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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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liebhaber unter den Handwerksburschen und Dienstmädchen zum Zusammen¬
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Gebildete befriedigen ihre dahin zielenden Bedürfnisse in Concerten, welche
dann und wann in Düsternbrook statthaben, ohne indeß, wie es scheint,
viel Anklang zu finden, während das Theater bei dem Opercykluö,- welchen
Mitglieder der Hamburger Bühne im Mai gaben, in lohnendem Grade ge¬
füllt war.

Das Leben in Kiel ist etwa so billig, oder wenn man will so theuer wie
in Hamburg. Namentlich sind die Miethen der Wohnungen ziemlich hoch zu
nennen, da ein anständig möblirtes Garyonlogis mit freundlicher Aussicht nicht
wol unter zwölf Thalern zu haben ist, in Düsternbrook aber, wo die Nach¬
fragen die Angebote unnöthig machen, gradezu fabelhafte Preise verlangt
werden.

Was den Ton betrifft, nach dem man in jenen altmodischen ziegel-
steincrnen Dreispitzen lebt, so ist er nichts weniger als altmodisch und noch
weniger kleinstädtisch. Das Wasser trennt nicht, sondern verbindet. Eine
Seestadt hat sich um mehr Dinge zu kümmern, als man von ihrem Kirchthurme
aus erblickt, und ihre Einwohnerschaft wird daher weit seltener ins' Spieß-
bürgerthum, ihr Leben schwerer in Einförmigkeit, ihr Denken nicht so leicht in
Beschränktheit verfallen, als dies bei einer binnenländischen Mittelstadt der
Fall ist. Natürlich macht sich das kaufmännische Element hier vor Allem gel¬
tend. Doch scheint es bei weitem nicht in so überwiegendem Maße zu wirken
als in dem benachbarten Hamburg. Die starke Beimischung von Gelehrten
und Beamten in der Gesellschaft, die politischen Zustände des Landes und der
häufige Besuch von Schiffen der kriegführenden Mächte machen, daß man an
den Wirthstafeln und in der Familie nicht so unaufhörlich wie dort den Cours¬
zettel und das Befinden seines Vetters des "allmächtigen Thalers" discutirt.
Kleinstädtisch erscheint hier im Grunde nur der Ausrufer, der als wandelndes
Intelligenzblatt mehrmals am Tage seine fatale Klingel und dahinter mit
kreischender Stimme in plattdeutscher Sprache seine Ankündigungen erschallen
läßt. Andere mögen auch darin, daß schon lange vor Mitternacht alle öffent¬
lichen Locale leer und finster sind, einen kleinstädtischen Zug wittern. Ich
meinerseits möchte darin eher etwas Löbliches erblicken. Die Kieler sind meiner
Erfahrung zufolge von dem, was Leib und Seele zusammenhält, so große
Freunde und so treffliche Kenner wie irgendein Großstädter, aber sie suchen es
im Hause, nicht im Club oder Kneipe. Verheirateten begegnet man nur aus¬
nahmsweise nach der Zeit des Nachtessens in Weinkellern und Bierhäusern.
Selbst die Harmonie, eine Gesellschaft, die ein recht gut versehenes Zeitungö-
zimmer und eine wohlgewählte Bibliothek besitzt, ist lediglich bei Bällen und
Vorlesungen noch spät in der Nacht geöffnet, und wer des Abends einen Freund


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liebhaber unter den Handwerksburschen und Dienstmädchen zum Zusammen¬
lauf.

Gebildete befriedigen ihre dahin zielenden Bedürfnisse in Concerten, welche
dann und wann in Düsternbrook statthaben, ohne indeß, wie es scheint,
viel Anklang zu finden, während das Theater bei dem Opercykluö,- welchen
Mitglieder der Hamburger Bühne im Mai gaben, in lohnendem Grade ge¬
füllt war.

Das Leben in Kiel ist etwa so billig, oder wenn man will so theuer wie
in Hamburg. Namentlich sind die Miethen der Wohnungen ziemlich hoch zu
nennen, da ein anständig möblirtes Garyonlogis mit freundlicher Aussicht nicht
wol unter zwölf Thalern zu haben ist, in Düsternbrook aber, wo die Nach¬
fragen die Angebote unnöthig machen, gradezu fabelhafte Preise verlangt
werden.

