Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dem einst dies Haus gehörte, heirathete ein armes Mädchen; vergebens aber
hofften sie auf Kindersegen. Da erschien in Abwesenheit des Gatten ein Fremder
im Hause, ein feiner Mann, der sich für einen Freund des Rathsherrn aus¬
gab und von der Frau beiläufig das Geständniß ihres liebsten Wunsches ver¬
nahm. Er versprach ihr zuversichtlich dessen Erfüllung, wenn sie sich nur ent¬
schließen wolle zu dem schriftlichen Versprechen, dafür ihr "Theuerstes" hin¬
zugeben. Sie willigte ein und unterschrieb den Pact. Als ihr Eheherr den¬
selben durch sie erfuhr, war er umsomehr unwillig, als er den beschriebenen
Fremden gar nicht kannte ; aber nach einiger Zeit genaß die Frau eines Kna¬
ben, den die Eltern gar bald als jenes "Theuerste" erkannten, so daß des
Teufels Hinterlist ihnen offenbar wurde; sie gaben deshalb den Knaben ins
Dominicanerkloster, frommen Mönchen zur Hut. Als darauf der Teufel im
Hause erschien, um den Vertrag geltend zu machen, wurde er ins. Kloster ver¬
wiesen. Aber wüthend drang er in die Frau, daS Kind sofort hier ausgeliefert
zu erhalten; doch Mutterliebe gab der Frau nicht nur die Kraft, jenem Trotz
zu bieten, sondern auch den Entschluß ein,, die verhängnißvolle Schrift ihm
zu entreißen und durch Vorhaltung eines Kreuzes, das sie am Busen trug,
trieb sie den Bösen vor sich her, der endlich zum Dache hinausfuhr und das¬
selbe und den ganzen Giebel mit schrecklichem Krachen zertrümmerte. Wer
diesen neu aufbauen wollte, hätte von neuem mit dem Teufel zu thun gehabt
und so blieb das Haus lange im Zustande der Zerstörung. -- Ein seltenes
Kunstwerk enthält der jüdische Tempel, eine alte Wendeltreppe mit reichem
Schnitzwerk, die bis in den dritten Stock geht und deren Spindel aus der
gewundenen Rinde eines einzigen Baumstamms besteht. Mehre tausend
Thaler sind dafür von Kunstliebhabern schon geboten worden, aber die Treppe
läßt sich ohne Abbruch des ganzen Hauses nicht daraus entfernen.

Ueber die Weichsel bei Thorn sührt eine feste Pfahlbrücke, aus zwei Thei¬
len bestehend, die durch eine Insel -getrennt werden, 2/<69 Fuß lang und
17 Fuß hoch über dem Wasserspiegel, durch SO gewaltige Eisbrecher befestigt,
und dennoch wird dieselbe bei starkem Eisgange jedes Mal bedeutend beschädigt
und kostet der Stadt dann Tausende; sie sührt nach der Festung hinüber und
nach dem kleinen Städtchen Podgorze hin, welches, von Thorn aus gesehen,
recht malerisch sich ausnimmt. Jetzt schafft die Stadt sich eine fliegende Fähre an.

Thorn ist trotz seiner polnischen Umgebung von jeher eine echt deutsche
Stadt gewesen, sowol seiner Sprache, wie seinen Sitten und Gebräuchen
nach; ja das Deutsche wird hier richtiger und wohlklingender als im übrigen
Preußen gesprochen, selbst vom gemeinen Manne. Das Plattdeutsch hört man
nur in den Dörfern der Niederung. Die eigentliche Bürgerschaft und die Be¬
amten sind fast sämmtlich Deutsche und der evangelischen Religion zugethan;
nur unter dem Gesinde und den Tagelöhnern herrscht der polnische Stamm vor.


