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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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zieht, dem zeigt wiederum Culm mit seinem Ordensschlosse auf steiler Uferhöhe
sich als der erste bedeutende Punkt im Preußenlande.

Die nächsten Eisenbahnstationen sind kleine Dörfer mit polnischen Namen
und nur als Vorposten der größeren Städte zu betrachten, welche jenseit der
Weichsel liegen und von welchen der Weg zur Eisenbahn hierher der nächste
ist; so hat Culm seine Station, so Graudenz, so Marienwerder. Eine Jour-
naliere führt den Reisenden von dem hochgelegenen Bahnhof Terespol nach
dem kleinen Städtchen Schwetz hinab, das ganz flach an der Mündung des
Schwarzwassers in die Weichsel liegt, zum Theil noch umgeben von schon
stark verwitterten Stadtmauern; sie gehört zu den ältesten Städten der Provinz
und soll, einer Sage nach, ihren Ursprung vornehmen Schweden verdanken,
die landesflüchtig zu Anfang des 10. Jahrhunderts hier als Colonisten sich
niederließen, woher der Name. Ganz in der Nähe der Stadt erbaute der
Herzog Swantepolk von Pomerellen 1244 ein festes Schloß, das zusammen
mit der Stadt 13-10 in die Gewalt deS deutschen Ordens fiel. Einer ihrer
Comthure war der berühmte Heinrich von Plauen, der nach dem Unglückstage
von Tannenberg der bedrängten Marienburg zu Hilfe eilte und ihr Erretter
ward. Noch sind die Trümmer der Burg vorhanden, gewaltige Kellerräume,
größtentheils schon verschüttet oder eingestürzt, darüber mächtige lange Tonnen¬
gewölbe, aus denen eine steinerne Wendeltreppe in spitzbogige, stark zertrümmerte
Gemächer hinaufführt, deren Mauern geborsten und deren gothische Fenster¬
bogen von späterer Hand theils verflacht, theils bis auf kleine viereckige Luken
zugemauert worden. Aus einem runden, oben schon ganz verfallenen Thurme
wächst ein mächtiger Ebereschcnbaum heraus, aus dessen grünem Wipfel uns
die feuerrothen Beeren anlächelt, als wollten sie triumphiren über das Grab
und über die Verwüstung rundum, aus der sie erstanden sind, und noch besser er¬
halten hat sich ein zweiter, stärkerer, zirkelrunder Wartthurm vor der Westseite
des verfallenen Schlosses. Friedrich Wilhelm IV. sorgte noch als Kron¬
prinz für die Bedachung desselben und ließ ihn mit stattlichen Zinnen
schmücken, so daß er stattlich dasteht als ein Sagenkundiger Greis aus alter Zeit.
sowol das unansehnliche Rathhaus, wie auch beide Kirchen der Niederstadt
bieten nichts Interessantes dar, und sind die kleinen alten Häuser hier mit
hohen Treppen versehen, die erst in die erste Etage hineinführen. Der
untere Raum der Häuser bleibt der so oft hier eintretenden Überschwem¬
mungen wegen unbewohnt. Unter den meisten neuen Gebäuden der Ober¬
stadt zeichnet sich das des Stadtgerichtes aus, noch mehr aber die höher
gelegene, aus rothen Ziegelsteinen erbaute Irrenanstalt, die, zwar unsymme¬
trisch, im Ganzen dennoch einen Eindruck ausübt. Ein malerischer Schmuck
der Stadt ist das alte Bernhardinerkloster mit einem Haupiportale und
Glockenthürme darüber und einem i0 Fuß hohen Kreuzgange voll Fenstern


zieht, dem zeigt wiederum Culm mit seinem Ordensschlosse auf steiler Uferhöhe
sich als der erste bedeutende Punkt im Preußenlande.

Die nächsten Eisenbahnstationen sind kleine Dörfer mit polnischen Namen
und nur als Vorposten der größeren Städte zu betrachten, welche jenseit der
Weichsel liegen und von welchen der Weg zur Eisenbahn hierher der nächste
ist; so hat Culm seine Station, so Graudenz, so Marienwerder. Eine Jour-
naliere führt den Reisenden von dem hochgelegenen Bahnhof Terespol nach
dem kleinen Städtchen Schwetz hinab, das ganz flach an der Mündung des
Schwarzwassers in die Weichsel liegt, zum Theil noch umgeben von schon
stark verwitterten Stadtmauern; sie gehört zu den ältesten Städten der Provinz
und soll, einer Sage nach, ihren Ursprung vornehmen Schweden verdanken,
die landesflüchtig zu Anfang des 10. Jahrhunderts hier als Colonisten sich
niederließen, woher der Name. Ganz in der Nähe der Stadt erbaute der
Herzog Swantepolk von Pomerellen 1244 ein festes Schloß, das zusammen
mit der Stadt 13-10 in die Gewalt deS deutschen Ordens fiel. Einer ihrer
Comthure war der berühmte Heinrich von Plauen, der nach dem Unglückstage
von Tannenberg der bedrängten Marienburg zu Hilfe eilte und ihr Erretter
ward. Noch sind die Trümmer der Burg vorhanden, gewaltige Kellerräume,
größtentheils schon verschüttet oder eingestürzt, darüber mächtige lange Tonnen¬
gewölbe, aus denen eine steinerne Wendeltreppe in spitzbogige, stark zertrümmerte
Gemächer hinaufführt, deren Mauern geborsten und deren gothische Fenster¬
bogen von späterer Hand theils verflacht, theils bis auf kleine viereckige Luken
zugemauert worden. Aus einem runden, oben schon ganz verfallenen Thurme
wächst ein mächtiger Ebereschcnbaum heraus, aus dessen grünem Wipfel uns
die feuerrothen Beeren anlächelt, als wollten sie triumphiren über das Grab
und über die Verwüstung rundum, aus der sie erstanden sind, und noch besser er¬
halten hat sich ein zweiter, stärkerer, zirkelrunder Wartthurm vor der Westseite
des verfallenen Schlosses. Friedrich Wilhelm IV. sorgte noch als Kron¬
prinz für die Bedachung desselben und ließ ihn mit stattlichen Zinnen
schmücken, so daß er stattlich dasteht als ein Sagenkundiger Greis aus alter Zeit.
sowol das unansehnliche Rathhaus, wie auch beide Kirchen der Niederstadt
bieten nichts Interessantes dar, und sind die kleinen alten Häuser hier mit
hohen Treppen versehen, die erst in die erste Etage hineinführen. Der
untere Raum der Häuser bleibt der so oft hier eintretenden Überschwem¬
mungen wegen unbewohnt. Unter den meisten neuen Gebäuden der Ober¬
stadt zeichnet sich das des Stadtgerichtes aus, noch mehr aber die höher
gelegene, aus rothen Ziegelsteinen erbaute Irrenanstalt, die, zwar unsymme¬
trisch, im Ganzen dennoch einen Eindruck ausübt. Ein malerischer Schmuck
der Stadt ist das alte Bernhardinerkloster mit einem Haupiportale und
Glockenthürme darüber und einem i0 Fuß hohen Kreuzgange voll Fenstern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/186>, abgerufen am 25.08.2024.