Unter den vielen
Kirchen zeichnet sich die Pfarrkirche durch würdige Größe und innere Pracht
aus, die evangelische dagegen durch ihre Einfachheit und freundliche Helle;
durch hohes Alterthum die Bernhardiner- und die Klosterkirche. Die Francis-
canerkirche in der Nähe ist schon ganz dem Verfalle Preis gegeben; ihr schlanker
achteckiger Thurm aber, dessen Glocken seit lange schon stumm geworden, der
schönste von allen. Diese alten leeren Ueberreste früherer Zeit bilden einen
pikanten Gegensatz zu dem neuen, überaus freundlichen Aussehen der Stadt.
Wohl erhalten sind dagegen noch die alten, durch die Vertheidigung von
Frauenhand so hochberühmten Stadtmauern; selbst mit Thürmen aus alter
Vorzeit sind sie noch versehen; nur oberhalb sind sie ein wenig schadhaft,
der untere Theil von ihnen ist meistens mit Epheu oder Weinlaub geschmückt
und nimmt sich wahrhaft malerisch aus.

Culm besitzt ein katholisches Gymnasium und eine Realschule. Ehedem
hatte die Stadt auch eine Akademie, welcher im Jahre 1378 Universitätsrechte
verliehen wurden, die aber nie zu einiger Bedeutung gelangte. Großartige
Gebäude der Stadt bilden die Cadettenanstalt, die gegen 200 Zöglinge zählt.
Die Ordnung darin ist streng militärisch. Den Unterricht ertheilen 2 Offiziere
und 3 Lehrer vom Civilstande, außerdem noch vier Gouverneurs (Kandidaten
der Theologie). Zur Anstalt gehört noch ein besonderes Lazareth und eine
Kirche, sowie auch ein großer Garten, der neben der wohlerhaltenen alten
Stadtmauer sich in anmuthigen Gartenterrassen bis zum Grunde eines kleinen
Flüßchens hinabzieht. Eines Besuches werth ist auch das Nonnenkloster der
barmherzigen Schwestern, eine sehr wohlthätige Anstalt, die ihren besondern
Arzt und eine Apotheke hat, bis 40 Kranke pflegt und 20 Waisenkinder er¬
zieht. Die stillen Schwestern haben ihre eigne Tracht; sie tragen schwarze


bewilligte bedeutende Bauhilfsgelder und ließ nicht nur das Cadettenhaus und
die evangelische Kirche, sondern selbst viele Privathäuser aus königlichen Fonds
erbauen; ja es wurden Fabriken angelegt und Handwerker mit Vorschüssen
hierher gezogen und ihnen Häuser unentgeldlich überlassen. Auch wurden
Kolonisten aus Holland aus die städtischen Ländereien gesandt. So war es
möglich, daß die Stadt sich unter dem preußischen Scepter wieder zu einer
Stadt zweiten Ranges in der Provinz emporschwingen konnte.

Culm ist noch ganz regelmäßig, hat gerade, breite und freundliche Stra¬
ßen, die alle auf dem großen, recht hübschen Marktplatze zusammenstoßen und
die als interessanten Endpunkt entweder eine Kirche oder ein altes Thor oder
gar einen ritterlichen Wartthurm haben. Mitten aus dem Markte erhebt sich
das steinerne Rathhaus, ein ganz stattliches Gebäude mit schlankem Thurme,
zwar im gothischen Stil, aber sonst unsymmetrisch erbaut. Vor ihm spritzt ein
Kunstbrunnen seine steigende Fontäne, durch Dampfkraft aus dem tiefgelegenen
Weichselufer emporgesandt, in ein weites Becken aus Stein. Unter den vielen
Kirchen zeichnet sich die Pfarrkirche durch würdige Größe und innere Pracht
aus, die evangelische dagegen durch ihre Einfachheit und freundliche Helle;
durch hohes Alterthum die Bernhardiner- und die Klosterkirche. Die Francis-
canerkirche in der Nähe ist schon ganz dem Verfalle Preis gegeben; ihr schlanker
achteckiger Thurm aber, dessen Glocken seit lange schon stumm geworden, der
schönste von allen. Diese alten leeren Ueberreste früherer Zeit bilden einen
pikanten Gegensatz zu dem neuen, überaus freundlichen Aussehen der Stadt.
Wohl erhalten sind dagegen noch die alten, durch die Vertheidigung von
Frauenhand so hochberühmten Stadtmauern; selbst mit Thürmen aus alter
Vorzeit sind sie noch versehen; nur oberhalb sind sie ein wenig schadhaft,
der untere Theil von ihnen ist meistens mit Epheu oder Weinlaub geschmückt
und nimmt sich wahrhaft malerisch aus.