dem einst dies Haus gehörte, heirathete ein armes Mädchen; vergebens aber
hofften sie auf Kindersegen. Da erschien in Abwesenheit des Gatten ein Fremder
im Hause, ein feiner Mann, der sich für einen Freund des Rathsherrn aus¬
gab und von der Frau beiläufig das Geständniß ihres liebsten Wunsches ver¬
nahm. Er versprach ihr zuversichtlich dessen Erfüllung, wenn sie sich nur ent¬
schließen wolle zu dem schriftlichen Versprechen, dafür ihr „Theuerstes" hin¬
zugeben. Sie willigte ein und unterschrieb den Pact. Als ihr Eheherr den¬
selben durch sie erfuhr, war er umsomehr unwillig, als er den beschriebenen
Fremden gar nicht kannte ; aber nach einiger Zeit genaß die Frau eines Kna¬
ben, den die Eltern gar bald als jenes „Theuerste" erkannten, so daß des
Teufels Hinterlist ihnen offenbar wurde; sie gaben deshalb den Knaben ins
Dominicanerkloster, frommen Mönchen zur Hut. Als darauf der Teufel im
Hause erschien, um den Vertrag geltend zu machen, wurde er ins. Kloster ver¬
wiesen. Aber wüthend drang er in die Frau, daS Kind sofort hier ausgeliefert
zu erhalten; doch Mutterliebe gab der Frau nicht nur die Kraft, jenem Trotz
zu bieten, sondern auch den Entschluß ein,, die verhängnißvolle Schrift ihm
zu entreißen und durch Vorhaltung eines Kreuzes, das sie am Busen trug,
trieb sie den Bösen vor sich her, der endlich zum Dache hinausfuhr und das¬
selbe und den ganzen Giebel mit schrecklichem Krachen zertrümmerte. Wer
diesen neu aufbauen wollte, hätte von neuem mit dem Teufel zu thun gehabt
und so blieb das Haus lange im Zustande der Zerstörung. — Ein seltenes
Kunstwerk enthält der jüdische Tempel, eine alte Wendeltreppe mit reichem
Schnitzwerk, die bis in den dritten Stock geht und deren Spindel aus der
gewundenen Rinde eines einzigen Baumstamms besteht. Mehre tausend
Thaler sind dafür von Kunstliebhabern schon geboten worden, aber die Treppe
läßt sich ohne Abbruch des ganzen Hauses nicht daraus entfernen.

Ueber die Weichsel bei Thorn sührt eine feste Pfahlbrücke, aus zwei Thei¬
len bestehend, die durch eine Insel -getrennt werden, 2/<69 Fuß lang und
17 Fuß hoch über dem Wasserspiegel, durch SO gewaltige Eisbrecher befestigt,
und dennoch wird dieselbe bei starkem Eisgange jedes Mal bedeutend beschädigt
und kostet der Stadt dann Tausende; sie sührt nach der Festung hinüber und
nach dem kleinen Städtchen Podgorze hin, welches, von Thorn aus gesehen,
recht malerisch sich ausnimmt. Jetzt schafft die Stadt sich eine fliegende Fähre an.

