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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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im Nundbogenstil erbaut. Das Madonnenbild der Kirche steht in besonderer
Verehrung und veranlaßt Prozessionen aus weiter Ferne her. Das Kloster-
Gebäude aber mit seinen früheren Zellen und Seitencorridoren dient nun zum
städtischen Krankenhause. Schwetz hat von der diesjährigen Ueberschwemmung
furchtbar gelitten. Die Fluten standen mannshoch in den Straßen, die Häuser
bis in das zweite Stockwerk unter Wasser. Das einzige Rettungsmittel für
den armen Ort, der Gewalt des Weichselstromes aus dem Wege zu gehen,
wäre, daß die Stadt auf die Anhöhe verlegt würde, wozu der König selbst an-
räthig gewesen. So hat sich eine Baugesellschaft denn auch gebildet, welche
mit Actien von 10 Thalern an das Werk ging, viel Unterstützung auch ander¬
wärts fand und des besten Erfolgs sich erfreut.

Das altberühmte Culm, von welchem deutsche Bildung zuerst über Preu¬
ßen ausging, liegt in majestätischer Hoheit auf der fernen Uferhöhe jen¬
seits des hier eine Meile breiten Weichselthales vor uns und seine vielthürmigen
Kirchen und rothen Stadtmauern, rings von gebüschreichen Promenaden um¬
geben, funkeln verlockend im Lichte der Sonne. Doch ist der Weg zu ihm hin
ein recht beschwerlicher. Die Weichsel theilt sich hier in mehre Arme, durch
meistens öde Inseln (Kämpen) getrennt. Man muß dreimal sich im Spitz¬
prähmen übersetzen lassen und auf den Inseln weite Strecken tiefen Sandes
durchwaten. Aber die unbequeme Fahrt dorthin ist auch lohnend genug.

Ursprünglich war Culm am Fuße des Berges erbaut, litt aber zu oft
durch Überschwemmungen und wurde deshalb 1231 nach einer großen Feuers-
brunst auf die Höhe des Ufers verlegt, welche es heute noch so stolz einnimmt.
Auch wurde die Stadt so regelmäßig erbaut, daß sie in dieser Beziehung allen
übrigen preußischen Schwesterstädten den Vorrang streitig machte; sie wuchs
zu hoher Blüte heran, da der Handel, begünstigt durch Zollfreiheit und Stapel¬
recht, viele Ausländer heranzog. So ließen sich namentlich viele Engländer
hier nieder; sie besaßen auf dem Markte ein eignes großes Packhaus, daS
erst zu Anfang dieses Jahrhunderts abgebrochen wurde. Auch Dänen und
Holländer hatten ihre eignen Packhäuser, die nun in Privatwohnungen ver¬
wandelt sind. Viel trug zur Hebung des Ortes außerdem das große Ansehn
bei, welches der Ovden dem culmer Magistrate in der Handfeste verlieh, wo¬
durch demselben das Recht freier Gesetzauslegung und das Schiedsrichteramt
in streitigen Fällen zustand, Rechte, welche er noch bis in das vorige Jahr¬
hundert hinein ausgeübt hat und durch die er zum Range eines Obergerichts¬
hofes erhoben war. Jemehr aber Thorrs und Danzigs Handel aufblühte,
sank der von Culm, zumal die Lage auf einem steilen Berge keineswegs günstig
für den Handel zu nennen ist. Unter polnischer Hoheit endlich gerieth die
Stadt total in Verfall. In diesem traurigen Zustande wurde Culm 1772
preußisch. Friedrich der Große hegte eine besondere Vorliebe für die Stadt,


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im Nundbogenstil erbaut. Das Madonnenbild der Kirche steht in besonderer
Verehrung und veranlaßt Prozessionen aus weiter Ferne her. Das Kloster-
Gebäude aber mit seinen früheren Zellen und Seitencorridoren dient nun zum
städtischen Krankenhause. Schwetz hat von der diesjährigen Ueberschwemmung
furchtbar gelitten. Die Fluten standen mannshoch in den Straßen, die Häuser
bis in das zweite Stockwerk unter Wasser. Das einzige Rettungsmittel für
den armen Ort, der Gewalt des Weichselstromes aus dem Wege zu gehen,
wäre, daß die Stadt auf die Anhöhe verlegt würde, wozu der König selbst an-
räthig gewesen. So hat sich eine Baugesellschaft denn auch gebildet, welche
mit Actien von 10 Thalern an das Werk ging, viel Unterstützung auch ander¬
wärts fand und des besten Erfolgs sich erfreut.

Das altberühmte Culm, von welchem deutsche Bildung zuerst über Preu¬
ßen ausging, liegt in majestätischer Hoheit auf der fernen Uferhöhe jen¬
seits des hier eine Meile breiten Weichselthales vor uns und seine vielthürmigen
Kirchen und rothen Stadtmauern, rings von gebüschreichen Promenaden um¬
geben, funkeln verlockend im Lichte der Sonne. Doch ist der Weg zu ihm hin
ein recht beschwerlicher. Die Weichsel theilt sich hier in mehre Arme, durch
meistens öde Inseln (Kämpen) getrennt. Man muß dreimal sich im Spitz¬
prähmen übersetzen lassen und auf den Inseln weite Strecken tiefen Sandes
durchwaten. Aber die unbequeme Fahrt dorthin ist auch lohnend genug.

Ursprünglich war Culm am Fuße des Berges erbaut, litt aber zu oft
durch Überschwemmungen und wurde deshalb 1231 nach einer großen Feuers-
brunst auf die Höhe des Ufers verlegt, welche es heute noch so stolz einnimmt.
Auch wurde die Stadt so regelmäßig erbaut, daß sie in dieser Beziehung allen
übrigen preußischen Schwesterstädten den Vorrang streitig machte; sie wuchs
zu hoher Blüte heran, da der Handel, begünstigt durch Zollfreiheit und Stapel¬
recht, viele Ausländer heranzog. So ließen sich namentlich viele Engländer
hier nieder; sie besaßen auf dem Markte ein eignes großes Packhaus, daS
erst zu Anfang dieses Jahrhunderts abgebrochen wurde. Auch Dänen und
Holländer hatten ihre eignen Packhäuser, die nun in Privatwohnungen ver¬
wandelt sind. Viel trug zur Hebung des Ortes außerdem das große Ansehn
bei, welches der Ovden dem culmer Magistrate in der Handfeste verlieh, wo¬
durch demselben das Recht freier Gesetzauslegung und das Schiedsrichteramt
in streitigen Fällen zustand, Rechte, welche er noch bis in das vorige Jahr¬
hundert hinein ausgeübt hat und durch die er zum Range eines Obergerichts¬
hofes erhoben war. Jemehr aber Thorrs und Danzigs Handel aufblühte,
sank der von Culm, zumal die Lage auf einem steilen Berge keineswegs günstig
für den Handel zu nennen ist. Unter polnischer Hoheit endlich gerieth die
Stadt total in Verfall. In diesem traurigen Zustande wurde Culm 1772
preußisch. Friedrich der Große hegte eine besondere Vorliebe für die Stadt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/187>, abgerufen am 25.08.2024.