Was den Ton betrifft, nach dem man in jenen altmodischen ziegel-
steincrnen Dreispitzen lebt, so ist er nichts weniger als altmodisch und noch
weniger kleinstädtisch. Das Wasser trennt nicht, sondern verbindet. Eine
Seestadt hat sich um mehr Dinge zu kümmern, als man von ihrem Kirchthurme
aus erblickt, und ihre Einwohnerschaft wird daher weit seltener ins' Spieß-
bürgerthum, ihr Leben schwerer in Einförmigkeit, ihr Denken nicht so leicht in
Beschränktheit verfallen, als dies bei einer binnenländischen Mittelstadt der
Fall ist. Natürlich macht sich das kaufmännische Element hier vor Allem gel¬
tend. Doch scheint es bei weitem nicht in so überwiegendem Maße zu wirken
als in dem benachbarten Hamburg. Die starke Beimischung von Gelehrten
und Beamten in der Gesellschaft, die politischen Zustände des Landes und der
häufige Besuch von Schiffen der kriegführenden Mächte machen, daß man an
den Wirthstafeln und in der Familie nicht so unaufhörlich wie dort den Cours¬
zettel und das Befinden seines Vetters des „allmächtigen Thalers" discutirt.
Kleinstädtisch erscheint hier im Grunde nur der Ausrufer, der als wandelndes
Intelligenzblatt mehrmals am Tage seine fatale Klingel und dahinter mit
kreischender Stimme in plattdeutscher Sprache seine Ankündigungen erschallen
läßt. Andere mögen auch darin, daß schon lange vor Mitternacht alle öffent¬
lichen Locale leer und finster sind, einen kleinstädtischen Zug wittern. Ich
meinerseits möchte darin eher etwas Löbliches erblicken. Die Kieler sind meiner
Erfahrung zufolge von dem, was Leib und Seele zusammenhält, so große
Freunde und so treffliche Kenner wie irgendein Großstädter, aber sie suchen es
im Hause, nicht im Club oder Kneipe. Verheirateten begegnet man nur aus¬
nahmsweise nach der Zeit des Nachtessens in Weinkellern und Bierhäusern.
Selbst die Harmonie, eine Gesellschaft, die ein recht gut versehenes Zeitungö-
zimmer und eine wohlgewählte Bibliothek besitzt, ist lediglich bei Bällen und
Vorlesungen noch spät in der Nacht geöffnet, und wer des Abends einen Freund


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[0017] liebhaber unter den Handwerksburschen und Dienstmädchen zum Zusammen¬ lauf. Gebildete befriedigen ihre dahin zielenden Bedürfnisse in Concerten, welche dann und wann in Düsternbrook statthaben, ohne indeß, wie es scheint, viel Anklang zu finden, während das Theater bei dem Opercykluö,- welchen Mitglieder der Hamburger Bühne im Mai gaben, in lohnendem Grade ge¬ füllt war. Das Leben in Kiel ist etwa so billig, oder wenn man will so theuer wie in Hamburg. Namentlich sind die Miethen der Wohnungen ziemlich hoch zu nennen, da ein anständig möblirtes Garyonlogis mit freundlicher Aussicht nicht wol unter zwölf Thalern zu haben ist, in Düsternbrook aber, wo die Nach¬ fragen die Angebote unnöthig machen, gradezu fabelhafte Preise verlangt werden. Was den Ton betrifft, nach dem man in jenen altmodischen ziegel- steincrnen Dreispitzen lebt, so ist er nichts weniger als altmodisch und noch weniger kleinstädtisch. Das Wasser trennt nicht, sondern verbindet. Eine Seestadt hat sich um mehr Dinge zu kümmern, als man von ihrem Kirchthurme aus erblickt, und ihre Einwohnerschaft wird daher weit seltener ins' Spieß- bürgerthum, ihr Leben schwerer in Einförmigkeit, ihr Denken nicht so leicht in Beschränktheit verfallen, als dies bei einer binnenländischen Mittelstadt der Fall ist. Natürlich macht sich das kaufmännische Element hier vor Allem gel¬ tend. Doch scheint es bei weitem nicht in so überwiegendem Maße zu wirken als in dem benachbarten Hamburg. Die starke Beimischung von Gelehrten und Beamten in der Gesellschaft, die politischen Zustände des Landes und der häufige Besuch von Schiffen der kriegführenden Mächte machen, daß man an den Wirthstafeln und in der Familie nicht so unaufhörlich wie dort den Cours¬ zettel und das Befinden seines Vetters des „allmächtigen Thalers" discutirt. Kleinstädtisch erscheint hier im Grunde nur der Ausrufer, der als wandelndes Intelligenzblatt mehrmals am Tage seine fatale Klingel und dahinter mit kreischender Stimme in plattdeutscher Sprache seine Ankündigungen erschallen läßt. Andere mögen auch darin, daß schon lange vor Mitternacht alle öffent¬ lichen Locale leer und finster sind, einen kleinstädtischen Zug wittern. Ich meinerseits möchte darin eher etwas Löbliches erblicken. Die Kieler sind meiner Erfahrung zufolge von dem, was Leib und Seele zusammenhält, so große Freunde und so treffliche Kenner wie irgendein Großstädter, aber sie suchen es im Hause, nicht im Club oder Kneipe. Verheirateten begegnet man nur aus¬ nahmsweise nach der Zeit des Nachtessens in Weinkellern und Bierhäusern. Selbst die Harmonie, eine Gesellschaft, die ein recht gut versehenes Zeitungö- zimmer und eine wohlgewählte Bibliothek besitzt, ist lediglich bei Bällen und Vorlesungen noch spät in der Nacht geöffnet, und wer des Abends einen Freund Grenzboten. IV. ->86k>. T

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/17>, abgerufen am 24.08.2024.