Thorn ist trotz seiner polnischen Umgebung von jeher eine echt deutsche
Stadt gewesen, sowol seiner Sprache, wie seinen Sitten und Gebräuchen
nach; ja das Deutsche wird hier richtiger und wohlklingender als im übrigen
Preußen gesprochen, selbst vom gemeinen Manne. Das Plattdeutsch hört man
nur in den Dörfern der Niederung. Die eigentliche Bürgerschaft und die Be¬
amten sind fast sämmtlich Deutsche und der evangelischen Religion zugethan;
nur unter dem Gesinde und den Tagelöhnern herrscht der polnische Stamm vor.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100635"/>
          <p xml:id="ID_517" prev="#ID_516"> dem einst dies Haus gehörte, heirathete ein armes Mädchen; vergebens aber<lb/>
hofften sie auf Kindersegen. Da erschien in Abwesenheit des Gatten ein Fremder<lb/>
im Hause, ein feiner Mann, der sich für einen Freund des Rathsherrn aus¬<lb/>
gab und von der Frau beiläufig das Geständniß ihres liebsten Wunsches ver¬<lb/>
nahm. Er versprach ihr zuversichtlich dessen Erfüllung, wenn sie sich nur ent¬<lb/>
schließen wolle zu dem schriftlichen Versprechen, dafür ihr &#x201E;Theuerstes" hin¬<lb/>
zugeben. Sie willigte ein und unterschrieb den Pact. Als ihr Eheherr den¬<lb/>
selben durch sie erfuhr, war er umsomehr unwillig, als er den beschriebenen<lb/>
Fremden gar nicht kannte ; aber nach einiger Zeit genaß die Frau eines Kna¬<lb/>
ben, den die Eltern gar bald als jenes &#x201E;Theuerste" erkannten, so daß des<lb/>
Teufels Hinterlist ihnen offenbar wurde; sie gaben deshalb den Knaben ins<lb/>
Dominicanerkloster, frommen Mönchen zur Hut. Als darauf der Teufel im<lb/>
Hause erschien, um den Vertrag geltend zu machen, wurde er ins. Kloster ver¬<lb/>
wiesen. Aber wüthend drang er in die Frau, daS Kind sofort hier ausgeliefert<lb/>
zu erhalten; doch Mutterliebe gab der Frau nicht nur die Kraft, jenem Trotz<lb/>
zu bieten, sondern auch den Entschluß ein,, die verhängnißvolle Schrift ihm<lb/>
zu entreißen und durch Vorhaltung eines Kreuzes, das sie am Busen trug,<lb/>
trieb sie den Bösen vor sich her, der endlich zum Dache hinausfuhr und das¬<lb/>
selbe und den ganzen Giebel mit schrecklichem Krachen zertrümmerte. Wer<lb/>
diesen neu aufbauen wollte, hätte von neuem mit dem Teufel zu thun gehabt<lb/>
und so blieb das Haus lange im Zustande der Zerstörung. &#x2014; Ein seltenes<lb/>
Kunstwerk enthält der jüdische Tempel, eine alte Wendeltreppe mit reichem<lb/>
Schnitzwerk, die bis in den dritten Stock geht und deren Spindel aus der<lb/>
gewundenen Rinde eines einzigen Baumstamms besteht. Mehre tausend<lb/>
Thaler sind dafür von Kunstliebhabern schon geboten worden, aber die Treppe<lb/>
läßt sich ohne Abbruch des ganzen Hauses nicht daraus entfernen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_518"> Ueber die Weichsel bei Thorn sührt eine feste Pfahlbrücke, aus zwei Thei¬<lb/>
len bestehend, die durch eine Insel -getrennt werden, 2/&lt;69 Fuß lang und<lb/>
17 Fuß hoch über dem Wasserspiegel, durch SO gewaltige Eisbrecher befestigt,<lb/>
und dennoch wird dieselbe bei starkem Eisgange jedes Mal bedeutend beschädigt<lb/>
und kostet der Stadt dann Tausende; sie sührt nach der Festung hinüber und<lb/>
nach dem kleinen Städtchen Podgorze hin, welches, von Thorn aus gesehen,<lb/>
recht malerisch sich ausnimmt. Jetzt schafft die Stadt sich eine fliegende Fähre an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_519" next="#ID_520"> Thorn ist trotz seiner polnischen Umgebung von jeher eine echt deutsche<lb/>
Stadt gewesen, sowol seiner Sprache, wie seinen Sitten und Gebräuchen<lb/>