Culm besitzt ein katholisches Gymnasium und eine Realschule. Ehedem
hatte die Stadt auch eine Akademie, welcher im Jahre 1378 Universitätsrechte
verliehen wurden, die aber nie zu einiger Bedeutung gelangte. Großartige
Gebäude der Stadt bilden die Cadettenanstalt, die gegen 200 Zöglinge zählt.
Die Ordnung darin ist streng militärisch. Den Unterricht ertheilen 2 Offiziere
und 3 Lehrer vom Civilstande, außerdem noch vier Gouverneurs (Kandidaten
der Theologie). Zur Anstalt gehört noch ein besonderes Lazareth und eine
Kirche, sowie auch ein großer Garten, der neben der wohlerhaltenen alten
Stadtmauer sich in anmuthigen Gartenterrassen bis zum Grunde eines kleinen
Flüßchens hinabzieht. Eines Besuches werth ist auch das Nonnenkloster der
barmherzigen Schwestern, eine sehr wohlthätige Anstalt, die ihren besondern
Arzt und eine Apotheke hat, bis 40 Kranke pflegt und 20 Waisenkinder er¬
zieht. Die stillen Schwestern haben ihre eigne Tracht; sie tragen schwarze


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[0188] bewilligte bedeutende Bauhilfsgelder und ließ nicht nur das Cadettenhaus und die evangelische Kirche, sondern selbst viele Privathäuser aus königlichen Fonds erbauen; ja es wurden Fabriken angelegt und Handwerker mit Vorschüssen hierher gezogen und ihnen Häuser unentgeldlich überlassen. Auch wurden Kolonisten aus Holland aus die städtischen Ländereien gesandt. So war es möglich, daß die Stadt sich unter dem preußischen Scepter wieder zu einer Stadt zweiten Ranges in der Provinz emporschwingen konnte. Culm ist noch ganz regelmäßig, hat gerade, breite und freundliche Stra¬ ßen, die alle auf dem großen, recht hübschen Marktplatze zusammenstoßen und die als interessanten Endpunkt entweder eine Kirche oder ein altes Thor oder gar einen ritterlichen Wartthurm haben. Mitten aus dem Markte erhebt sich das steinerne Rathhaus, ein ganz stattliches Gebäude mit schlankem Thurme, zwar im gothischen Stil, aber sonst unsymmetrisch erbaut. Vor ihm spritzt ein Kunstbrunnen seine steigende Fontäne, durch Dampfkraft aus dem tiefgelegenen Weichselufer emporgesandt, in ein weites Becken aus Stein. Unter den vielen Kirchen zeichnet sich die Pfarrkirche durch würdige Größe und innere Pracht aus, die evangelische dagegen durch ihre Einfachheit und freundliche Helle; durch hohes Alterthum die Bernhardiner- und die Klosterkirche. Die Francis- canerkirche in der Nähe ist schon ganz dem Verfalle Preis gegeben; ihr schlanker achteckiger Thurm aber, dessen Glocken seit lange schon stumm geworden, der schönste von allen. Diese alten leeren Ueberreste früherer Zeit bilden einen pikanten Gegensatz zu dem neuen, überaus freundlichen Aussehen der Stadt. Wohl erhalten sind dagegen noch die alten, durch die Vertheidigung von Frauenhand so hochberühmten Stadtmauern; selbst mit Thürmen aus alter Vorzeit sind sie noch versehen; nur oberhalb sind sie ein wenig schadhaft, der untere Theil von ihnen ist meistens mit Epheu oder Weinlaub geschmückt und nimmt sich wahrhaft malerisch aus. Culm besitzt ein katholisches Gymnasium und eine Realschule. Ehedem hatte die Stadt auch eine Akademie, welcher im Jahre 1378 Universitätsrechte verliehen wurden, die aber nie zu einiger Bedeutung gelangte. Großartige Gebäude der Stadt bilden die Cadettenanstalt, die gegen 200 Zöglinge zählt. Die Ordnung darin ist streng militärisch. Den Unterricht ertheilen 2 Offiziere und 3 Lehrer vom Civilstande, außerdem noch vier Gouverneurs (Kandidaten der Theologie). Zur Anstalt gehört noch ein besonderes Lazareth und eine Kirche, sowie auch ein großer Garten, der neben der wohlerhaltenen alten Stadtmauer sich in anmuthigen Gartenterrassen bis zum Grunde eines kleinen Flüßchens hinabzieht. Eines Besuches werth ist auch das Nonnenkloster der barmherzigen Schwestern, eine sehr wohlthätige Anstalt, die ihren besondern Arzt und eine Apotheke hat, bis 40 Kranke pflegt und 20 Waisenkinder er¬ zieht. Die stillen Schwestern haben ihre eigne Tracht; sie tragen schwarze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/188>, abgerufen am 25.08.2024.