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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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worden hat, wie durch seine weitberühmten Pfefferkuchen. Es erinnert dies
Getränk an die Nähe Polens. Dabei versicherte mir mein Wirth mit der
zuversichtlichsten Miene, als hätte er selbst noch jene Zeiten durchlebt, daß
zur Zeit des Ordens Thorn rings auf den Hügeln am Weichselufer Wein¬
bau im Großen getrieben; man nenne jene Hügel noch heute hier "Wein¬
berge"; jedes Landhaus habe einen solchen hier gehabt, und der thorner
Landwein habe am marienburger Hofe den besten Klang vor allen heimischen
Weinen gehabt. Was sagt der Leser zu dieser merkwürdigen Nachricht? Er
hört dieselbe gewiß mit zweifelndem Ohr an, zumal wenn er sich an Heinrich
Heines Witzwort erinnert, daß kein anderes Obst in Preußen reife, als nur
gebratene Aepfel. Und selbst wir Eingeborne wundern uns über solche Be¬
richte, denn jetzt wird selten eine Traube bei uns reif. Wir suchen nach
Gründen für die Umwandlung unsres Klimas und Landes und nehmen gern
an, daß die Verringerungen der Wälder dem rauhen Ost- und Nordwinde
mehr Eintritt und schädlichere Einwirkung gestattet haben. Wie dem auch sei,
es unterliegt keinem Zweifel, daß das deutsche Hauptordenshaus zu Marien¬
burg nicht nur von Thorn und Rastenburg, sondern selbst von Riga her ein
trinkbares Getränk von Rebensaft bezogen habe, besonders unter Meister Winrichs
Regierung, von welchem fast alle preußischen Chroniken berichten, seine Keller
auf der Marienburg seien so überfüllt gewesen, daß der Dunst des gährenden
Mostes bis in die Gemächer des Hochmeisters selbst gedrungen sei, so daß
derselbe habe anbefehlen müssen, die Oeffnungen der Keller mit Stroh zu ver¬
stopfen. Und es muß kein schlechtes Gewächs damals auf preußischem Boden
gediehen sein; denn als im Jahre 1363 König Kasimir von Polen als Gast
zum Hochmeister nach Marienburg kam, erstaunte er höchlichst über die Güte
des Weines, den man ihm vorsetzte, und "och rühmlicher ist das Zeugniß des
Baiernherzogs Rudolf, den Meister Winrich (-1363) auf der Burg festlich be¬
wirthete. AIS am Schlüsse der Tafel der Mundschenk dem Herzog einen
großen goldenen Becher mir thorner Weine gefüllt darreichte, rief dieser,
nachdem er den Becher geleert: "Langt mir den Becher noch einmal her! der
Trank ist echtes Oel, davon einem die Schnauze anklebt."

Der fünf Meilen weite Weg von Thorn nach Bromberg führte noch zu
Ende des vorigen Jahrhunderts durch eine unabsehbare weite Waldung, durch
Räuber verrufen. Die liederliche Wirthschaft polnischer Edelleute hat den Wald
gründlich vernichtet. Wie leichtsinnig man mit den Forsten umging, zeigt genugsam
die Thatsache, daß bei jeder polnischen Bauernhochzeit zum Schlüsse als Freuden-
feuer eine ganze große Eiche verbrannt wurde. Jetzt begegnet man nur bei dem
Städtchen Schulitz noch einer Waldung, und eben diese Abnahme der Wälder
in Preußen zog unzweifelhaft eine bedeutende Umänderung des Klimas
nach sich.


worden hat, wie durch seine weitberühmten Pfefferkuchen. Es erinnert dies
Getränk an die Nähe Polens. Dabei versicherte mir mein Wirth mit der
zuversichtlichsten Miene, als hätte er selbst noch jene Zeiten durchlebt, daß
zur Zeit des Ordens Thorn rings auf den Hügeln am Weichselufer Wein¬
bau im Großen getrieben; man nenne jene Hügel noch heute hier „Wein¬
berge"; jedes Landhaus habe einen solchen hier gehabt, und der thorner
Landwein habe am marienburger Hofe den besten Klang vor allen heimischen
Weinen gehabt. Was sagt der Leser zu dieser merkwürdigen Nachricht? Er
hört dieselbe gewiß mit zweifelndem Ohr an, zumal wenn er sich an Heinrich
Heines Witzwort erinnert, daß kein anderes Obst in Preußen reife, als nur
gebratene Aepfel. Und selbst wir Eingeborne wundern uns über solche Be¬
richte, denn jetzt wird selten eine Traube bei uns reif. Wir suchen nach
Gründen für die Umwandlung unsres Klimas und Landes und nehmen gern
an, daß die Verringerungen der Wälder dem rauhen Ost- und Nordwinde
mehr Eintritt und schädlichere Einwirkung gestattet haben. Wie dem auch sei,
es unterliegt keinem Zweifel, daß das deutsche Hauptordenshaus zu Marien¬
burg nicht nur von Thorn und Rastenburg, sondern selbst von Riga her ein
trinkbares Getränk von Rebensaft bezogen habe, besonders unter Meister Winrichs
Regierung, von welchem fast alle preußischen Chroniken berichten, seine Keller
auf der Marienburg seien so überfüllt gewesen, daß der Dunst des gährenden
Mostes bis in die Gemächer des Hochmeisters selbst gedrungen sei, so daß
derselbe habe anbefehlen müssen, die Oeffnungen der Keller mit Stroh zu ver¬
stopfen. Und es muß kein schlechtes Gewächs damals auf preußischem Boden
gediehen sein; denn als im Jahre 1363 König Kasimir von Polen als Gast
zum Hochmeister nach Marienburg kam, erstaunte er höchlichst über die Güte
des Weines, den man ihm vorsetzte, und »och rühmlicher ist das Zeugniß des
Baiernherzogs Rudolf, den Meister Winrich (-1363) auf der Burg festlich be¬
wirthete. AIS am Schlüsse der Tafel der Mundschenk dem Herzog einen
großen goldenen Becher mir thorner Weine gefüllt darreichte, rief dieser,
nachdem er den Becher geleert: „Langt mir den Becher noch einmal her! der
Trank ist echtes Oel, davon einem die Schnauze anklebt."

Der fünf Meilen weite Weg von Thorn nach Bromberg führte noch zu
Ende des vorigen Jahrhunderts durch eine unabsehbare weite Waldung, durch
Räuber verrufen. Die liederliche Wirthschaft polnischer Edelleute hat den Wald
gründlich vernichtet. Wie leichtsinnig man mit den Forsten umging, zeigt genugsam
die Thatsache, daß bei jeder polnischen Bauernhochzeit zum Schlüsse als Freuden-
feuer eine ganze große Eiche verbrannt wurde. Jetzt begegnet man nur bei dem
Städtchen Schulitz noch einer Waldung, und eben diese Abnahme der Wälder
in Preußen zog unzweifelhaft eine bedeutende Umänderung des Klimas
nach sich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/183>, abgerufen am 25.08.2024.