nach; ja das Deutsche wird hier richtiger und wohlklingender als im übrigen<lb/>
Preußen gesprochen, selbst vom gemeinen Manne. Das Plattdeutsch hört man<lb/>
nur in den Dörfern der Niederung. Die eigentliche Bürgerschaft und die Be¬<lb/>
amten sind fast sämmtlich Deutsche und der evangelischen Religion zugethan;<lb/>
nur unter dem Gesinde und den Tagelöhnern herrscht der polnische Stamm vor.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0181] dem einst dies Haus gehörte, heirathete ein armes Mädchen; vergebens aber hofften sie auf Kindersegen. Da erschien in Abwesenheit des Gatten ein Fremder im Hause, ein feiner Mann, der sich für einen Freund des Rathsherrn aus¬ gab und von der Frau beiläufig das Geständniß ihres liebsten Wunsches ver¬ nahm. Er versprach ihr zuversichtlich dessen Erfüllung, wenn sie sich nur ent¬ schließen wolle zu dem schriftlichen Versprechen, dafür ihr „Theuerstes" hin¬ zugeben. Sie willigte ein und unterschrieb den Pact. Als ihr Eheherr den¬ selben durch sie erfuhr, war er umsomehr unwillig, als er den beschriebenen Fremden gar nicht kannte ; aber nach einiger Zeit genaß die Frau eines Kna¬ ben, den die Eltern gar bald als jenes „Theuerste" erkannten, so daß des Teufels Hinterlist ihnen offenbar wurde; sie gaben deshalb den Knaben ins Dominicanerkloster, frommen Mönchen zur Hut. Als darauf der Teufel im Hause erschien, um den Vertrag geltend zu machen, wurde er ins. Kloster ver¬ wiesen. Aber wüthend drang er in die Frau, daS Kind sofort hier ausgeliefert zu erhalten; doch Mutterliebe gab der Frau nicht nur die Kraft, jenem Trotz zu bieten, sondern auch den Entschluß ein,, die verhängnißvolle Schrift ihm zu entreißen und durch Vorhaltung eines Kreuzes, das sie am Busen trug, trieb sie den Bösen vor sich her, der endlich zum Dache hinausfuhr und das¬ selbe und den ganzen Giebel mit schrecklichem Krachen zertrümmerte. Wer diesen neu aufbauen wollte, hätte von neuem mit dem Teufel zu thun gehabt und so blieb das Haus lange im Zustande der Zerstörung. — Ein seltenes Kunstwerk enthält der jüdische Tempel, eine alte Wendeltreppe mit reichem Schnitzwerk, die bis in den dritten Stock geht und deren Spindel aus der gewundenen Rinde eines einzigen Baumstamms besteht. Mehre tausend Thaler sind dafür von Kunstliebhabern schon geboten worden, aber die Treppe läßt sich ohne Abbruch des ganzen Hauses nicht daraus entfernen. Ueber die Weichsel bei Thorn sührt eine feste Pfahlbrücke, aus zwei Thei¬ len bestehend, die durch eine Insel -getrennt werden, 2/<69 Fuß lang und 17 Fuß hoch über dem Wasserspiegel, durch SO gewaltige Eisbrecher befestigt, und dennoch wird dieselbe bei starkem Eisgange jedes Mal bedeutend beschädigt und kostet der Stadt dann Tausende; sie sührt nach der Festung hinüber und nach dem kleinen Städtchen Podgorze hin, welches, von Thorn aus gesehen, recht malerisch sich ausnimmt. Jetzt schafft die Stadt sich eine fliegende Fähre an. Thorn ist trotz seiner polnischen Umgebung von jeher eine echt deutsche Stadt gewesen, sowol seiner Sprache, wie seinen Sitten und Gebräuchen nach; ja das Deutsche wird hier richtiger und wohlklingender als im übrigen Preußen gesprochen, selbst vom gemeinen Manne. Das Plattdeutsch hört man nur in den Dörfern der Niederung. Die eigentliche Bürgerschaft und die Be¬ amten sind fast sämmtlich Deutsche und der evangelischen Religion zugethan; nur unter dem Gesinde und den Tagelöhnern herrscht der polnische Stamm vor.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/181
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/181>, abgerufen am 26.08.2024.