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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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aus einem wirklichen Unterschied in den Principien zu erklären ist. Der Ver¬
fasser tritt damit keineswegs auf unsre Seite, im Gegentheil stellt er sich als
alleräußerste Rechte der parlamentarischen äußersten Rechten gegenüber; er be¬
hauptet, nur im Interesse der kirchlich-aristokratischen Partei zu arbeiten und
diese in Beziehung auf die Armenfrage vor der gefährlichen Concurrenz des
Liberalismus zu warnen; er bringt den Ausdruck conservativ und aristokratisch
auf jeder dritten Seite an und schreibt das Wort "Herr" stets mit zwei Initial¬
buchstaben. Allein, wenn es bei einem so originellen Kopf auch gewagt
ist, irgendeine Vermuthung über seine künftige Entwicklung aufzustellen, so
glauben wir doch nicht fehlzugreifen, wenn wir eine stetige Annäherung an
uns voraussehen.

Bekanntlich hat Herr Huber sich schon seit einer Reihe von Jahren sehr
eifrig mit der Frage beschäftigt, ob man demjenigen Theil der Armuth, der
noch überhaupt heilbar ist, nicht durch Colonisationen im Innern des Landes
unter die Arme greifen könnte. Seine Vorschläge in dieser Beziehung waren
zum Theil von der Art, daß sie zu ernstem Nachdenken anregten, einen Ab¬
schluß dagegen haben sie fast nirgend gefunden, da er die endlichen praktischen
Mittel nicht genau genug in Erwägung gezogen hat. Er hat die vorliegende
Reise lediglich zu dem Zweck gemacht, die verwandten Anstalten in England,
Frankreich und Belgien zu studiren und daraus neue Fingerzeige für sein eig¬
nes System zu entnehmen. Er hat viel und gründlich gesehen, und seine Be¬
obachtungen, obgleich sie angeblich nur für die kirchlich-aristokratische Reaction
bestimmt sind, kommen jedem zu Gute, der sich mit dieser wichtigen Frage be¬
schäftigt.

Das ganze Buch ist eine durchgehende Polemik gegen das Schiboleth der
Kreuzzeitung: die Corporation ist conservativ und die Association
ist revolutionär; ein Satz, von dem er mit Recht bemerkt, man wisse
nicht, ob seine Absurdität größer sei oder seine Perfidie. Er widerlegt ihn
durch die einfache Beobachtung, daß die Corporation (Zunft, Gilde u. f. w.)
den bedürftigen Classen gar nicht zu Gute komme, und stellt dagegen den Satz
auf, dem auch wir völlig beitreten: die Association ist die einzige wahrhaft
konservative Corporation der Gegenwart und Zukunft für die arbeitenden
Classen. Allein er ist der Ueberzeugung, daß wenigstens in Deutschland die
Association nur unter aristokratischer Leitung gebildet werden könne und gebildet
werden müsse, wenn die Gesellschaft einen wirklichen Gewinn daraus ziehen
könne. Mit dem Ausdruck Aristokratie springt er aber ebenso willkürlich um,
als mit dem Ausdruck conservativ. Nur soviel erfährt man, daß die große
Weltausstellung in London und Paris antiaristokratisch, anticonservativ, also
revolutionär ist: eine Ansicht, in welcher ihm wol nur der gute Sibthorp bei¬
pflichten würde.


aus einem wirklichen Unterschied in den Principien zu erklären ist. Der Ver¬
fasser tritt damit keineswegs auf unsre Seite, im Gegentheil stellt er sich als
alleräußerste Rechte der parlamentarischen äußersten Rechten gegenüber; er be¬
hauptet, nur im Interesse der kirchlich-aristokratischen Partei zu arbeiten und
diese in Beziehung auf die Armenfrage vor der gefährlichen Concurrenz des
Liberalismus zu warnen; er bringt den Ausdruck conservativ und aristokratisch
auf jeder dritten Seite an und schreibt das Wort „Herr" stets mit zwei Initial¬
buchstaben. Allein, wenn es bei einem so originellen Kopf auch gewagt
ist, irgendeine Vermuthung über seine künftige Entwicklung aufzustellen, so
glauben wir doch nicht fehlzugreifen, wenn wir eine stetige Annäherung an
uns voraussehen.

Bekanntlich hat Herr Huber sich schon seit einer Reihe von Jahren sehr
eifrig mit der Frage beschäftigt, ob man demjenigen Theil der Armuth, der
noch überhaupt heilbar ist, nicht durch Colonisationen im Innern des Landes
unter die Arme greifen könnte. Seine Vorschläge in dieser Beziehung waren
zum Theil von der Art, daß sie zu ernstem Nachdenken anregten, einen Ab¬
schluß dagegen haben sie fast nirgend gefunden, da er die endlichen praktischen
Mittel nicht genau genug in Erwägung gezogen hat. Er hat die vorliegende
Reise lediglich zu dem Zweck gemacht, die verwandten Anstalten in England,
Frankreich und Belgien zu studiren und daraus neue Fingerzeige für sein eig¬
nes System zu entnehmen. Er hat viel und gründlich gesehen, und seine Be¬
obachtungen, obgleich sie angeblich nur für die kirchlich-aristokratische Reaction
bestimmt sind, kommen jedem zu Gute, der sich mit dieser wichtigen Frage be¬
schäftigt.

Das ganze Buch ist eine durchgehende Polemik gegen das Schiboleth der
Kreuzzeitung: die Corporation ist conservativ und die Association
ist revolutionär; ein Satz, von dem er mit Recht bemerkt, man wisse
nicht, ob seine Absurdität größer sei oder seine Perfidie. Er widerlegt ihn
durch die einfache Beobachtung, daß die Corporation (Zunft, Gilde u. f. w.)
den bedürftigen Classen gar nicht zu Gute komme, und stellt dagegen den Satz
auf, dem auch wir völlig beitreten: die Association ist die einzige wahrhaft
konservative Corporation der Gegenwart und Zukunft für die arbeitenden
Classen. Allein er ist der Ueberzeugung, daß wenigstens in Deutschland die
Association nur unter aristokratischer Leitung gebildet werden könne und gebildet
werden müsse, wenn die Gesellschaft einen wirklichen Gewinn daraus ziehen
könne. Mit dem Ausdruck Aristokratie springt er aber ebenso willkürlich um,
als mit dem Ausdruck conservativ. Nur soviel erfährt man, daß die große
Weltausstellung in London und Paris antiaristokratisch, anticonservativ, also
revolutionär ist: eine Ansicht, in welcher ihm wol nur der gute Sibthorp bei¬
pflichten würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/133>, abgerufen am 24.08.2024.